Chaya: Extensions, Gelnägel, Bubble Tea – alle wollen jetzt aussehen wie Neuköllner Girls

Extralange Haare, besonders dichte Wimpern: Chayas gelten jetzt als stilprägend, auch für Stars wie Kiara Baba und Shirin David. Wer den Look verstehen will, muss bloß U8 fahren.
Deutschrap erlebt derzeit ein unerwartetes Comeback. Aber nicht nur auf Bühnen oder in den Single-Charts, sondern dort, wo Memes entstehen und viral gehen: auf TikTok. Ob die 14-jährige Zah1de, die Texte von Haftbefehl abgewandelt und damit den Zorn des HipHop-Stars auf sich gezogen haben soll, oder eben Kiara Baba, die mit ihrem Track „Yannick“ in kürzester Zeit viral ging – die neue Generation schreibt ihre eigenen Regeln. Und das mittels Onlineclips und Memes, nicht selten auf ironische Weise.
So etablierte sich „Yannick“ als Ohrwurm: 2,4 Millionen Aufrufe auf TikTok, mehr als vier Millionen auf Instagram. In den Kommentaren überschlagen sich die Komplimente. Kiara Baba sei „die deutsche Paris Hilton“, heißt es da, sie bringe „die 2000er zurück“.
Der Hype ging auch an Shirin David nicht vorbei: Die übererfolgreiche Rapperin nutzt momentan Kiara Babas neuen Song „Deine Haare“, um ihre Beautymarke zu promoten. Auch die deutsche R&B-Sängerin Ace Tee hinterlegt ihre TikTok-Videos nicht nur mit ihren eigenen, sondern auch mit Babas Liedern.
Wie sieht die „Chaya“-Ästhetik aus?Doch nicht nur Babas Musik – ihr echter Name, ihr Wohnort und ihre Geschichte sind bisher übrigens kaum bekannt – sorgt für Gesprächsstoff. Auch ihr modisches Auftreten zieht Aufmerksamkeit auf sich. Viele bringen ihren Style mit „Chaya“ in Verbindung, einem Begriff der Jugendsprache, der in etwa „hübsches Mädchen“ meinen soll.
Dabei hat das Wort „Chaya“ selbst offenbar verschiedene Ursprünge: Im Persischen lässt es sich etwa mit „Mädchen“ übersetzen, denkbar ist aber auch eine Ableitung vom arabischen „Schaba“ für Mädchen.
Der zugehörige Look erinnert stark an viele junge Frauen, die in Kreuzberg oder Neukölln unterwegs sind: glatte Haare, nicht selten durch Extensions extrem verlängert, auffälliges Make-up mit kräftig umrahmten Schmolllippen und besonders dichten Wimpern, XXL-Kreolen, Animal Prints, bauchfreie Tops. Der Vergleich mit Paris Hilton passt, wobei sich der Look auch an den Mädchen und jungen Frauen der arabischen, persischen und türkischen Diaspora orientiert, wenngleich sich ebenso weiße Frauen als Chaya identifizieren.
Eines der bekanntesten Beispiele liefert wohl auch die Figur Zeynep aus dem deutschen Kinohit „Fack Ju Göhte“ von 2013, deren auffälliger Style, überzeichneter Slang und selbstbewusstes Auftreten viele der Codes der typischen Chaya widerspiegeln sollte.

Zudem kursieren zahlreiche Videos, die mit Babas „Deine Haare“ unterlegt sind und Szenen aus Kylie Jenners ikonischer „King Kylie“-Ära um 2014 zeigen: Jenner mit pink gefärbten Haaren, starkem Lipliner, hoch taillierten Jeans oder figurbetonten Minikleidern, oft mit Grillz, also überbordend glitzerndem Zahnschmuck.
Immer wieder tauchen in den Videos auch Jogginganzüge der Marke Juicy Couture auf, die in den 2000ern dank Stilikonen wie Paris Hilton und Lindsay Lohan bekannt geworden war und schon vor einigen Jahren ein Comeback feierte. Unter anderem 2016 durch eine Designer-Kooperation mit der damals populären Modemarke Vetements. Hier kommen also zwei Stile zusammen, die sich mit „Y2k-Chaya“ zusammenfassen ließen.
Auch die im vergangenen Jahr angesagte „Mobwife“-Ästhetik, die an das üppige Styling der „Mafiabräute“ angelehnt ist, wird in den TikTok-Videos mit Babas Musik zitiert. Zu diesem Stil gehören Smokey Eyes, Pelze oder Kunstpelze, klobiger goldener Schmuck – viel Bling, viel Attitude. Der Stil wird als Symbol für Opulenz, Selbstbewusstsein und weibliche Unabhängigkeit gefeiert, wenngleich seine Inspirationsquelle nicht wirklich feministischen Ursprungs ist.
In einem der beliebtesten Clips mit Babas Musik, der mehr als 80.000 Aufrufe hat, sieht man Kim Kardashian, wie sie sich Lipgloss aufträgt. Dazu der eingeblendete Satz: „Während ich in den Spiegel schaue und daran denke, dass niemand mich verdient.“
Zwischen Plattenbau und Champagner-BrunnenAuch Shirin David, das selbsternannte „German Rap Doll“, inszeniert selbstbewusste Girlyness irgendwo zwischen pinkfarbenen Jogginganzügen und teuren Designertaschen, zwischen Matcha Latte und Champagner. Mit Songs wie „Bauch, Beine, Po“ oder „atzen & barbies“ füllt sie Hallen in ganz Deutschland.
Für viele gilt David, deren Stil ebenso oft dem Chaya-Look entspricht, längst als eine der einflussreichsten Pop- und Modefiguren Deutschlands. Und jetzt promotet also auch ihre Kosmetikmarke Shirin Beauty Babas Song „Deine Haare“.
Ob man ihre Musik nun feiert oder nicht, sich nach dem King-Kylie-Style und Paris Hiltons 2000er-Look zurücksehnt oder die Neuköllner Chayas toll findet – Kiara Babas überspitzter Sound, ihr frecher, überzeichneter Glamour zwischen Kim Kardashian und Plattenbau trifft einen Nerv.
Für viele Fans steht er exemplarisch für eine selbstbewusste Generation von Frauen, die sich nicht zurücknehmen, bloß nicht demütig sein müssen. In „Yannick“ rappt Kiara Baba: „Champagner fließt, heute bin ich Lady“ – ein ironischer Mittelfinger an alle, die glauben, Frauen müssten sich zurücknehmen.
Berliner-zeitung