Neue Unionsfraktion: Mister 98 Prozent
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Markus Söder ist nicht dafür bekannt, die öffentliche Aufmerksamkeit zu scheuen. Aber an diesem Nachmittag gelingt ihm etwas, was selbst für seine Verhältnisse eine Leistung ist. Am Dienstag konstituiert sich die neue Unionsfraktion im Bundestag. Derlei ist ein feierlicher Akt – die frisch vom Volk gewählten Abgeordneten kommen zum ersten Mal zusammen. Söder ist gar kein Mitglied der neuen Unionsfraktion. Aber er schafft es, die Konstituierung gleich für drei Presseauftritte innerhalb von gut zwei Stunden zu nutzen. So viel Blitzlicht muss man erst mal auf sich ziehen.
208 Abgeordnete stellt die Union im neuen Bundestag – elf mehr als bisher. Das ist durchaus beachtlich, schließlich ist das Parlament um gut 100 Sitze verkleinert worden. Die Unionsfraktion ist dabei ein ungewöhnliches Konstrukt – denn sie besteht im Gegensatz zu allen anderen Fraktionen aus Abgeordneten von zwei Parteien. Und genau das ist das Einfallstor für Söder, sich als CSU-Chef an diesem Tag in Szene setzen zu können. Erst bei einer Pressekonferenz, auf der er mitteilt, dass die CSU-Bundestagsabgeordneten auf seinen Vorschlag hin Alexander Dobrindt erneut zu ihrem Vorsitzenden gewählt haben. Dann bei einem Pressestatement, in dem er mitteilt, dass auf seinen Vorschlag hin Friedrich Merz erneut zum Vorsitzenden der gesamten Unionsfraktion gewählt werden soll. Und dann gibt es noch eine Einladung an Fotografen und Kameraleute, die Unterzeichnung des Vertrags über die Fortführung der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU durch Söder und Merz zu verfolgen.
CDU und CSU sind sich so nah wie lange nicht„Wir sind nicht der 16. Landesverband der CDU, wir sind eine eigenständige politische Kraft – nicht nur als Partei, sondern auch innerhalb der Fraktion“, sagt der gerade im Amt bestätigte CSU-Landesgruppenchef Dobrindt. Das hat in der CDU eigentlich niemand bezweifelt – auch wegen manch schmerzhafter Erfahrung mit der CSU in der Vergangenheit. Aber in der CSU betonen sie die eigene Größe halt doch gern immer wieder.
Wobei man konstatieren muss, dass Söder in diesem Wahlkampf der CDU vergleichsweise wenig Probleme bereitet hat. CDU und CSU waren sich schon seit vielen Jahren nicht mehr so nah wie derzeit. Das zeigt sich dann auch im Ergebnis, das Merz erzielt. 98 Prozent der Unionsabgeordneten halten sich an den Vorschlag von Söder und wählen Merz an die Spitze der Unionsfraktion. Es sei das beste Ergebnis, das Merz je erzielt habe, jubeln sie anschließend in seinem Umfeld.
Wenn es nach Merz geht, wird er den Fraktionsvorsitz allerdings in einigen Wochen schon wieder aufgeben. Er will ja Kanzler werden. Wer dann sein Nachfolger an der Spitze der Fraktion werden könnte, darüber gibt es bisher nur Spekulationen, davon allerdings ziemlich viele. Als aussichtsreicher Kandidat gilt Thorsten Frei, als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer ist er jetzt schon Teil der engsten Fraktionsführung. Er soll auch im Kernverhandlungsteam der Union bei den Koalitionsverhandlungen sitzen. Frei ist in der Fraktion hoch angesehen und ein guter Redner. Vor allem aber gilt er nicht nur als einer der engsten Vertrauten von Merz, sondern auch als ausgesprochen loyal. Von Jens Spahn, der sich den Fraktionsvorsitz ebenfalls zutraut, sagen das nicht alle.
Auch Linnemann steht auf der Liste der möglichen KandidatenDer Fraktionsvorsitz ist die mächtigste Funktion außerhalb des unmittelbaren Machtbereichs eines Kanzlers. Kanzler achten deshalb sehr genau darauf, wen die Abgeordneten an ihre Spitze stellen. Als im September 2018 Ralph Brinkhaus gegen den erklärten Willen Angela Merkels an die Spitze der Unionsfraktion gewählt wurde, war das ein Zeichen für den internen Machtverlust Merkels. Einen Monat später kündigte sie ihren Rückzug vom CDU-Vorsitz an.
Falls Thorsten Frei Kanzleramtschef wird, auch dafür wird er gehandelt, und sich für Generalsekretär Carsten Linnemann kein geeignetes Ministerium findet, käme auch Linnemann für den Fraktionsvorsitz infrage. Als Kanzleramtschef ist aber auch Hendrik Hoppenstedt denkbar. Der Niedersachse sitzt seit 2013 im Bundestag. Er war unter Merkel Staatsminister im Bundeskanzleramt, kennt sich dort also bereits aus. Er war dort auch Koordinator für die Bund-Länder-Beziehungen. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat wird für Merz ein gutes Verhältnis zu den Ländern außerordentlich wichtig sein, um seine bedeutendsten Vorhaben durch den Bundesrat zu bringen.
Aber so weit ist es noch nicht. Am Montag, in der großen Nachwahl-Pressekonferenz in der CDU-Zentrale, hat Merz beteuert, dass man in den Gremien keine Sekunde über derlei Besetzungsfragen gesprochen habe. Auch am Dienstag sagt er dazu nichts. Einen Fingerzeig gibt es aber. In der Fraktionssitzung wird nicht nur der Vorsitzende gewählt, sondern auch der Erste Parlamentarische Geschäftsführer – wegen der komplizierten Regularien im Vertrag über die Fraktionsgemeinschaft nur vom CDU-Teil. Aber das Ergebnis ist beeindruckend. Thorsten Frei wird mit 99,4 Prozent im Amt bestätigt. Wer so viel Rückhalt in der Fraktion genießt, ist ein beinahe natürlicher Kandidat für den Vorsitz. Dass Frei anders als Merz, Linnemann und Spahn nicht aus Nordrhein-Westfalen, sondern auch Baden-Württemberg stammt, dürfte seine Chancen ebenfalls nicht mindern. Merz ist zwar kein Fan von Quoten, aber es können ja nicht alle Posten mit Nordrhein-Westfalen besetzt werden.
Und die CSU-Abgeordneten? Die bestätigen Dobrindt und ihren parlamentarischen Geschäftsführer Alexander Hoffmann sogar einstimmig in ihren Ämtern. Einen Schmerz müssen sie aber doch noch hinnehmen: In der neuen Unionsfraktion stellen die Bayern nicht mehr die größte Landesgruppe, die Nordrhein-Westfalen haben sie überholt.
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