Pierre Limant | Sterbehilfe: Dem eigenen Gewissen folgen
Was hat Sie bewogen, auf Ihre alten Tage das Thema Sterbehilfe ins Zentrum Ihrer Aktivitäten zu stellen?
Ich habe nur zu oft erlebt, dass schwerkranke Alte in menschenunwürdiger Agonie leiden mussten, weil die Gesetzeslage es den Ärzten verboten hat, ihrem Wunsch zu entsprechen und ihren Schmerzen ein Ende zu bereiten.
Haben sich nicht etliche Ihrer Kollegen darüber hinweggesetzt?
Ja, das ist öfter vorgekommen, als man allgemein vermutet, aber damit haben sie sich in große Gefahr begeben. Das Gesetz sieht dafür nach wie vor schwere Gefängnis- und Geldstrafen vor. Und die daraus folgende Aberkennung der Berufszulassung durch die Ärztekammer bedeutet, dass der Betreffende und seine Familie ihren Lebensunterhalt verlieren und vor dem Nichts stehen. Dass trotzdem nicht wenige Ärzte dieses Risiko eingegangen sind, aus Mitgefühl mit ihren Patienten und weil sie Sterbehilfe als ein selbstverständliches Menschenrecht ansehen, kann man nicht hoch genug würdigen.
Wie schätzen Sie den Gesetzentwurf ein, der jetzt im Parlament behandelt wird?
Das war ursprünglich ein einheitliches Gesetz, das sowohl den Anspruch auf effiziente Palliativmedizin für alle Patienten vorsah als auch Sterbehilfe für die besonders schweren Fälle, in denen die Betroffenen dies ausdrücklich wünschen. Premierminister François Bayrou hat das in zwei Gesetze aufgeteilt, wohl weil er mit der Palliativmedizin durchaus einverstanden ist und sie fördern will, während er gegenüber der Sterbehilfe große Vorbehalte hat. Aber ich meine, dass er als Regierungschef nicht seine eigenen religiösen Überzeugungen in den Vordergrund stellen darf, sondern neutral im Interesse aller Franzosen regieren muss. Darin sollte er sich am rechtsliberalen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing ein Beispiel nehmen, der 1974 entgegen seinen persönlichen Überzeugungen, aber in Übereinstimmung mit dem fortschrittlichen Geist der Zeit den Schwangerschaftsabbruch legalisieren ließ.
Zu den Gegnern der Sterbehilfe gehören aber auch nicht wenige Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern, die ihren Beruf aus humanistischer Überzeugung ergriffen haben und die der Meinung sind, dass es ihre Pflicht ist, Leben zu erhalten. Wie schätzen Sie das ein?
Das muss man respektieren, aber gleichzeitig betonen, dass niemand gezwungen werden soll, Sterbehilfe zu leisten. Das Gesetz enthält dazu eine »Gewissensklausel«, der zufolge jeder Arzt oder jede Schwester ihren persönlichen Vorbehalt geltend machen kann und dann nicht dafür herangezogen wird, so wie das beim Schwangerschaftsabbruch seit 50 Jahren problemlos funktioniert.
Meinen Sie nicht sogar, dass sich Ärzte, die von der Notwendigkeit der Sterbehilfe überzeugt sind, besonders dafür engagieren sollten?
Ja, es hat in den Medien einige Wellen geschlagen, als ich vorgeschlagen habe, dass sich pensionierte Ärzte für Euthanasie zur Verfügung stellen sollten. Ich meine, dass sie – wie ich – aufgrund ihrer langjährigen Erfahrungen stärker als der Durchschnitt ihrer Berufskollegen davon überzeugt sind, dass die Möglichkeit der Sterbehilfe geboten sein sollte und mit dem medizinischen Ethos durchaus in Übereinstimmung steht.
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