Queeres Dreigestirn regiert Köln: Karneval feiert Vielfalt und Toleranz
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Närrische Angelegenheiten sollte man ernst nehmen in Köln, sonst ist man jeck. Zumindest in diesen Tagen klingt Karneval nämlich nach etwas höchst Offiziellem mit all den Ämtern und Regentszeiten, der Session, den Festzügen, dem Festkomitee und dem ganzen Tamtam. Doch wer will schon Spaß ordnen? Wer will Narren bändigen? Da braucht es schon eine offiziell-närrische Instanz, einen jecken Vorstand, ein paar lustig-ernste Aufpasser, da braucht es ein Dreigestirn. Prinz, Bauer und Jungfrau regeln!
Dabei gibt es das Kölner Dreigestirn erst seit dem 19. Jahrhundert. Weil der Karneval unter den Preußen zu einem wilden Fest ausuferte, wurde das Festordnende Comité ins Leben gerufen. Der erste Rosenmontagszug bekam eine feste Route, sodass es einen Ort für die Feierwütigen der Stadt gab. 1823 zog der Zoch über den Neumarkt, und der Held Carneval fuhr mit. Er war dafür zuständig, dass das Fest irgendwie ordentlich blieb oder zumindest keine Orgie wurde. Einige Jahrzehnte später dann wurde aus dem Helden ein Prinz – der noch heute das Dreigestirn anführt.
„Das Dreigestirn sind an Karneval die höchsten Repräsentanten der Stadt Köln“, erklärt André Schulze Isfort. Er ist Ehrenpräsident des Kölner Karnevalsvereins StattGarde Colonia Ahoj e. V., dem Verein also, aus dem das diesjährige Dreigestirn kommt. „Der Prinz übernimmt die Regentschaft, der Bauer steht symbolisch für die Wehrhaftigkeit der Stadt. Und die Jungfrau steht dafür, dass die Stadt nicht eingenommen werden kann.“ Ihre Krone symbolisiere die Stadtmauern.
So weit, so traditionell. Doch in diesem Jahr ist trotzdem alles etwas anders, die StattGarde Colonia ist nämlich nicht irgendein Verein, sondern ein queerer Verein. Und das Dreigestirn das erste queere Dreigestirn in der Geschichte des Kölner Karnevals. „Wir schweben auf Wolke 7“, sagt Schulze Isfort. „Die StattGarde ist ja gerade einmal 22 Jahre alt.“ Da mute ein Dreigestirn aus den eigenen Reihen fast schon surreal an. „FasteLOVEnd – Wenn Dräum widder blöhe“ – das diesjährige Motto fühlt sich für die Mitglieder der StattGarde an wie ein Sinnbild. Schulze Isfort hat nicht viel Zeit, im Hintergrund ist U-Bahn-Lärm zu hören, er ist unterwegs – das ist er in diesen Tagen fast jeden Abend. Session ist Session, und Jeck bleibt Jeck.
Prinz René, Bauer Michael und Jungfrau Marlis bilden also das Dreigestirn, im Januar wurden sie offiziell von Oberbürgermeisterin Henriette Reker ins Amt geführt. Ein befürchteter Shitstorm blieb aus. Im Gegenteil, als Jungfrau Marlis bei dieser Gelegenheit zu Toleranz aufrief, bekam sie stehende Ovationen im Saal. So offen waren die Jecken nicht immer. Sexistische und rassistische Stereotype gehörten lange ebenso ins Witzrepertoire wie homophobe Gags. Michael Samm, so heißt Bauer Michael bürgerlich, berichtete der Deutschen Presse-Agentur von den Anfängen ihrer StattGarde: „Wenn man als queere Karnevalsgesellschaft einmarschierte, gab es das tatsächlich, dass Menschen den Saal verlassen oder uns den Rücken zugedreht haben.“
Längst aber hat sich der Kölner Karneval andere Werte auf die Fahnen geschrieben, steht heute für Vielfalt und Toleranz. So erlebt es auch das Dreigestirn: Im Rheinland, sagte Bauer Michael der Deutschen Presse-Agentur, sei ihre Homosexualität sowieso kein Thema mehr. „Weil wir mitten in der Gesellschaft angekommen sind.“ Das bestätigte auch Jungfrau Marlis, bürgerlich Hendrik Ermen: „Meine Familie ist erzkatholisch gewesen, aber ich glaube, in dieser Session sind das die stolzesten Eltern in ganz Deutschland.“
Und auch die Kölner StattGarde hat die Zeiten im Außenseitertum hinter sich gelassen. Seit seiner Gründung im Jahr 2003 ist der Verein stetig gewachsen, das rein männliche Tanzensemble wurde mehrfach ausgezeichnet. Ausgewählt wird das Dreigestirn, das sich mit dem Wunsch, Prinz, Bauer und Jungfrau zu werden, an den Vereinspräsidenten gewandt hat, übrigens vom Festkomitee. Dort wurden die Kandidaten auf Herz und Nieren geprüft. Wer sich noch beworben hat und was den Ausschlag für die Entscheidung gegeben hat, ist laut Ehrenpräsident Schulze Isfort allerdings ein „Staatsgeheimnis“.
Dass ein queeres Dreigestirn ein wichtiges Zeichen in Zeiten wachsender Krisen und Intoleranz ist, zeigt der öffentliche Fokus auf das Thema. Zu Beginn noch ließ Prinz René verlauten, er sehe ihre Rolle als homosexuelles Dreigestirn im Kölner Karneval als eher unbedeutend an. Inzwischen aber setzt er das Thema offensiv auf die Agenda. Schulze Isfort berichtet von einer „großen Welle der Sympathie“ und nur vereinzelten Gegenstimmen und Vorbehalten. „Und die muss man aushalten.“
Frankfurter Allgemeine Zeitung