Härtere Grenzkontrollen: Sabotieren NGO-Aktivisten die neue Asylpolitik? Erste Anzeigen

Der Streit um die Rückführung abgelehnter Asylsuchender wird immer schärfer. Nach dem ersten Zurückweisungsfall an der deutsch-polnischen Grenze seit Inkrafttreten der verschärften Grenzkontrollen geraten Nichtregierungsorganisationen wie Pro Asyl immer mehr ins Visier. Die Deutsche Polizeigewerkschaft erstattete Strafanzeige. Dann gibt es noch eine weitere gegen Bundespolizei und Bundesinnenminister Dobrindt.
Am 9. Mai versuchten drei somalische Männer offenbar zum dritten Mal, von Polen aus nach Deutschland einzureisen. Zuvor waren sie bereits zweimal an der Grenze zurückgewiesen worden, ohne Asyl verlangt zu haben. Erst beim dritten Versuch beriefen sie sich auf das Recht auf Asyl – wurden jedoch erneut zurückgewiesen. Das Verwaltungsgericht Berlin erklärte diese Maßnahme später für rechtswidrig. Damit war der erste Präzedenzfall unter der neuen Linie der Bundesregierung geschaffen.
Seitdem sorgt der Fall für Aufregung. Nicht nur juristisch, sondern auch politisch. In den Fokus rückt dabei immer mehr: Wie schafften es die drei Somalier, wieder an den Grenzübergang zu gelangen – beim dritten Mal besser vorbereitet als zuvor?

Der Verdacht: organisierte Unterstützung. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) spricht diesen brisanten Verdacht nun aus. In ihrer Strafanzeige, die der Berliner Zeitung vorliegt, wird von möglicher Beihilfe durch Dritte gesprochen – konkret ist von Unterbringung, neuer Kleidung, Mobiltelefonen und juristischer Unterstützung die Rede. Genannt wird dort auch die NGO Pro Asyl, die sich öffentlich dazu bekannt hat, den Betroffenen Rechtsbeistand vermittelt zu haben.
In der Anzeige der Polizeigewerkschaft heißt es, dass sich aus diesem Sachverhalt folgende Straftatbestände ergeben könnten: Einschleusen von Ausländern sowie Beihilfe zur unerlaubten Einreise. Mindestens einer der drei Somalier solle außerdem bei der Kontrolle die Kopie einer Geburtsurkunde vorgelegt haben, welche möglicherweise ge- oder verfälscht war. „Hier könnte der Straftatbestand der Urkundenfälschung erfüllt sein.“ Fraglich sei, „wie die Person an dieses Dokument gelangt ist und wer dieses Dokument hergestellt hat“.
Im Raum steht jetzt: Sabotage oder Rechtsstaatlichkeit?Heiko Teggatz, Vizevorsitzender der DPolG, sagt am Freitag zur Berliner Zeitung: „Pro Asyl hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie die Zurückweisungen für rechtswidrig halten.“ Er fügt hinzu: „Ob und vom wem bei diesem Gegenwirken Straftaten begangen wurden, kann nur ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren klären.“

Im Raum steht daher: Sabotage oder Rechtsstaatlichkeit? Während die Polizeigewerkschaft klare Worte wählt, sieht Pro Asyl darin den Versuch, legitime Rechtsmittel zu delegitimieren. Dass die Organisation den drei Flüchtlingen geholfen hatte, bestreiten sie nicht: „Drei Asylsuchende aus Somalia haben mit Unterstützung von Pro Asyl vor dem Verwaltungsgericht Berlin gegen ihre Zurückweisung an der deutsch-polnischen Grenze geklagt – und Recht bekommen. Das Gericht hält die Zurückweisung von Asylsuchenden an einer EU-Binnengrenze für europarechtswidrig, eine Notlage bestehe nicht.“
Jetzt auch Strafanzeige der Rechercheplattform „FragDenStaat“Tatsächlich ist es in Deutschland nicht strafbar, abgewiesene Asylsuchende juristisch zu unterstützen. Die Frage ist jetzt allerdings, ob darüber hinaus logistische oder taktische Hilfestellungen geleistet wurden, die eine erneute, gezielte Umgehung der Grenzkontrollen möglich machten. Das weist Pro Asyl von sich.
Dafür stellte die Rechercheplattform „FragDenStaat“ jetzt auch Strafanzeigen gegen Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) und den Chef der Bundespolizei, Dieter Romann. Die Zurückweisungen von Asylsuchenden an deutschen Grenzen auf Weisung Dobrindts seien rechtswidrig, erklärte die Rechercheplattform am Freitag in Berlin. Dennoch rufe der Innenminister Bundespolizisten dazu auf, seine Weisung durchzusetzen. Diese machten sich strafbar, wenn sie die Zurückweisungen weiter durchsetzten.
Arne Semsrott, Projektleiter von „FragDenStaat“, erklärte, „Alexander Dobrindt setzt mit seiner Weisung auf offenen Rechtsbruch“. Grundlage der Strafanzeigen ist den Angaben zufolge der Paragraf 357 des Strafgesetzbuches („Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat“). Die Anzeige richtet sich auch gegen Bundespolizei-Präsident Romann.

Neben der Diskussion um die Rolle der NGOs stehen seit dem Urteil auch die zuständigen Verwaltungsrichter in Berlin unter Beschuss. Der Vorwurf: Sie hätten bewusst für die Flüchtlinge entschieden. Auch das hat ein Nachspiel, teilte der Landesverband Berlin des Deutschen Richterbundes (DRB Berlin) und der Verein der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter in Berlin (VRiV Berlin) jetzt mit.
In einer Mitteilung heißt es: „Zwei Kolleginnen und ein Kollege haben in Berlin gemeinsam über eine Rechtsfrage zur Zurückweisung von Asylsuchenden entschieden. Deswegen werden sie persönlich diffamiert und bedroht.“ Man begrüße Kritik an gerichtlichen Entscheidungen wegen des Rechts zur freien Meinungsäußerung. Sie sei wichtig für die demokratische Diskussion und unterstütze die Entscheidungsfindung anderer Gerichte, heißt es in dem Schreiben. Aber die Bedrohung von Richtern sei nicht hinnehmbar: „Das geht zu weit!“ Eine Sprecherin vom Bundesjustizministerium bezeichnete den Umgang mit den Richtern am Freitag ebenfalls als „inakzeptabel“. Dieser Haltung schließen sich viele Politiker an.
In Regierungskreisen heißt es, der Kurs werde nicht geändertSprengstoff birgt das Verfahren daher weiterhin. Für Bundesinnenminister Dobrindt, der die neuen Zurückweisungsregeln maßgeblich vorangetrieben hat, könnte der Fall zum politischen Lackmustest werden. Gelingt es, die neue Grenzstrategie rechtssicher und durchsetzbar zu etablieren – oder gerät sie unter dem Druck juristischer Gegenoffensiven und medialer Empörung ins Wanken?
In Regierungskreisen heißt es, der Kurs werde nicht geändert. Dobrindt möchte nach eigenen Angaben an den Grenzkontrollen und Zurückweisungen festhalten. In der Union wächst dafür der Unmut über mögliche „Sabotageversuche“ zivilgesellschaftlicher Organisationen – intern ist gar von „asylpolitischem Aktivismus unter dem Deckmantel der Rechtsstaatlichkeit“ die Rede. Ob die Staatsanwaltschaft den Vorwürfen nachgeht, ist noch offen. Klar ist aber: Der Fall der drei Somalier, die sich laut Bild-Zeitung inzwischen in Berlin aufhalten, ist weit mehr als ein Einzelfall.
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