EuGH-Urteil zu sicheren Herkunftsstaaten: Schwere Rückschläge für Dobrindts Asylpolitik

Alexander Dobrindt hatte einen Plan. Kaum im Amt als Bundesinnenminister, kündigte der CSU-Mann die Migrationswende an, ließ Binnengrenzen schärfer kontrollieren und versprach schnellere Abschiebungen. Es war der große Aufschlag eines Politikers, der lieber durchregiert als diskutiert. „Wir müssen zu schnellen und schlanken Asylverfahren kommen“, forderte er. Das Instrument seiner Wahl: die Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten, möglichst per Rechtsverordnung, ohne mühsame Umwege über den Bundesrat.
Nun bremst der Europäische Gerichtshof (EuGH) Dobrindt aus – und zwar grundlegend. In einem Urteil legten die Luxemburger Richter jetzt fest: Staaten dürfen Herkunftsländer nur dann als „sicher“ einstufen, wenn sie transparent belegen, dass dort für alle Bevölkerungsgruppen keine ernsthafte Gefahr besteht. Auch für Minderheiten, queere Menschen oder politische Aktivisten. Und die zugrundeliegenden Informationen müssen öffentlich einsehbar und überprüfbar sein. Kurz gesagt: Der Rechtsstaat verlangt akribisch Nachweise und das dürfte vieles erschweren.
Das Urteil fällt in eine politische Unzeit. Es ist ein weiterer Rückschritt in der Migrationspolitik. Erst die Klagen gegen Abweisungen an der Grenze, und jetzt das. Dabei sollte die Liste sicherer Herkunftsstaaten wachsen, darauf einigten sich die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag. Im Visier: Staaten wie Indien, Algerien, Marokko und Tunesien. Dobrindts Gesetzentwurf sah sogar vor, dass diese Länder per Verordnung zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden, ohne Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat. Für Menschen aus diesen Ländern hätte das bedeutet: kaum Chancen auf Asyl, beschleunigte Verfahren, schnelle Rückführung.
Sicherheitslagen müssen belegt, Einzelfälle berücksichtigt werdenDoch der EuGH macht daraus nun eine juristische Großbaustelle. Die bloße politische Behauptung, ein Land sei sicher, reicht nicht mehr. Sicherheitslagen müssen belegt, Einzelfälle berücksichtigt werden. Das Herzstück deutscher Asylbeschleunigungspolitik steht plötzlich auf juristisch wackeligem Boden.
„Wir halten an unserem Kurs und den verstärkten Grenzkontrollen fest“, sagte Dobrindt noch im Juni – und fügte trotzig hinzu: „Darüber sollte der Europäische Gerichtshof entscheiden.“ Nun hat er entschieden. Und das Ergebnis dürfte dem CSU-Politiker nicht gefallen. Aus seinem Minsterium hieß es daher am Freitag auf Nachfrage lediglich: Man werde das Urteil jetzt erst einmal prüfen. Ein Sprecher sagt zur Berliner Zeitung: „Das BMI wird die Entscheidung des EuGH auswerten.“ Grundsätzlich gilte bereits heute: Deutschland stufe Staaten nur dann als sichere Herkunftsstaaten ein, wenn dort die Bevölkerung als sicher gelte. Er stellt klar: „Die Gründe der Einstufung werden auch bisher im Rahmen der jeweiligen Einstufung als sicherer Herkunftsstaat offengelegt.“
Rückschlag auch für Italien: Das Albanien-Modell wackeltNicht nur Berlin ist betroffen. Im Verfahren ging es insbesondere um Italiens sogenanntes Albanien-Modell. Die Regierung von Giorgia Meloni will Asylverfahren für Menschen aus angeblich sicheren Herkunftsstaaten künftig außerhalb der EU, konkret in Albanien, durchführen. Ziel: Wer keine Chance auf Schutz hat, soll gar nicht erst europäischen Boden betreten. Zwei Menschen aus Bangladesch hatten gegen die Ablehnung ihrer Asylanträge, weil ihr Herkunftsland von Italien als sicher eingestuft wird. Sie gehörten zu denjenigen Migranten, die von Italien in Lager nach Albanien gebracht wurden. Sie bekamen nun Recht und damit erhält auch die italienische Regierung einen herben Dämpfer.
Wie es mit dem Albanien-Modell nun weitergeht, ist unklar. Denn genau dieses Konzept ist auf die rechtssichere Definition sicherer Herkunftsstaaten angewiesen. Ohne eine solide, transparente und diskriminierungsfreie Einstufung der betreffenden Länder fällt das Modell in sich zusammen. Und das ist teilweise bereits geschehen: Italiens Justiz hat das Vorhaben der rechtsnationalen Regierung vorerst gestoppt.
Dobrindt kann weitermachen wie bisher. Nur nicht so einfach.Fazit: Der EuGH erhöht nun die rechtlichen Anforderungen für alle EU-Mitgliedstaaten. Was nicht nur Berlin und Rom unter Druck setzt, sondern auch etwaige Nachahmer abschrecken dürfte. Dobrindt sieht sich nun eingeklemmt zwischen europäischem Recht, politischem Erwartungsdruck – und seiner eigenen Rhetorik. Wer Recht und Ordnung verspricht, darf sich nicht auf wackelige Rechtsgrundlagen stützen.
Und genau das könnte zum eigentlichen Dilemma werden: Die Asylpolitik der letzten Jahre war oft symbolischer Natur, migrationspolitisch laut, aber rechtlich schludrig. Mit dem Luxemburger Urteil ist damit nun Schluss. Wer Herkunftsstaaten künftig als sicher erklären will, muss den Beweis antreten – öffentlich, transparent, nachvollziehbar. Dobrindt kann zwar weitermachen wie bisher. Nur nicht so einfach. Untrem Strich ist es ein herber Rückschlag in den Bemühungen, die Migrationspolitik zu verschärfen.
Berliner-zeitung