Die geplante GEMA-Reform ist eine Gefahr für alle Künstler und Hochschulen

Bei der geplanten GEMA-Reform werden die Autoren von U- und E-Musik gleichermaßen verlieren. Sie macht nur die großen Konzerne stark und gefährdet Deutschlands Ausbildungslandschaft.
Die GEMA will das Verteilungsmodell ihrer Gebühreneinnahmen reformieren. Was nach unspektakulärer Weiterentwicklung klingt, hat tatsächlich gravierende Folgen für die Musikkultur in Deutschland. Denn die derzeit noch reichhaltige Diversität von neu geschaffener Musik würde zugunsten eines zunehmend kommerzialisierten Mainstreams aufs Spiel gesetzt.
Wenn nur noch eine rein inkassobezogene Verteilung der GEMA-Gebühreneinnahmen vorgenommen würde, wie aktuell geplant, sich also die Bezugsgröße vom Werk auf dessen Nutzung verschieben würde, könnten junge Komponisten kaum noch hoffen, irgendwann einmal ordentliche Mitglieder der GEMA zu werden und von Gebühreneinnahmen zu profitieren, da ihre Werke nur geringe Aufführungszahlen haben und ihr Mindest-Aufkommen aufgrund der neuen Regelungen nicht mehr ausreichen würde für eine Mitgliedschaft. Selbst ein Vielschreiber wie Johann Sebastian Bach hätte dann kaum Chancen, da er bekanntlich fast ausschließlich für den (inkassoarmen) Bereich der Kirchenmusik komponierte.

Die GEMA argumentiert, dass die Trennung von E- und U- Musik, also der sogenannten ernsten und unterhaltenden Musik nicht mehr zeitgemäß sei. Tatsächlich inspirierten sich beide Bereiche schon immer, griff die Kunstmusik populäre Melodien oder Formen auf, sei es bei Mozart, Beethoven, Hindemith oder in der aktuellen elektronischen Musik, während Klanglichkeit und Formensprache der Kunstmusik in die populäre Musik Eingang fanden, denkt man an Bands wie Kraftwerk. Deshalb unterstützen die Musikhochschulen eine Ausweitung der Förderung auf Bereiche, die bisher als U-Musik gelten und weniger gefördert wurden.
Der aktuelle Reformvorschlag wird die Verteilungsgerechtigkeit nicht verbessern. Er hätte vielmehr zur Folge, dass alle Mitglieder, egal ob in der U- oder E-Musik weniger erhalten. Die Bedingungen für alle Musikkreativen wären dann immerhin, zynisch formuliert, gleich, nämlich gleich schlechter. Gewinner wären die Musikindustrie und global agierende Konzerne. Sie würden mehr erhalten. Statt mehr Verteilungsgerechtigkeit brächte diese Reform eine Umverteilung von unten nach oben, von den kreativen Geringverdienern hin zu den großen Verwertern.
Was die Sache zum Ärgernis macht: Die Reform hebelt das Solidarprinzip aus, das bisher gilt. Dabei betrifft dieser Bereich überhaupt nur einen sehr kleinen Teil der weitergegebenen Gebühreneinnahmen. Wenn die GEMA, wie sie sagt, die Trennung von U- und E-Musik überwinden, vermeintliche Ungerechtigkeiten beheben und die Förderung auf andere Bereiche erweitern will, damit mehr Mitglieder, beispielsweise aus dem Bereich experimenteller U-Musik profitieren, dann könnte sie dies leicht aus dem Gesamttopf finanzieren, ohne die Bedingungen für junge Komponisten von experimenteller Musik derart zu verschlechtern, dass sie kaum noch Fuß fassen können im Berufsfeld.
Zeitgenössische Musik, ganz allgemein Musik, die von ihren Zuhörenden etwas fordert, wie Helmut Lachenmann es in dieser Zeitung formulierte, als „unverzichtbare, letztlich aber schwierige und anspruchsvollere Erinnerung an unsere ästhetischen Bedürfnisse und Neugier als Teil unserer geistigen Versorgung“, droht nicht weniger als die Marginalisierung im Musikleben.
Das Musikland Deutschland zog die bedeutendsten internationalen Musikkreativen an. Von Boulez über Cage bis Gubaidulina, auch kommerzieller ausgerichtete Komponisten wie John Adams oder Cross-Over-Spezialisten wie Gunther Schuller machten hier ihre Karrieren, weil es Förderstrukturen und Verdienstmöglichkeiten gab – dank der GEMA. Damit wäre es mit der Reform vorbei.
Künstlerisches Wachsen, Reflektieren, eine eigene Sprache finden, neugierig und mutig sein, sich im Studium Zeit lassen wird künftig abgewertet. Nur wer sich schnell kommerziell durchsetzt, kann von der GEMA finanziell etwas erwarten. Und das bedeutet im Ergebnis, dass der Mainstream sich verbreitert und die kulturelle musikalische Vielfalt abnimmt.
Wie können junge Studierende, Musikkreative, egal ob im klassischen oder populären Bereich, unter diesen Umständen frei ihre eigene künstlerische Identität entwickeln? Wie kann man künstlerische Arbeit vor dem Zugriff rein finanzieller Interessen schützen? Auf all das hat die GEMA bisher keine Antwort gegeben.
Die deutschen Musikhochschulen fordern die GEMA auf, die Reform zu verschieben. Die Musikhochschulen erwarten, dass die Reform breit mit allen unmittelbar Betroffenen, auch den im Aufsichtsrat kaum vertretenen Komponisten der Neuen Musik diskutiert werden und in ihren Folgen für das Musikland Deutschland bedacht werden.
Die GEMA hat ein Monopol. Das verpflichtet sie – für die Musikkultur in Deutschland, auch für die Zukunft der zeitgenössischen Musik!
Frankfurter Allgemeine Zeitung