Wagenknecht macht Demoskopen und Medien für BSW-Scheitern verantwortlich, stichhaltig ist das nicht
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So seltsam rar sich die sonst so kameraaffine Sahra Wagenknecht am Wahlsonntag machte, so aufgebracht meldete sie sich am Montag mit einer Pressekonferenz zurück. Dass das nach ihr benannte „Bündnis“ den Einzug in den Bundestag knapp verpasst hat – lediglich 13.400 Stimmen fehlten am Ende – führte die BSW-Chefin auf eine gezielte Kampagne zurück, ja sogar auf ein verschwörerisches Zusammenwirken von Demoskopen und Medien.
Ihre erst im vergangenen Jahr gegründete Partei sei „systematisch niedergeschrieben“ worden, empörte sich Wagenknecht. Eine solche Kampagne wie in den Wochen vor der Bundestagswahl gegen das BSW sei „nicht möglich gewesen“ ohne die Unterstützung einiger Umfrageinstitute. In einer Phase, als andere Institute das BSW noch um die sieben Prozent gesehen hätten, habe Forsa ihre Partei „unvermittelt auf vier Prozent“ gesetzt. Das sei flankiert worden „mit einer Welle von Artikeln in nahezu allen großen Medien, dass das BSW immer weiter an Zustimmung verliert und es wahrscheinlich nicht in den Bundestag schafft“.
Im Januar – ihrer Partei seien im Schnitt sechs Prozent vorhergesagt worden – sei dasselbe passiert: „Wiederum verbunden mit vielen Artikeln über den Niedergang des BSW“ hätten „Forsa und das ZDF“ (in zweiterem Fall meinte Wagenknecht offensichtlich die Forschungsgruppe Wahlen, das ZDF macht selbst keine Umfragen) ihrem Bündnis drei Prozent zugeschrieben. Wagenknechts verbitterte Klage erreichte den Höhepunkt mit einem Frontalangriff auf das Meinungsforschungsinstitut Forsa. „Dass uns Forsa dann noch einmal weniger als 48 Stunden vor der Wahl auf drei Prozent heruntergesetzt hat, war keine Wahlprognose, sondern eine gezielte Aktion zur Manipulation von Wahlverhalten.“ Der BSW-Politiker Fabio De Masi ging auf der Plattform X noch weiter: „Wenn Forsa gegen den Trend kurz vor der Wahl eine Drei-Prozent-Umfrage herausbläst . . . dann haben wir rumänische Verhältnisse. Wir müssen über Desinformation in Deutschland sprechen!“
Gab es tatsächlich eine demoskopische Demobilisierung gegen das BSW? Lassen sich gar Hinweise darauf finden, dass ein einziges Umfrageinstitut in der Lage sein könnte, einer russlandfreundlichen, zwischen Links- und Rechtspopulismus changierenden Kleinpartei „die Wahl zu stehlen“, um es frei nach Donald Trump zu formulieren? Abgesehen davon, dass De Masis Rumänienvergleich völlig abwegig ist – in dem südosteuropäischen Land steht der Verdacht im Raum, dass der rechtsextreme und prorussische Präsidentschaftskandidat Călin Georgescu mithilfe koordinierter Konten, Empfehlungsalgorithmen und bezahlter Werbung auf der Plattform Tiktok aggressiv gepusht wurde –, auch schon den von BSW-Europaabgeordneten insinuierten Trend gab es nicht, erst recht nicht kurz vor der Wahl.
Im Gegenteil macht der Vergleich der BSW-Werte der als relevant geltenden Institute deutlich, dass das BSW schon sehr lange nicht sicher mit dem Einzug in den Bundestag rechnen konnte. Die Wagenknecht-Partei kam bei den Demoskopen auf maximal fünf Prozent. Mehrere Institute (Allensbach, die Forschungsgruppe Wahlen und Infratest) sahen sie bei 4,5 Prozent. Forsa taxierte das BSW schon seit Wochen am pessimistischsten, wies zwischen vier und drei Prozent aus. Unvermittelt herabgestuft hat Forsa das BSW keineswegs. Wie man bei wahlrecht.de nachvollziehen kann, setzte die Wagenknecht-Partei bei Forsa bereits Mitte November (abermals) zum Sinkflug an, sank von sechs auf fünf Prozent – und später weiter.
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Im Gespräch mit der F.A.Z. sagt Forsa-Chef Manfred Güllner, dabei handle es sich nun einmal um die für das BSW erhobenen Werte. „Bei den kleinen Parteien stehen Meinungsforscher immer vor dem Problem der im Vergleich zu größeren Parteien geringen Nennung. Liegt eine Partei, wie auch die FDP, um die fünf Prozent, kann man im Vorfeld unmöglich sagen, ob sie den Einzug in den Bundestag schafft oder nicht, einfach aufgrund der statistischen Fehlermargen, darauf haben wir stets hingewiesen.“ Im Fall des BSW habe die Fehlermarge mindestens 1,4 Prozentpunkte betragen. Persönliche Vorlieben oder Abneigungen spielten bei der Gewichtung der erhobenen Werte einer Partei keine Rolle, versichert Güllner. „Das zählt unverbrüchlich zum Credo der empirischen Forschung.“
Einen Trend nach oben oder unten sei sowohl beim BSW als auch bei der FDP in den vergangenen Wochen nicht mehr zu erkennen gewesen, was die Sache für die Demoskopen nicht einfacher gemacht habe. „Wenn sich etwas bewegt, haben wir es leichter. Das Beispiel Linkspartei macht das deutlich: Sie hat sich in den vergangenen Wochen deutlich nach oben entwickelt, wodurch man dann auch mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen konnte, dass sie es in den neuen Bundestag schafft.“
Anders als von Wagenknecht am Montag behauptet, handele es sich bei den Umfragen auch nicht um Prognosen auf den Wahlausgang, sondern um das Meinungsbild zum Zeitpunkt der Befragung. „Im Gegensatz zu Nachwahlbefragungen unter Wählern am Wahltag, wie sie Infratest-Dimap und die Forschungsgruppe Wahlen für die ARD und das ZDF machen, können Vorwahlumfragen Faktoren wie die Höhe der Wahlbeteiligung, Last-Minute-Mobilisierung oder Demobilisierung nicht mitabbilden.“
Eine grobe Auswertung von im F.A.Z.-Archiv dokumentierten Artikeln aus diversen Medien gibt keinen Hinweis darauf, dass das BSW in den vergangenen Wochen „systematisch niedergeschrieben“ worden wäre, wie Wagenknecht am Montag beklagte. „Spiegel-Online“, „Frankfurter Neue Presse“ oder „Neue Zürcher Zeitung“ berichteten vielmehr schlicht darüber, dass die Partei sich in den Umfragen um die fünf Prozent bewege. Der FDP ging es im Grunde schon seit dem Ampel-Aus nicht anders.
Solche Medienberichte hätten nach dem Motto „auf jede Stimme kommt es an“ auch zu einer Mobilisierung führen können – doch offensichtlich war das Potential des BSW mittlerweile ausgereizt. Hinzu kamen Berichte über hausgemachte Probleme. Mitten im Wahlkampf traten in Bayern mehrere Mitglieder aus der Partei aus – unter anderem kritisierten sie Wagenknechts strikte Führungskultur und beklagten, sie seien als Statisten behandelt worden. Ein solches Erscheinungsbild wirkt demobilisierend.
Wagenknechts Medienschelte am Montag wirkte auch deshalb grotesk, weil kaum eine andere kleine Partei im vergangenen Jahr eine so enorme mediale Aufmerksamkeit genossen hat wie das BSW. Wagenknecht bekam sogar eine Titelbild-Story in der Zeitschrift „Spiegel“. Fast schon absurd war die Frequenz der Talkshow-Einladungen an die Namensgeberin der Kleinpartei.
Soeben hat ein deutsch-österreichisches Forscherteam eine international vergleichende Studie veröffentlicht, in der es zum Ergebnis kommt, dass die letzten Umfragen vor Wahlen durchaus Einfluss auf das Wahlverhalten haben. Demnach kommen Parteien, die zuletzt knapp über der Sperrklausel liegen, in drei von vier Fällen ins Parlament. Liegen Parteien knapp darunter, klappt es nur in einem von vier Fällen. Dass manche Wähler am Sonntag sehr genau auf die Umfragen geschaut haben, um ihre Stimme nicht zu „verschwenden“, liegt gerade mit Blick auf die FDP auf der Hand. Lindern ließe sich dieser „Fallbeileffekt“ vermutlich, wenn das Veröffentlichen von Umfragen kurz vor Wahlen verboten würde.
Frankfurter Allgemeine Zeitung