Warum kaufen wir oft Nahrungsergänzungsmittel?: Warum Nahrungsergänzungsmittel so beliebt sind

Was Selbstoptimierung, Social Media und die Sehnsucht nach Sicherheit mit dem Schlucken von Supplementen zu tun haben? So einiges! Denn schon lange bestimmt nicht mehr nur allein die ärztliche Diagnose darüber, ob wir Nahrungsergänzungsmittel nutzen oder nicht: "Supplemente liefern eine scheinbar einfache Lösung für ein komplexes Problem. Eine Tablette oder Tropfen einzunehmen, die mich mit allen notwendigen Nährstoffen versorgen, ist einfacher, als jeden Tag frische Zutaten einzukaufen und diese aufwändig zuzubereiten", weiß Dr. Laura König, Leiterin der Abteilung für Gesundheitspsychologie am Institut für Klinische und Gesundheitspsychologie in Wien. Wir zeigen dir, wie du die psychologischen Effekte hinter der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln erkennst und in welche Vitaminfallen du keinesfalls tappen solltest.

"Es geht längst nicht nur um Mangelvermeidung, sondern um Optimierung"

Viele Menschen sind heutzutage verunsichert, wenn es um das Thema gesunde Ernährung geht. "Wir wissen hierzu zwar ziemlich viel, ernähren uns dennoch oft nicht so, wie wir es uns vornehmen. Daraus entstehen schnell Schuldgefühle", erklärt Frédéric Letzner, Experte für Ernährungspsychologie. Diese Unsicherheit und das schlechte Gewissen führen laut des Experten dazu, dass wir dann zu Nahrungsergänzungsmitteln greifen – als eine Art Kompensation.

"Es wird sich dadurch ein Gefühl von Sicherheit zurückgeholt. Nach dem Motto: 'Okay, ich hab gestern zwar nicht ideal gegessen, aber ich nehme ja meine Tabletten'. Es ist wie ein moderner Ablasshandel: Statt echter Verhaltensveränderung wird sich ein gutes Gefühl gekauft", so Letzner weiter. Und: Viele Menschen glauben, durch solche Produkte noch etwas besser zu sein – gesünder, fitter, konzentrierter. Es gehe längst nicht nur um Mangelvermeidung, sondern um Optimierung.

Natürlich gibt es bestimmte Risikogruppen, für die Supplemente sinnvoll sein können. Aber das, was wir aktuell sehen, ist ein absolut übertriebener Konsum – und in vielen Fällen völlig unnötig.

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Supplemente: Lebensnotwendig oder Lifestyle-Produkt?

In den sozialen Medien werden Nahrungsergänzungsmittel mit teils halblegalen Methoden beworben – insbesondere über emotionale Geschichten und Selbsterfahrungen. Frédéric Letzner sieht das kritisch: "Es werden persönliche Leidens- und Heilungsgeschichten geschildert, die eine gesundheitsbezogene Wirkung suggerieren, obwohl solche Aussagen in dieser Form selten zulässig sind. In den sozialen Medien oder im Network-Marketing ist das eine gängige Praxis – und sie trifft Menschen genau da, wo sie unsicher und empfänglich sind."

Fans von Nahrungsergänzungsmitteln hätten zudem ein ausgeprägtes Gesundheitsmotiv und seien bereit, viel zu tun, um die Gesundheit zu erhalten und zu fördern – auch mit teueren Supplements, wie Dr. Laura König, Expertin für Gesundheitspsychologie, weiß. "Dazu kommt, dass Nahrungsergänzungsmitteln häufig von Lifestyle-Influencer:innen vermarktet werden, die insgesamt für einen gesunden Lebensstil – oft trotz vollem Terminkalender – stehen. Zwischen Essensfotos und Reels der produktiven Morgen- oder Abendroutine werden die Produkte gezielt platziert. So wird suggeriert: Das Einnehmen von Nahrungsergänzungsmitteln gehört zu einem gesunden, erfolgreichen Leben dazu", so König.

Psychologischer Effekt der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln

Wer zu Nahrungsergänzungsmitteln greift, habe vor allem eine psychologische Wirkung, wie der Experte für Ernährungspsychologie erklärt: "Viele Menschen sagen, 'Das hilft mir total, ich fühle mich danach besser'. Und das kann tatsächlich stimmen, aber nicht unbedingt wegen der Inhaltsstoffe, sondern weil der Glaube an die Wirkung stark genug ist. Der Placeboeffekt ist ein mächtiger Faktor." Allein die Handlung, etwas für sich zu tun, könne schon beruhigend und stabilisierend wirken – selbst wenn es objektiv betrachtet keinen messbaren Nutzen habe.

Der psychologische Effekt ist real, aber eben vergleichbar mit der Wirkungsweise von Globuli.

Diese Glaubenssätze stecken hinter dem Supplemente-Wahn

Doch wenn gar kein Nährstoffmangel vorliegt – warum greifen wir dennoch immer wieder gern zu den kleinen Kapseln, Tabletten, Tropfen und Pulvern mit den großen Gesundheitsversprechen? Gesundheitspsychologie-Expertin Dr. Laura König kennt zahlreichen Studien, die sich genau mit dieser Thematik beschäftigen. Zu den Ergebnissen zählen unter anderem die folgenden tief verankerten Glaubenssätze:

• Der Wunsch, seine Gesundheit zu erhalten oder zu fördern, bzw. die Sorge davor, krank zu werden
• Der Glaube an die positiven Auswirkungen von Nahrungsergänzungsmitteln
• Andere Personen im engeren sozialen Umfeld nehmen ebenfalls Nahrungsergänzungsmittel ein und berichten positive über diese
• Positive Darstellung von Nahrungsergänzungsmitteln in den sozialen Medien, z.B. durch Lifestyle-Influencer

Hinzu komme das stark vom Marketing verbreitete Narrativ, dass in unserem Obst und Gemüse heutzutage gar nicht mehr genug Nährstoffe für den menschlichen Körper enthalten seien, so Letzner. Damit werde suggeriert, dass eine ausgewogene Ernährung allein gar nicht ausreicht und zwangsläufig supplementiert werden müsse, um gesund zu bleiben. "Das ist eine klassische Angstrhetorik. 'Wenn du es nicht nimmst, wirst du krank, faul oder du stirbst früher'. Solche Botschaften funktionieren psychologisch enorm gut, weil sie an unsere Grundängste appellieren und gleichzeitig einfache Lösungen anbieten", erklärt Ernährungspsychologie-Spezialist Letzner.

Nahrungsergänzungsmittel können nach einer ärztlichen Diagnose also äußerst hilfreich sein, um die Nährstoffspeicher wieder aufzufüllen. Gesunden Menschen, die sich ausgewogen ernähren und auf einen gesunden Lebensstil achten, nützen sie meist wenig. Wer zu Supplementen greift, sollte vor dem Kauf unbedingt auf die Qualität der Produkte achten und den Nährstoffstatus regelmäßig ärztlich überprüfen lassen, um gesundheitlichen Problemen vorzubeugen.

Brigitte

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