Ladies & Gentlemen: Stolze Bekenntnisse

Vor lauter internationalem Rückschritt hatte man fast vergessen, dass gerade der Pride-Monat begonnen hat. Wenn es in den Vereinigten Staaten plötzlich wieder nur zwei Geschlechter gibt, die man in den Ausweis schreiben darf, dann heißt das: Die LGBTQ+-Community benötigt mehr Unterstützung denn je. Das dachte sich auch der Designer Ives Conner, der sich bei seiner letzten Show schnell einen Spruch auf sein T-Shirt bügelte, um den Applaus entgegenzunehmen: Protect the Dolls.

Der Begriff Dolls, also Puppen, kommt aus der New Yorker Ballroom-Szene und steht heute für transfeminine Personen, also alle, die sich als weiblich identifizieren. Das puristische Trans-Charity-T-Shirt, das so angenehm auf die obligatorischen Regenbogenfarben verzichtet, wurde zum Hit – ein paar Wochen später trugen es Tilda Swinton und Madonna, und es ist ständig ausverkauft.
Ach so, der schöne Pedro Pascal trägt es auch, was löblich, aber hier zu vernachlässigen ist. Denn zwischen transfemininen Leuten und biologischen Frauen ist es ja gerade etwas kompliziert. Wenn jemand mit männlichem Chromosomensatz eine olympische Medaille im Frauenboxen gewinnt, so wie Imane Khelif im vorigen Jahr, dann kann man, wegen extragroßer Unfairness, schon mal richtig sauer werden als biologische Frau. Aber nur weil es kompliziert ist, heißt das nicht, dass das Leben jetzt zum Boxring werden sollte, in dem wir uns gegenseitig in die Fresse hauen (chill mal, J. K. Rowling). Als Frauen sitzen wir alle im gleichen Boot – und dieses T-Shirt ist eine angenehme Handreichung.
Vor gut zehn Jahren kam man bei einem großen deutschen Herrenmagazin auf die seltsame Idee, für eine Fotostrecke prominente Männer – man sagte ganz explizit: heterosexuelle Männer – einander küssen zu lassen. Herbert Grönemeyer, Thomas D. und ein paar andere busselten da also auf dem Heftcover und ließen ausrichten, damit nicht weniger als ein Zeichen gegen Putins queerfeindliche Politik setzen zu wollen. Dieser PR-Stunt war fast so peinlich wie risikofrei (über daraufhin verbotene Russland-Tourneen von Grönemeyer ist nichts bekannt), aber der mediale Applaus donnerte. Win-win für die Heteros!

Es waren genau die Jahre, in denen Pride-Paraden, ursprünglich ein Protest für die Menschenrechte von Schwulen und Lesben, zum großen Firmenfasching wurden. Sport-, Brauerei- und Dax-Konzerne verpassten ihren Firmenlogos auf Instagram einen vierwöchigen Regenbogenanstrich oder stellten gleich selbst einen Partywagen. Selbst der Verlagskonzern Axel Springer, Absender von so woken Headlines wie „Linke wollen SCHWUL-Unterricht einführen“, ließ sich nun als ally feiern, als treuer Alliierter von LGBTQ-Menschen.
Seit es Firmen im Amerikageschäft nun plötzlich echtes Geld kostet, sich noch aktiv um Minderheiten zu bemühen, bleiben auffallend viele Firmenlogos schwarz-weiß, die vergangenes Jahr noch pünktlich zum ersten Juni bunt schillerten. Pride-Paraden melden Einbrüche bei den Sponsorengeldern. So bitter dieser Rückschritt ist: Vielleicht werden großformatig knutschende Männer, wie hier in der neuen Pride-Capsule von Diesel, künftig wenigstens wieder ein bisschen Punk. Das Motiv stammt von der Tom of Finland Foundation, die sich seit den 1980ern für queere Kunst einsetzt. Falsche Alliierte braucht schließlich niemand, egal auf welcher Seite des Atlantiks.
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