IGBCE-Vorsitzender Vassiliadis: Gewerkschaftschef will Vermögensabgabe für Infrastruktur
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Michael Vassiliadis steht seit 2009 an der Spitze der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) – aber noch nie hat er sich um den Standort Deutschland so viele Sorgen gemacht wie jetzt: „Der Druck ist größer denn je, so habe ich ihn noch nie erlebt“, sagte Vassiliadis am Freitag bei einem Besuch bei der F.A.Z. Schnellstmöglich und spätestens in einem halben Jahr müsse eine neue Bundesregierung, „wie immer sie aussehen mag“, mit einer „stringenten Industriepolitik“ die Wirtschaft unterstützen. Gleichzeitig bekräftigte Vassiliadis seinen Vorschlag, das reichste Promille der Bevölkerung – darunter viele Unternehmer – mit einer einmaligen Vermögensabgabe zu belegen.
Betroffen wären nach Angaben des IGBCE-Chefs rund 85.000 Personen mit einem Vermögen von mindestens zehn Millionen Euro. Sie sollten fünf Prozent ihres jeweiligen Vermögens in einen Infrastrukturfonds einzahlen. Für den Fonds kämen auf diese Weise laut Vassiliadis 175 Milliarden Euro zusammen. Eine Kapitalflucht wäre bei einer einmaligen Abgabe von fünf Prozent nicht zu befürchten, meinte er. Obendrein wäre eine Verwendung der Mittel für die Finanzierung von Infrastrukturprojekten im Sinne auch von Unternehmen. Mit seinem Vorstoß wolle er zu mehr Verteilungsgerechtigkeit beitragen, ohne „eine riesige Diskussion über das Steuerrecht“ auszulösen, sagte der Gewerkschafter. Daran seien Forderungen nach einer Wiedereinführung der Vermögensteuer oder einer Reform der Erbschaftsteuer immer wieder gescheitert.
Für pragmatische Lösungen plädierte Vassiliadis mit Blick auf die Energiekosten. Statt im großen Umfang neue Gaskraftwerke zu bauen, die am Ende nur wenige Tage im Jahr bei sogenannten Dunkelflauten zum Einsatz kämen, wäre es besser, als Kapazitätsreserve auch bestehende Kohlekraftwerke zu nutzen, sagte der Gewerkschafter. Auch diese würden bei fortschreitendem Ausbau der erneuerbaren Energien selten gebraucht – wenn dann Emissionen aus dem kurzzeitigen Betrieb abgefangen, das CO abgeschieden und unterirdisch gespeichert werde, „würde das Milliarden sparen“ im Vergleich zum Bau neuer Gaskraftwerke.
Die Ungewissheit darüber, ob die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid – die sogenannte CCS-Technologie – in Deutschland möglich sei, und wann es hinreichend grünen Strom für die Elektrifizierung von Produktion und Mobilität geben werde, verhindere Investitionen: „Das sind alles Irritationen, die darauf einzahlen, dass Unternehmen sagen: ‚Wir machen das nicht hier.‘“ Die grundsätzlichen Fragen zur Zukunft der Energieversorgung müssten geklärt werden, sonst funktioniere auch der CO2-Preis nicht als Anreiz, die Produktion zu dekarbonisieren: „Er soll ja die Kosten für fossile Energien erhöhen und die Unternehmen in den Grünstrom drücken, wenn aber nicht genug Grünstrom da ist, drückt man sie am Ende nur raus.“
Der Wettbewerbsnachteil für energieintensive Betriebe, die in Deutschland produzierten, werde noch dadurch verschärft, dass in den USA die Energiekosten infolge der Ausweitung der Gasförderung mittels Fracking stark gesunken seien. „Die Amerikaner schwimmen in Gas.“ Obendrein drängten chinesische Produzenten wegen des verlangsamten Wachstums in der Volksrepublik vermehrt auf den Weltmarkt: „Erstmals landen Grundstoffchemikalien aus China in Rotterdam an.“ Das gefährde die Produktion hierzulande: „In der besonders energieintensiven Grundstoffchemie in Deutschland werden 20 Prozent der Kapazitäten und der Arbeitsplätze wegfallen, wenn die Politik nicht endlich entschieden handelt.“ Im Rhein-Main-Gebiet stehe die Chemiebranche, auch wegen des starken Anteils der Pharma-Sparte, noch relativ stabil da.
Er vertrete nicht die Ansicht, dass alles in Europa produziert werden müsse, sagte Vassiliadis. „Aber Sicherheit bedeutet auch, dass wir uns mit bestimmten Dingen selbst versorgen können.“ Deutschland müsse die Debatte darüber in der EU vorantreiben. Neben einer generellen Entlastung bei den Energiekosten sollte die Politik nach Ansicht des IGBCE-Chefs „einzelne strategische Bereiche auch direkt subventionieren“.
Frankfurter Allgemeine Zeitung