Fernsehkrimi „Böse geboren“: Tierschützerinnen mit Motorsäge im Wald

Jäger sind im deutschen Fernsehkrimi immer hoch verdächtig. Die flapsige Redewendung „Der hat ja ’nen Jagdschein“ wird hier gern so interpretiert: Wer Rehe erschießt, der tötet auch Menschen. Im Rostocker „Polizeiruf“-Krimi laufen zwei Tierschützerinnen mit einer Motorsäge in den Wald, um Hochsitze anzusägen. Sie finden mitten in der Schonzeit ein totes Reh und geraten ins Visier des Schützen. Eine wird mit einem Kopfschuss getötet, die zweite überlebt schwer verletzt.
Doch die Autorinnen Catharina Junk und Elke Schuch interessieren sich nicht weiter für das deutsche Jagdwesen. Unter dem Motto „Böse geboren“, das man natürlich sofort mit einem Fragezeichen versehen möchte, gerät ein junger Mann ins Visier, der frühmorgens blutig – mit einem Jagdgewehr und dem toten Reh auf der Schulter – nach Hause kommt. Seine Mutter (Jördis Triebel), die mit ihm allein in einem Haus am Waldrand lebt und eine Fischräucherei betreibt, wäscht seine blutigen Klamotten. Dass Einzelgänger Milan (Eloi Christ) schwere seelische Probleme hat, wird den Zuschauern durch die düster-depressiven Bilder in seinem Kinderzimmer vermittelt. Die Ermittlerinnen Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und Melly Böwe (Lina Beckmann) erfahren vom Oberförster (Nicki von Tempelhoff), dass Milans Vater ein verurteilter Serienmörder ist. Talent Eloi Christ war schon vor drei Jahren mal mit einer ähnlichen Rolle im „Polizeiruf“ aufgefallen. Im Magdeburger Fall „Black Box“ überzeugte er als junger Täter nach einer traumatischen Kindheit. Auch in „Böse geboren“ spielt er eine ambivalente Figur, die ebenso gefährdet wie gefährlich wirkt.
Neben Milan rückt natürlich seine Mutter ins Zentrum. Sie hat den Sohn, der bei einer Vergewaltigung gezeugt worden war, trotz aller Zweifel beschützt, gerät aber immer mehr unter Druck, hält ihm schließlich nicht mehr stand und bittet die Polizistinnen, ihn festzunehmen. Und Milan gesteht die Tat. Doch da sind noch 40 Minuten zu spielen, und zu den Regeln des deutschen Fernsehkrimis gehört ja auch, dass die anfangs Hochverdächtigen selten die Täter sind. Das Drehbuch bietet weitere Verdächtige an – allesamt aus der Familie des Oberförsters, alle mit Jagdschein. So sitzt dessen älterer Sohn seit einem Tierschützerinnen-Anschlag im Rollstuhl.
Psychologisch überambitionierter „Polizeiruf“Doch der psychologisch überambitionierte Film will ja eigentlich fragen, ob und wie sich traumatische Gewalterfahrungen fortpflanzen oder gar „vererben“ – und greift dabei zu einer Methode, die leider viel zu oft im Fernsehkrimi bemüht wird. Als ob es nicht reichen würde, wie Jördis Triebel und Eloi Christ diesen Konflikt austragen, nein, damit alle Zuschauer wirklich die Dramatik begreifen, müssen Lina Beckmann und Emilie Neumeister als Mutter und ihre Tochter dasselbe Drama wiederholen. Im vorigen Fall „Diebe“ hatte die Autorin Elke Schuch schon erzählt, dass Melly mit 16 Jahren Mutter geworden war. Nun wird das Ganze verschärft: Tochter Rose taucht in Rostock auf und will unbedingt erfahren, wer ihr Vater ist. Und Melly gesteht beim Verhör von Milan, dass auch sie durch eine Vergewaltigung geschwängert worden war.
Doch diese Dopplung des Konflikts ist so aufdringlich, aufgesetzt und absichtsvoll, dass sie genau das Gegenteil vom Beabsichtigten erzeugt. Die Szene lässt sich ja auch so deuten: Milan, bist du bei einer Vergewaltigung entstanden? Mach dir nichts draus, meine Tochter ist auch so gezeugt worden! Und sie ist trotzdem ein guter Mensch geworden! Nicht genug, dass diese Spiegelung den aktuellen Fall in eine schwere Schlagseite bringt – es steht zu befürchten, dass Mellys Outing auch die kommenden Rostocker Fälle belastet.
Polizeiruf 110: Böse geboren. Sonntag, 25. Mai, 20.15 Uhr
Berliner-zeitung