Deutsche Freiwillige im Ukraine-Krieg: Warum Hanz und Wizard ihr altes Leben hinter sich ließen

Charkiw/Lwiw. Als Kind flog Hanz in seiner bayerischen Heimat gern Spielzeugdrohnen. Heute steuert der 20-Jährige tödliche Kamikazedrohnen über der Ostukraine. Der Deutsche aus der Nähe von München hat seine Ausbildung zum Verkäufer abgebrochen, um sich den ukrainischen Streitkräften anzuschließen. Seit Dezember ist er im Land, inzwischen kämpft er an der Front in der Region Charkiw. Bei der Internationalen Legion, die Freiwilligen aus dem Ausland offensteht, wurde er zum Drohnenpiloten ausgebildet. Wie es sich für anfühlt, einen Menschen zu töten? „Das ist ein neues Gefühl“, sagt Hanz. „Die Russen versuchen, mich zu töten. Anscheinend mache ich einen besseren Job.“
Erst am Abend vor dem Treffen ist Hanz von der Front gekommen. Wie fast alle Deutschen in diesem Bericht möchte er mit seinem Kampfnamen zitiert werden. Der eher schmächtige junge Mann mit dem flaumigen Bart tritt bescheiden auf – nicht wie ein Hasardeur, nicht wie ein kaltblütiger Kämpfer. Warum er in die Ukraine gegangen ist? „Ich habe in den Nachrichten gesehen, wie Zivilisten unter der russischen Aggression leiden“, sagt er. „Diese Ungerechtigkeit, das Bombardement von zivilen Zielen wie Supermärkten oder Krankenhäusern.“
Seine Eltern seien besorgt gewesen, sagt Hanz. „Aber sie haben gesagt, wenn das mein Wunsch ist, dann soll ich meinem Herzen folgen.“ Natürlich habe er an der Front Angst. „Aber ich denke, es ist für das große Ganze. Selbst wenn man verletzt oder getötet wird, dann hat man zumindest etwas bewegt und ist nicht irgendwann einsam und allein im Alter gestorben.“
Bei der ukrainischen Armee hat Hanz einen Vertrag über drei Jahre unterschrieben, und obwohl nicht einmal ein Drittel der Zeit vergangen ist, denkt er schon über eine Verlängerung nach. „Wenn der Krieg noch nicht vorbei ist, hänge ich noch einmal drei Jahre dran.“

In der Ukraine trauern unzählige Frauen und Kinder um ihre im Krieg getöteten Männer und Väter. Um den Verlust zu verarbeiten, organisieren Kriegswitwen in der Ostukraine Gesprächsgruppen. Verhandlungen mit Putin erteilen viele eine Absage. Ein Besuch in Frontnähe.
Hanz kann sich eine Rückkehr in sein altes Leben in Deutschland nur schwer vorstellen. Dass er nach der Ukraine seine dort gewonnen Fähigkeiten woanders einsetzt, schon eher. „Ich denke mal, Drohnen sind die Zukunft der Kriegsführung“, sagt der 20-Jährige. „Dementsprechend gibt es wahrscheinlich auch an anderen Orten der Welt noch Arbeit zu tun.“
Sein deutscher Kamerad mit dem Kampfnamen Wizard sagt: „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich machen sollte, wenn ich wieder nach Hause komme.“ Der 34-Jährige aus der Nähe von Hannover hat früher im IT-Support für Apple gearbeitet. „Man bewegt nichts und arbeitet nur an First-World-Problemen“, sagt er rückblickend. „Hier tue ich etwas fürs Allgemeinwohl.“
Anders als Hanz war Wizard früher zwei Jahre Zeitsoldat in Deutschland. Die Bundeswehr – die bald erstmals mit Kamikazedrohnen ausgestattet werden soll – könne viel von den Ukrainern lernen, sagt er. „Nicht nur im Bereich Drohnen, auch bei Strategie und Taktik. Die Bundeswehr musste ja nie gegen die Russen kämpfen.“
Wizard ist schon kurz nach dem russischen Überfall im Februar 2022 in die Ukraine gegangen. „Ich habe im Fernsehen gesehen, wie die Panzer über die Grenze gerollt sind. Mich hat das mitgenommen, ich konnte nicht mehr richtig arbeiten oder schlafen.“ Heute ist er stellvertretender Kommandeur eines Zugs von bis zu 30 internationalen Soldaten.

Max, ein deutscher Soldat im Dienst der ukrainischen Armee.
Quelle: Andy Spyra
Auf sozialen Medien seien nur „die coolsten Ausschnitte“ des Einsatzes zu sehen. „Es ist aber viel mehr dahinter“, sagt Wizard. „Es ist viel mehr Horror.“ Hanz sagt, deutsche Freunde von ihm überlegten, auch in den Krieg in der Ukraine zu ziehen. „Ich werde niemandem Lügen darüber erzählen, wie es hier ist. Aber ich werde auch niemanden davon abhalten, hierherzukommen.“
Die ausländischen Kämpfer in der Ukraine sind keine Freischärler oder Söldner, sondern Teil der regulären Streitkräfte. Die Armee macht keine Angaben zu ihrer Zahl, klar ist aber, dass sie von fast allen Kontinenten kommen. Ihr Sold entspricht dem der Ukrainer und liegt in Frontnähe bei rund 2500 Euro – reich wird man nach deutschen Maßstäben also nicht.
Sechs deutsche Kämpfer wurden für diesen Bericht interviewt. Keiner von ihnen hat eine Partnerin oder einen Partner in Deutschland, bei manchen von ihnen wirkt die neu gefundene Kameradschaft wie Familienersatz. Obwohl sie früher keine Verbindung zur Ukraine gehabt haben, haben sie alles in der alten Heimat zurückgelassen. Sie haben ihre Jobs und Wohnungen gekündigt, manche haben ihre Autos und Häuser verkauft.
Bei den meisten von ihnen wird im Gespräch deutlich, dass sie ihr Leben in Deutschland nicht erfüllt hat, dass sie auf der Suche nach einem Sinn gewesen sind – und sie ihn in der Ukraine gefunden haben. Dort verteidigen sie nach ihrer übereinstimmenden Überzeugung auch die Freiheit und Demokratie in Europa. Keiner der Männer erweckt den Eindruck, dass er Freude am Töten hat. „Töten ist notwendig, man muss es halt machen“, sagt Wizard. Für ihn ist Töten keine Heldentat, sondern gehört zum Überleben. „Die oder wir.“
Dass die ausländischen Kämpfer in ihren Heimatländern oft mit Argwohn betrachtet werden, liegt womöglich auch an der russischen Propaganda – die ohne Belege versucht, sie allesamt als Kriminelle oder Terroristen, als Mörder oder Neonazis zu diskreditieren. Wizard sagt: „Mir sind einige Idioten untergekommen, aber eben auch viele gute Jungs. Keiner von denen kommt von der Front zurück und sagt, geil, ich habe viele Russen kaltgemacht. Das läuft bei uns auf einer professionellen Ebene ab.“ Sein Zug versuche, „Spinner von vornherein auszusortieren“.
Der Niedersachse sagt, er stamme aus einem SPD-Bundesland. „Ich bin wirklich kein Nazi-Fan.“ Hanz ergänzt: „Es gibt vereinzelt Rechtsextremisten, nicht nur aus Deutschland. Aber die gehen schnell wieder, oder sie werden gegangen.“

Siegfried, ein deutscher Ex-Soldat, der für die ukrainische Armee kämpft.
Quelle: Andy Spyra
Siegfried (47) heißt mit Vornamen wirklich so, er wurde in Kasachstan geboren und ist 1994 nach Deutschland gekommen. Der Gelsenkirchener war Fallschirmjäger und Mörserschütze bei der Bundeswehr, er ist gelernter Kampfmittelräumer. Bereits von 2015 bis Anfang 2020 kämpfte er als Freiwilliger in der Ostukraine gegen die von Russland unterstützten Separatisten, dann kehrte er nach Deutschland zurück. Im Februar 2022 war Siegfried wieder in der Ukraine, am Tag vor seiner geplanten Ausreise marschierten die Russen ein. „Dann bin ich geblieben“, sagt er.
Das Treffen mit Siegfried findet in einem Restaurant in der Stadt Charkiw statt. Der groß gewachsene Soldat mit der Glatze und dem langen grauen Bart hat Urlaub von der Front und ist gerade auf dem langen Landweg ins weit entfernte Ruhrgebiet. Wo für ihn nach all den Jahren in der Ukraine seine Heimat sei? „Wenn man in Gelsenkirchen in die Kneipe geht und dort einen Halben und einen Kurzen bestellt, dann weiß man, wo das Zuhause ist“, sagt der Schalke-Fan – er erklärt, dass er dann ein Pils und einen Whiskey bekommt. „Aber die Ukraine ist abgesehen vom Krieg immer noch ein schönes Land.“
Siegfried bildet ausländische Freiwillige aus und ist nach seiner Darstellung „quasi der Integrationsbeauftragte“ seiner Einheit in der Region Charkiw. „Wenn jemand seine Motive nicht offenlegen möchte und stattdessen irgendwelche verqueren Geschichten erzählt, dann ist das definitiv ein Ausschlussgrund“, erklärt er. „Wir erwarten, dass du uns sagst, was du hier willst. Wenn du mir erzählst, ich habe 20 Jahre in der französischen Fremdenlegion gedient, und du kannst das nicht nachweisen, dann bist du ein Lügner.“
Die ausländischen Freiwilligen seien eine wichtige Stütze für die ukrainischen Streitkräfte, sagt Siegfried. „Die Ukraine ist darauf angewiesen, sich zu verteidigen, und inzwischen an dem Punkt angelangt, an dem es egal ist, was für Hintergründe die Ausländer haben. Sie dürfen nicht kriminell oder zur Fahndung ausgeschrieben sein. Aber wenn jemand für die Ukraine kämpfen will, ist der Armee gleichgültig, wie seine politische Haltung zu Hause war. Er kann Anarchist sein, Linker, Rechter oder vollkommen unpolitisch. Hier ist jeder einfach ein Freiwilliger.“
In der westukrainischen Region Lwiw bildet die Internationale Legion Ausländer auf den Fronteinsatz vor. Der Weg zum Trainingsareal führt vorbei an einem Friedhof, auf jedem der vielen Gräber der Gefallenen weht die blau-gelbe Flagge der Ukraine. Die Männer aus der Bundesrepublik und anderen Ländern sind in amerikanischen Armeezelten untergebracht.
Einer der Deutschen kommt aus Nordrhein-Westfalen und will Koza genannt werden, sein Alter möchte er nicht angeben. Koza ist Ausbilder an einer Bundeswehr-Infanterieschule gewesen, bevor er in die Ukraine gegangen ist. „Die Ausbildung hier ist relativ gut“, sagt Koza. „Hier wird man ausgebildet, um an einem Krieg teilzunehmen. In Deutschland wird man ausgebildet, um Teil einer militärischen Reserve zu sein. Das ist ein riesiger Unterschied.“ Seine alte Einheit in Deutschland sei „garantiert nicht kriegsbereit“.
Kozas Kamerad Bobcat war zuletzt Straßen- und Tiefbauer in Niedersachsen, der 28-Jährige nennt sein militärisches Training in Lwiw „hervorragend“. Was sein Umfeld dazu gesagt habe, dass er in die Ukraine gehe? „Meine Eltern und meine Geschwister sind vor sechs Jahren bei einem Autounfall verstorben“, antwortet Bobcat. Freunde bei der Nato hätten ihm dringend abgeraten – „weil das Risiko zu sterben so hoch ist. Aber ich bin ein Dickkopf. Wenn ich mir das in den Kopf setze, dann ziehe ich das durch. Und jetzt bin ich hier.“
Natürlich sei die Gefahr immer im Hinterkopf, sagt Bobcat. „Aber ich sehe das so: Sie können auch auf der Baustelle in Deutschland einen Arm oder ein Bein verlieren.“ Bobcat ist in derselben Ausbildungseinheit wie Rebel, der Elektriker und Mechaniker aus Hessen ist eigentlich nicht zum Kämpfen in die Ukraine gekommen – er wollte beim Wiederaufbau helfen. Der 42-Jährige lebt getrennt von seiner Ehefrau und hat zwei kleine Kinder in Deutschland, die er selten sieht. Dennoch ist er überzeugt davon, das Richtige zu tun.
Erst habe er als Deutsch- und Englischlehrer gearbeitet, sagt Rebel. „Die Menschen waren so gut zu mir, irgendwann wollte ich für sie einstehen und kämpfen.“ Dass die Russen seit Langem vorrückten und die Ukraine in der Defensive sei, habe ihn nicht von seinem Entschluss abhalten können – ganz im Gegenteil. „Man muss sich doch auf die Seite des Schwächeren stellen“, sagt Rebel, der wie seine Kameraden mit Sturmgewehr und maskiertem Gesicht zum Gespräch erscheint. „Das ist wie zu Hause auf der Straße. Wenn du siehst, dass ein Schwächerer bedrängt wird, dann musst du ihm doch auch helfen.“
Mitarbeit: Yurii Shyvala
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