Muss ich mich schlecht fühlen, wenn ich kein Trinkgeld gebe?

»Ich kaufe mir morgens auf dem Weg zur Arbeit gerne einen Kaffee to go bei einer amerikanischen Kaffeehaus-Kette, die insgesamt eher hochpreisig ist. Seit einigen Wochen muss ich beim Bezahlvorgang, der über Karte geschieht, jedes Mal in zwei Schritten festlegen, ob und wie viel Trinkgeld ich geben möchte – oder eben Trinkgeld ablehnen. Dies verärgert mich, da es mir jedes Mal schon morgens eine Entscheidung abverlangt und deshalb ungute Gefühle beschert, mit denen ich mich nicht bei jedem Kaffeekauf beschäftigen möchte. Ich bin grundsätzlich großzügig und gebe gerne Trinkgeld. Aktuell ist mir dazu jedoch die Lust vergangen. Was tun?« Gisela K., München
Zunächst einmal hilft es der Laune, sich bewusst zu machen, warum es diese Tasten für Trinkgeld gibt. Das hat nämlich nichts mit Schikane zu tun, sondern damit, dass immer seltener bar bezahlt wird – bei Kartenzahlung aber weniger Menschen von allein auf die Idee kommen, dem Personal Trinkgeld zu geben. Das hat man festgestellt und Tasten für Trinkgeld daher fest ins Bezahlsystem integriert. Die Idee kommt aus den USA, wo Trinkgeld allerdings auch eine Notwendigkeit ist: Es macht da einen Großteils des Lohns der Angestellten aus, die auf ihren tip von zehn, zwanzig Prozent wirklich angewiesen sind.
In Deutschland bezahlen viele große Kaffeehausketten ihre Mitarbeiter nach Tarifvertrag. In kleineren Cafés wird wenigstens der gesetzliche Mindestlohn gezahlt, dieser liegt aktuell bei 12,82 Euro die Stunde. Vielleicht verspüren Sie mal das Bedürfnis, diesen Stundenlohn, der ja nun nicht die Welt ist, aufzubessern. In diesem Fall ist es bequem, dafür einfach nur eine Taste zu drücken. Müssen Sie aber nicht. Es ist eine freiwillige Gabe, und Sie sind bestimmt nicht allein damit, sich davon, dass Sie dies mit Drücken einer Taste extra ausschlagen müssen, unter Druck gesetzt fühlen. Da kommt man so aggressiv rüber, wie man es nicht gemeint wissen wollte.
Um sich von diesem gefühlten Psychodruck zu befreien, haben Sie folgende Möglichkeiten. A) Bezahlen Sie, wo immer möglich, bar. B) Entscheiden Sie erst mal grundsätzlich, immer die Taste »Kein Trinkgeld« zu drücken – irgendwann haben Sie sich daran gewöhnt, ähnlich wie man sich antrainieren kann, auch mal Nein auf eine Bitte zu antworten, und Sie werden das ohne Gewissensbisse durchziehen. Wenn Sie diese innere Coolness erreicht haben, sind Sie frei. Dann können Sie je nach Situation und Laune mal diese, mal eine andere Taste drücken. Das ist das Ziel.
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