ESC 2025: Politik, Skandale und Favoriten

Mit dem ersten Semifinale am Dienstag, dem 13. Mai, geht es beim Eurovision Song Contest ans Eingemachte. Über eine Woche haben die Künstler aus den 37 Teilnehmerländern auf der Bühne der St. Jakobshalle in Basel ihre Auftritte geprobt. Am letzten Sonntag vor dem Wettbewerb in der Schweiz trafen sich alle bei der offiziellen Eröffnungsfeier, die den festlichen und inklusiven Charakter des Wettbewerbs wiedergeben sollte. Doch ungetrübt blieb sie nicht.
Gestörter Auftakt des ESCDiesmal hatten sich die Organisatoren etwas Besonderes ausgedacht. Statt die Künstlerinnen und Künstler im Beisein der akkreditierten Journalistenschar und ausgewählter Fans über einen türkisen ESC-Teppich laufen zu lassen, veranstalteten sie eine Parade durch die Innenstadt. Die Teilnehmenden präsentierten sich auf einem türkisen Laufsteg vor dem Rathaus, setzten sich dann in Oldtimer oder Retro-Trams und fuhren die fast 1,5 Kilometer lange Strecke über die Rheinbrücke zu den Messehallen - begleitet von Blaskapellen, Trachten- und Karnevalsvereinen und vorbei an rund 100.000 Zuschauern.
Am Straßenrand hielten die Menschen aber nicht nur die Flaggen der Teilnehmerländer oder die beim ESC üblichen Fahnen der LGBTQ+-Community hoch, sondern teilweise auch palästinensische Flaggen. Auf Plakaten wurde dem ESC Mittäterschaft am Völkermord vorgeworfen.

Grund für die Proteste ist die Teilnahme Israels. Die israelische Künstlerin Yuval Raphael wurde schon vor dem Rathaus ausgebuht. Es gab Drohgebärden und einen Versuch, die Tram, in der sie saß, zu stoppen. Zu größeren Zwischenfällen kam es aber nicht. Es blieb bei einigen Hundert Protestierenden - im Gegensatz zum letztjährigen ESC im schwedischen Malmö, wo Tausende mehrere Tage lang durch die Innenstadt zogen. Die damalige Vertreterin Israels, Eden Golan, bekam den Zorn anderer ESC-Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu spüren.
EBU greift ein und schweigtUm zu verhindern, dass sich in diesem Jahr ähnliche Vorfälle beim ESC wiederholen, hat der Veranstalter, die Europäische Rundfunkunion (EBU), von Künstlern, Mitgliedern offizieller Delegationen und Journalisten verlangt, einen Verhaltenskodex zu unterzeichnen, der einen respektvollen Umgang miteinander sicherstellen soll. Einer der zentralen Punkte dieses Regelwerks ist das Verbot jeglicher politischer Äußerungen. "Der ESC respektiert die Meinungsfreiheit als Grundrecht. Die Teilnehmer behalten ihr Recht auf freie Meinungsäußerung außerhalb des Wettbewerbs", heißt es in dem Dokument.
Wegen der strikten Haltung der EBU wird im Artikel auf der offiziellen ESC-Website über Yuval Raphael offenbar mit keinem Wort ein wichtiges Schlüsselerlebnis im Leben der 24-Jährigen erwähnt. Die Sängerin überlebte den Terroranschlag der Hamas auf das Supernova-Festival am 7. Oktober 2023, weil sie mehrere Stunden unter den Leichen ermordeter junger Menschen lag.

Israels Militäroperation im Gazastreifen als Reaktion auf den Hamas-Angriff hatte beim ESC in Malmö Proteste ausgelöst. In diesem Jahr forderte der spanische Sender RTVE erstmals eine Debatte über die Teilnahme des israelischen Senders KAN am Wettbewerb (Nicht ein Land, sondern eine Rundfunkanstalt nimmt laut der offiziellen Regelung am ESC teil, Anmerkung. d. Red.). Wenige Tage vor Beginn des ESC forderten mehr als 70 ehemalige Teilnehmer, Musiker und Songwriter, Israel auszuschließen. Sie warfen der EBU Doppelmoral vor, angesichts dessen, dass Russland nach dem Angriff auf die Ukraine im Jahr 2022 vom Wettbewerb ausgeschlossen wurde. Dieser Forderung schloss sich später auch der Sieger des letztjährigen ESC, der Schweizer Nemo, an.
Daraufhin erneuerte ESC-Direktor Martin Green seine Unterstützung für den israelischen Sender und betonte, es sei nicht Aufgabe der EBU, Konflikte zu vergleichen. Die EBU hatte den Ausschluss des russischen Ersten Kanals und des Senders Rossija vom ESC übrigens mit der Nichteinhaltung der Grundsätze öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten begründet.
Skandale und FavoritenVerglichen mit dieser Debatte ist die Empörung des Vizepräsidenten des italienischen Senats, Gian Marco Centinaio, von der rechtspopulistischen Partei "Lega" über den estnischen Rapper Tommy Cash nichts weiter als ein Sturm im Wasserglas. Im Song "Espresso Macchiato" macht er sich über gängige Italien-Klischees und Italiener lustig. "Ich arbeite rund um die Uhr, also schwitze ich wie ein Mafioso" - dieser Satz störte Centinaio besonders und er forderte, den Esten vom Wettbewerb auszuschließen. Estland muss aber kaum mit Sanktionen rechnen.

Auch das für Schweden auftretende finnische Trio KAJ nimmt eine nationale Eigenart aufs Korn: im Song "Bara Bada Bastu" macht es sich über die Liebe der Finnen fürs Saunieren lustig. Bisher ist diese Folk-Pop-Komposition, fast schon im Genre eines Volksliedes, der absolute Favorit der Buchmacher. Damit könnte Schweden den achten Sieg in diesem Wettbewerb erringen - was Rekord wäre.
Erika Vikman, ebenfalls aus Finnland, singt auf Deutsch den brachial-eingängigen Schlager "Ich komme", womit sie ziemlich eindeutig auf den sexuellen Höhepunkt anspielt. Berichten zufolge forderten die ESC-Organisatoren von ihr, die Inszenierung, ihr Kostüm und die Choreografie etwas weniger erotisch zu gestalten. Ob sie sich daran hält?

Die 24-jährige Malteserin Miriana Conte hingegen musste den Titel ihres Songs im R&B-Stil ändern: Der ursprüngliche Titel "Kant", was auf maltesisch "Gesang" bedeutet, ist im Englischen eine vulgäre Bezeichnung für das weibliche Geschlechtsorgan - wenn auch anders geschrieben. "Serving Kant" sei geschmacklos für eine Familienshow, monierte die britische Rundfunkanstalt BBC. Und so heißt der Song jetzt nur noch "Serving" (dienen), das Wort "Kant" kommt nicht mehr vor.
Den Prognosen der Buchmacher zufolge können Miriana Conte, Erika Vikman und Tommy Cash eine Woche vor dem ESC-Finale ihre Plätze unter den Top Ten der Favoriten behaupten. Beste Erfolgschancen geben sie jedoch den Balladen "Maman" der Französin Louane und "New Day Will Rise" der Israelin Yuval Raphael und natürlich dem Countertenor JJ, der Österreich mit der Pop-Arie "Wasted love" vertritt.
ESC-Trends in BaselDeutschland hofft auf einen Erfolg der Elektro-Pop-Komposition "Baller" des Duos Abor & Tynna; das sind die Geschwister Attila und Tünde Bornemisza aus Wien. Diesmal liegt Deutschland voll im Trend des aktuellen ESC: Für Schweden treten Finnen an, für Irland ein Norweger, für Tschechien ein Slowake und für San Marino ein Italiener - und das mit dem Titel "Tutta l'Italia" ("Ganz Italien").
Eine weitere Besonderheit des diesjährigen Wettbewerbs ist die Anzahl der Lieder, die gar nicht oder nur teilweise auf Englisch vorgetragen werden - mehr als die Hälfte der insgesamt 37 Songs kommen in anderen Sprachen daher. Der Sieger oder die Siegerin wird anhand der Ergebnisse des ersten und zweiten Halbfinales am 13. bzw. 15. Mai sowie beim Finale am Samstag, dem 17. Mai, ermittelt.
dw