Ein anderer Wahlbrief aus Washington
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Liebe Leserinnen und Leser,
eine Bundestagswahl aus der Ferne zu verfolgen, ist eine eigenartige Erfahrung - erst recht, wenn man 6000 Kilometer westlich von Berlin lebt. Es begann damit, dass die ersten Prognosen um 12 Uhr mittags nicht über den Fernseh-, sondern über den Computerschirm flimmern, während draußen die Sonne schien. In der Washingtoner Nachbarschaft interessiert das keinen, weshalb die deutsche Botschaft am Sonntag freundlicherweise zu einer Watch-Party eingeladen hatte, bei der es Brezeln, Obatzter (und für Früh-Trinker auch Bier) gab. Das half ein bisschen.
Doch dieses Mal hatte ich ein ganz besonders komisches Gefühl. Meine Wahlunterlagen waren nämlich nicht angekommen (sie steckten gestern im Briefkasten). Zum ersten Mal in meinem erwachsenen Leben konnte ich meine Stimme nicht abgeben. Passiv musste ich zusehen, wie die bunten Balken wuchsen oder schrumpften. Meinen Frust darüber habe ich mir in der vergangenen Woche von der Seele geschrieben. Damit will ich Sie heute nicht weiter belästigen. So wie mir ging es Zehntausenden Deutschen, die im Ausland leben. Ich hoffe, die öffentliche Empörung war laut genug, um sehr bald und jedenfalls rechtzeitig vor der nächsten Wahl lange überfällige Änderungen zu erzwingen. Am einfachsten wäre es, wenn Deutsche - wie beispielsweise Franzosen - bei Botschaften und Konsulaten ihre Stimmen abgeben könnten. Dafür würde ich dann zur Not auch auf die Brezel verzichten.
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Er hat die Wahl gewonnen und wird wohl der neue Bundeskanzler werden: Friedrich Merz.
Quelle: Getty Images
Damit herzlich willkommen zum neuen RND-US-Newsletter aus der amerikanischen Hauptstadt. Während sich die Parteien in Berlin gerade erst einmal sortieren, sitzt hier seit fünf Wochen ein neuer Präsident im Weißen Haus - oder besser gesagt: Es wütet rund um die Uhr ein imperialer Tsunami durch die äußerlich so pittoreske Regierungszentrale. Hunderte Dekrete, Behördenschließungen, Kündigungen, Abschiebungen, Umbenennungen von Meeren und bizarrste Personalentscheidungen hat es schon gegeben. Jede Minute droht ein neuer Einschlag. Darum und um die Folgen für Deutschland soll es heute gehen.
Ich gebe zu: Aus der unendlichen Ferne von Trumpistan wirken manche politische Streitereien in Deutschland ziemlich marginal. Wenn man erlebt, wie über Nacht die tragenden Säulen einer 250 Jahre alten Demokratie zusammenkrachen, aus gewalttätigen Putschisten patriotische Helden gemacht werden, im angeblichen Kampf für die Meinungsfreiheit die Presse gegängelt und eingeschüchtert wird und an den Laternenmasten der Nachbarschaft heimlich Notfall-Telefonnummern plakatiert werden, falls plötzlich die Abschiebepolizei vor der Tür steht, kann man sich über den Preis des Deutschland-Tickets der Bahn nicht so wirklich erregen.
Das macht für mich im Rückblick die verpasste Möglichkeit zur Stimmabgabe eher erträglich. Ich werde nicht verraten, welchen Kandidaten oder welche Kandidatin ich - zugegebenermaßen mit Bauchschmerzen - unterstützt hätte. Aber wichtig war mir vor allem, dass es angesichts der Bedrohungen unserer liberalen Gesellschaft durch rechtsnationalistische Demokratiefeinde im Inneren und im Äußeren möglichst bald eine handlungsfähige Bundesregierung gibt, die offensichtliche Probleme angehen und deutsche Interessen wahrnehmen kann. Ein Zweierbündnis scheint mir dafür die besten Voraussetzungen zu bieten.
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Donald Trump unterzeichnet ein Dekret – eines von etlichen seit dem Beginn seiner Amtszeit.
Quelle: IMAGO/Newscom / AdMedia
Falls Sie den dramatischen Ton für überzogen halten, hier noch mal kurz eine Erinnerung an die transatlantische Zeitenwende seit Jahresbeginn: Der amerikanische Präsident behandelt verbündete Staaten wie Kolonien. Er mischt sich in deren innere Angelegenheiten ein und arbeitet auf den Sturz von liberalen Regierungen hin. Europa hält er für einen Gegner, dessen Wirtschaft er mit weitreichenden Zöllen schädigen will. Für ihn hat nicht der russische Machthaber Wladimir Putin, sondern der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den Ukraine-Krieg zu verantworten. Und aus dem Gazastreifen, wo fast 50.000 Menschen ihr Leben und Hunderttausende ihr Zuhause verloren haben, will er eine Vergnügungsmeile mit Golfclubs für superreiche Amerikaner und Amerikanerinnen machen.
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Das alles klingt wahlweise wie eine bitterböse Satire oder eine finstere Dystopie. Ist es aber nicht. Für die Ukraine geht es buchstäblich ums Überleben. Schon in wenigen Wochen will Trump hier mit seinem Autokratenfreund Putin Nägel mit Köpfen machen. Vor allem will er sich Bodenschätze im astronomischen Wert von 500 Milliarden Dollar unter den Nagel reißen. Der Rest ist dem Deal-Maker ziemlich egal und soll im Zweifelsfall von den Europäern geregelt werden. Eilig sprechen gerade dessen Staats- und Regierungschefs in Washington vor: Am Samstag kam der polnische Präsident Andrzej Duda, der mit einem Zehn-Minuten-Gespräch abgespeist wurde. Am gestrigen Montag war der französische Präsident Emmanuel Macron hier und versuchte schmeichelnd ein paar ernste Botschaften loszuwerden. Am Donnerstag kommt der britische Premierminister Keir Starmer.
Deutschland, der mit Abstand stärkste europäische Ukraine-Unterstützer und überdies die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, ist mangels handlungsfähiger Regierung gerade ein Totalausfall. Dabei muss es nicht nur nach Meinung des moderat-konservativen Außenpolitikers und führenden Trump-Kritikers Adam Kinzinger, mit dem ich am Sonntag sprechen konnte, dringend in Europa eine Führungsrolle übernehmen.
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Donald Trump tanzt nahezu durch die ersten Wochen seiner Präsidentschaft.
Quelle: ZUMA / Zuma Press
Wie schnell, das konnte man am Wochenende in Washington sehr eindrücklich erleben. Bevor ich mir in der Botschaft eine Brezel gönnte, war ich auf der anderen Seite des Potomacs in einem ebenso scheußlichen wie gigantischen Tagungshotel bei der CPAC-Tagung gewesen. Früher war die „Conservative Political Action Conference“ mal eine jährliche Freakshow und Kontaktbörse von durchgeknallten Verschwörungsideologen, christlichen Eiferern und rechtsnationalen Aktivisten gewesen, die am Rande der republikanischen Partei vegetierten. Heute verkörpert die Veranstaltung, wo Trump wie einem Gott gehuldigt, pausenlos Hass auf die Vertreter des „woken“ Zeitgeists gepredigt und gelegentlich auch mal der rechte Arm zum Hitlergruß gehoben wird, den Mainstream der amerikanischen Regierungspartei.
Genauso möchten es die Rechtspopulisten auch in Europa haben. Bei der CPAC wurden sie unter anderem vom slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico, der britischen Ex-Premierministerin Liz Truss, ihrem polnischen Kollegen Mateusz Morawiecki, dem französischen Le-Pen-Anführer Jordan Bardella, dem ungarischen Ministerpräsidenten-Berater Balazs Orban und der per Video zugeschalteten italienischen Premierministerin Giorgia Meloni vertreten. Auch mehrere AfD-Europapolitiker waren da. Und Werteunion-Chef Hans-Georg Maaßen, der mir im Foyer begegnete. Die Trump-Rede am Ende des Kongresses scheint den biederen Nickelbrillen-Bürokraten im Dreiteiler komplett berauscht zu haben. Jedenfalls pöbelte der einstige Verfassungsschutzchef bei X gegen „feminisierte Weicheier“ in seiner Heimat und drohte: „Der Krieg gegen den Globalismus, Wokismus und die Klimasekte wird in Europa entschieden. Ich bin überzeugt, dass wir diesen wahnsinnigen Ideologien das Genick brechen werden.“
Da kann einem ein Schauder den Rücken herunterlaufen. Maaßens Partei holte bei der Bundestagswahl 6803 Stimmen. Aber in den USA sitzen Figuren wie er seit neuestem an der Spitze der Justiz- und Polizeibehörden und planen die gezielte Verfolgung von politischen Gegnern.
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Stewart Rhodes (l-r), Gründer der rechtsradikalen Gruppe „Oath Keepers“, Enrique Tarrio, der ehemalige Anführer der „Proud Boys“, Joseph Biggs und Zachary Rehl posieren bei einer Pressekonferenz in Nähe des US-Kapitols. Direkt zu Beginn seiner zweiten Amtszeit begnadigte US-Präsident Trump sämtliche Beteiligte des Kapitol-Sturms.
Quelle: J. Scott Applewhite/AP/dpa
Gleichsam zur Entgiftung wollte ich nach der Horrorshow der CPAC-Tagung bei „Principles First“, dem jährlichen Treffen der wenigen verbliebenen traditionellen Konservativen in den USA, vorbeischauen. Doch dann spielten sich bei deren Zusammenkunft im JW Marriott-Hotel, nur zwei Straßen vom Weißen Haus entfernt, Szenen ab, die an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte erinnern.
Gleich nach seiner Amtseinführung hat Trump 1500 Teilnehmer des Kapitolsturms vom Januar 2021 begnadigt. Dadurch kamen auch zahlreiche kriminelle Gewalttäter, die zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren, frei. Er preist sie als patriotische Helden. Die Täter werden zu Opfern. Dabei wollte „Principles First“ nicht tatenlos zusehen. Die Organisation ließ am Wochenende vier Polizisten reden, die das Parlament damals unter Lebensgefahr verteidigten und die dort tagenden Politiker schützten.
Diese tapferen Beamten müssen nun um ihr Leben fürchten. Nach seinem Vortrag wurde der Ex-Kapitolspolizist Michael Fanone im Hotel auf dem Weg zum Aufzug von einer Männergruppe verfolgt, die ihn bedrängte und filmte. Deren Wortführer, der Fanone als „Stück Scheiße“ beschimpfte, war kein anderer als Enrique Tarrio, der einstige Chef der rechtsextremen Schlägertruppe Proud Boys, der eigentlich für 22 Jahre hinter Gittern sein müsste. Demonstrativ wollte er den Polizisten in der Öffentlichkeit einschüchtern. Fanones 76-jährige Mutter, die das hilflos mit ansehen musste, war geschockt. Erst als das Sicherheitspersonal anrückte, verzog sich Tarrio fluchend und feixend mit seinen Spießgesellen. Doch am nächsten Tag gingen Bombendrohungen in dem Hotel und bei Fanones Mutter ein. Der Veranstaltungsaal und das Haus mussten geräumt werden.
„Das passiert jedes Mal, wenn ich ein Interview gebe oder irgendwo über meine Erfahrungen am 6. Januar 2021 spreche“, berichtete Fanone bei einer spontanen Pressekonferenz am Sonntagnachmittag. „Das ist Donald Trumps persönliche Braun-Hemden-Miliz“, sagte der Ex-Polizist unter Anspielung auf Hitlers Sturmabteilung (SA) in Nazi-Deutschland: „Die handeln in der Gewissheit, dass der Präsident sie im Zweifelsfall begnadigen wird.“
Als ich dann später abends zu Hause die letzten Auszählungsergebnisse der Bundestagswahl sah, war ich irgendwie erleichtert. Natürlich: 20,8 Prozent für die AfD sind alarmierend viel. Von den Ergebnissen im Osten ganz zu schweigen. Aber in Deutschland gibt es die Aussicht auf eine funktionsfähige Regierung ohne Demokratieverächter, Putin-Verehrer und Neonazis. In den USA erleben wir gerade, wie rasend schnell eine freiheitliche Gesellschaft zerstört und deren Werte ins Gegenteil verkehrt werden können. Weil ich mein Kreuzchen bei der Bundestagswahl nicht machen konnte, erlaube ich mir auf diesem Weg einen Wahlbrief an die verantwortlichen Politiker in Deutschland zu schicken: Reißt Euch zusammen, schaut über den parteitaktischen Tellerrand heraus und tut alles, um eine solche Entwicklung zu verhindern! Es könnte die letzte Chance sein.
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Elon Musk erhält während seines Auftritts auf der CPAC, der jährlichen Conservative Political Action Conference im Gaylord Convention Center in Oxon Hill, eine Kettensäge als Geschenk vom argentinischen Präsidenten Javier Millei.
Quelle: ZUMA / Zuma Press
Elon Musk ist die mit Abstand schillerndste und mächtigste Figur im Kosmos der Trump-Regierung. Mit seiner Kostensenkungstruppe DOGE will der reichste Mann der Welt angeblich der staatlichen Verschwendung zu Leibe rücken, was ihm auch in Deutschland Sympathien eingebracht hat. Doch ganz abgesehen vom bizarren Auftritt des Tesla-Chefs, der bei der CPAC-Tagung mutmaßlich im Ketamin-Rausch derart enthemmt mit einer Kettensäge herumfuchtelte, das einem angst und bange wurde, und seinen Brutalo-Methoden mit nächtlichen E-Mail-Einschüchterungen der Staatsdiener und Kündigungen im 24-Stunden-Takt: Die Erfolgsmeldungen des übermächtigen Sparkommissars sind offenkundig weit überzogen.
Angeblich 55 Milliarden Dollar will Musk durch Personalabbau, Vertragskündigungen, Neuverhandlungen von Mieten und andere Einschnitte gespart haben. Dabei brüstet er sich in der Öffentlichkeit immer wieder mit vermeintlich spektakulären, aber unwahren Beispielen: Angeblich hatte die Entwicklungsbehörde USAID 50 Millionen Dollar für Kondome in den Gazastreifen geschickt. Tatsächlich ging das Geld zur Aids-Prävention nach Mosambik. Auch soll die Behörde die Nachrichtenseite „Politico“ mit acht Millionen Dollar subventioniert haben. In Wahrheit sind das die Abonnementkosten der gesamten US-Regierung für einen politischen Spezialinformationsdienst des Magazins.
So wundert es nicht, dass auch Musks Gesamtzahlen gelogen sind, wie das „Wall Street Journal“ und „Washington Post“ herausgefunden haben: Durch die Kündigung von 1100 Aufträgen will er 7,2 Milliarden Dollar gespart. Dabei wurden offenbar Mondzahlen angesetzt. Die von den Zeitungen befragten Experten können maximal 2,6 Milliarden Dollar nachvollziehen. Bei genauerem Hinsehen wird im Übrigen deutlich, was bei Musk als „Verschwendung“ gewertet wird: Für alleine 900 Millionen Dollar hat DOGE Forschungsaufträge des Bildungs- und Gesundheitsministeriums beendet. Damit wurden unter anderem Studien zur Alzheimer-Erkrankung und Behandlung von Schädeltraumata finanziert. Bei Musk fällt das offiziell in die Rubrik „Verwaltungsausgaben“.
Haben Sie Anregungen oder Feedback? Dann mailen Sie uns gerne an [email protected].. Den nächsten Newsletter schreibt für Sie mein Kollege Christian Fahrenbach aus New York.
Bis dahin: Sind sie vorsichtig beim Umgang mit Kettensägen aller Art!
Mit herzlichen Grüßen
Ihr Karl Doemens
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