Ein Bauwerk für die Ewigkeit: In Kairo wird das Grand Egyptian Museum eröffnet

Wie eine vierte Pyramide erhebt sich das Grand Egyptian Museum (GEM) aus dem Wüstensand: majestätisch, geometrisch, überdimensioniert. Schon von aussen lässt das Gebäude erahnen, was es verbirgt: jahrtausendealte Schätze aus dem alten Ägypten. Das Thema der Pyramide spiegelt sich bereits in der Architektur: Grosse goldene Dreiecke schmücken die Mauern. Eines von ihnen fungiert als Eingang in das grösste Museum der Welt, das einer einzigen Zivilisation gewidmet ist. An diesem Samstag wurde es eröffnet.
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Fast zwei Jahrzehnte lang haben die Ägypter auf diesen Moment gewartet. Immer wieder war die Eröffnung verschoben worden: Verzögerungen beim Bau, Tourismuskrise, Corona-Pandemie, Gaza-Krieg – die Dauerbaustelle bot immer wieder Anlass für Spott. «Im November wird das Museum eröffnet», witzelten die Ägypter. «Wir wissen nur noch nicht, in welchem Jahr.» Jetzt hat das Warten ein Ende. Das Grosse Ägyptische Museum ist am Samstag mit einer Zeremonie feierlich eröffnet worden. Dazu versammelten sich Staats- und Regierungschefs und internationale Prominenz an dem Museum, wo die Eröffnung mit Feuerwerk und einer Musik- und Lichtshow gefeiert wurde. Dabei wurden auch die Sphinx und die Pyramiden erleuchtet, Tänzer und Schauspieler zeigten eine Choreographie in Kostümen aus der pharaonischen Zeit.

Tatsächlich katapultiert das GEM die ägyptische Museumslandschaft in eine neue Ära: Gäste aus dem In- und Ausland können sich in dem weitläufigen, klimatisierten Komplex aus zwölf Galerien, Kinosaal, Restaurants und Geschäften allein zurechtfinden. Sicherheitskontrollen, Ticketschalter, Audio-Guide – alles entspricht internationalem Standard. Das ist in der 20-Millionen-Metropole keine Selbstverständlichkeit: Nirgendwo sonst können Touristen in Kairo unbehelligt von hupenden Autos, beharrlichen Händlern und erbarmungsloser Hitze in die jahrtausendealte Geschichte eintauchen.
Im Foyer des GEM werden die Besucher von Ramses II. begrüsst. Die elf Meter hohe Statue des berühmten Pharaos stand fünf Jahrzehnte lang auf dem Ramses-Platz vor dem Hauptbahnhof von Kairo. 2006 wurde der Koloss in einer aufsehenerregenden Aktion über eine Nilbrücke in die angrenzende Stadt Gizeh transportiert und dort restauriert. Seit 2018 steht die Statue im GEM, während das Gebäude um sie herum fertig gebaut wurde.

Fareed Kotb / Anadolu / Getty

Zweimal im Jahr erstrahlt das Gesicht: Am Geburtstag von Ramses II. und am Tag seiner Krönung scheint die Sonne durch eine Luke im Gemäuer auf das Abbild des Pharaos – so wie in den berühmten Tempelanlagen von Abu Simbel knapp 300 Kilometer südlich von Assuan. Die steinerne Skulptur lässt die Besucher staunen: Wie ist es den alten Ägyptern vor mehr als 3000 Jahren gelungen, ein so gewaltiges Standbild zu meisseln?
Vom Foyer aus führen breite Stufen in den oberen Teil des Museumsgebäudes. Die Treppe mit Statuen berühmter Herrscherinnen und Herrscher wie Hatschepsut, Echnaton und Amenhotep III. symbolisiert eine Reise in die Ewigkeit: Um die Wiedergeburt zu ermöglichen, legten die altägyptischen Herrscher Wert auf steinerne Abbilder, kunstvolle Sarkophage und aufwendige Tempelanlagen. Eine Führung durch diesen Teil der Dauerausstellung lohnt sich besonders: Alle Touristenführer sind studierte Ägyptologen und erklären ausgewählte Objekte. Dabei folgen sie aber keinem strengen Skript, sondern setzen ihre eigenen Schwerpunkte.

Fareed Kotb / Anadolu / Getty

Amr Abdallah Dalsh / Reuters
Obwohl das Museum, dessen Kosten sich auf etwa eine Milliarde Dollar belaufen, erst jetzt offiziell eröffnet wurde, hatten Interessierte bereits in den vergangenen zwei Jahren Gelegenheit, an Führungen teilzunehmen und Teile der Ausstellung zu besuchen. Auf diese Weise wurden unter anderem Besucherströme getestet – ebenfalls eine neue Vorgehensweise in Ägypten. Die Führungen finden stündlich statt und ermöglichen einen Überblick über die altägyptische Geschichte, deren Ursprung am Ende ihrer Ära bereits länger zurücklag als der Beginn unserer Zeitrechnung heute.
Die Treppe bildet das Herzstück des Museums: Sie führt hinauf zu einem Panoramafenster, das den Blick freigibt auf die Pyramiden von Gizeh. Die drei Grabstätten zählen zu den sieben Weltwundern der Antike und liegen etwa einen Kilometer vom GEM entfernt. Das Museum auf die Pyramiden auszurichten und das moderne Gebäude auf diese Weise mit der historischen Umgebung zu verbinden, ist die grosse Leistung des irischen Architekturbüros Heneghan Peng. Mit der zeitlosen Schlichtheit und Perfektion der Pyramiden kann der Bau allerdings kaum mithalten. Das GEM wirkt nicht gefällig, sondern wuchtig.
Überwältigende Zahl von ExponatenVom Panoramafenster aus gelangen die Gäste in die zwölf Galerien. Sie sind chronologisch gegliedert: von prähistorischen Zeiten bis zur griechisch-römischen Periode. Wer statt eines Rundgangs den direkten Weg abwärts ins Foyer wählt, kann sich allerdings auch auf die inhaltlichen Themenschwerpunkte «Gesellschaft», «Königtum» und «Glauben» konzentrieren.
Eine von insgesamt eineinhalb Stunden verbringen die Teilnehmer einer Führung in den Galerien – doch anders als auf der Treppe wirken die Fülle und die Details der insgesamt 18 000 dauerhaft ausgestellten Exponate überwältigend. Experten kommen hier voll auf ihre Kosten, weil Werkzeuge, Schmuck oder Statuetten in grosser Vielfalt vorhanden sind. Manche Objekte aus der altägyptischen Kultur fehlen allerdings. Dazu gehören die Fayum-Porträts: auf Holz gemalte Gesichter, mit denen in römischer Zeit die Köpfe von Mumien geschmückt wurden.

Fareed Kotb / Anadolu / Getty

Fareed Kotb / Anadolu / Getty
Dafür werden die berühmte Totenmaske des Pharaos Tutanchamun und zum ersten Mal sämtliche seiner Grabbeigaben gezeigt. Bislang waren ausgewählte Stücke im Ägyptischen Museum am Tahrir-Platz zu sehen, das zuletzt aus allen Nähten platzte und an dessen Ausstellungskonzept sich in den vergangenen hundert Jahren kaum etwas verändert hat. Viele Exponate wurden in alten Vitrinen präsentiert, versehen mit knappen, auf Schreibmaschine getippten Erläuterungen.
Auch die Sonnenbarke des Cheops, das wahrscheinlich besterhaltene antike Holzschiff der Welt mit einer Länge von 43 Metern, befindet sich nun im GEM. Bis vor vier Jahren war es in einem eigens dafür gebauten Museum neben der Cheops-Pyramide zu sehen. Das Boot, das 1954 in mehr als 1000 Einzelteilen in einer Steingrube am Fusse der Pyramiden gefunden wurde, sollte nach dem Tod des Pharaos dessen Reise ins Jenseits ermöglichen und gehört zu den beeindruckendsten Exponaten des GEM.
Die Ausstellung konzentriert sich fast ausschliesslich auf die Welt der Pharaonen, der Alltag der einfachen Ägypter spielt nur eine untergeordnete Rolle. Auch deshalb sehen manche Besucher in dem gigantischen Gebäude den Versuch moderner Machthaber, sich selbst ein Denkmal zu setzen – zumal der Museumsbau den Ausstellungsstücken eher Konkurrenz macht, als dass er mit ihnen harmoniert.
nzz.ch




