Highway of Tears: Kanadas traurigste Straße voller Vermisstenfälle und ungelöster Morde

Stell dir vor, du unternimmst einen traumhaften Roadtrip durch Kanada und landest plötzlich auf einem Highway, der mit Schildern und Plakaten von vermissten Frauen gesäumt ist. Dazu gesellen sich Aufsteller, die vorm Trampen warnen. Diese gruselige Kulisse kann dir in British Columbia begegnen, denn hier gibt es Kanadas wohl traurigste Straße: den sogenannten „Highway of Tears“.
Es handelt sich dabei um den rund 724 Kilometer langen Abschnitt des Yellowhead Highways 16 zwischen den Städten Prince George und Prince Rupert. Seit den Siebzigern verschwinden dort Frauen. Viele wurden nachweislich ermordet, von anderen fehlt bis heute jede Spur. Der Begriff „Highway of Tears“ wurde von Florence Naziel geprägt, die den Streckenabschnitt im Rahmen einer Mahnwache 1998 so bezeichnete, um das Leid der Angehörigen zu symbolisieren.
Über 80 Frauen sollen seit den Siebzigern entlang des Highways verschwunden sein, manche wurden später ermordet aufgefunden. Unter den Opfern sind auffallend viele indigene Frauen. Die Internetseite „The Canadian Encyclopedia“ beschreibt den „Highway of Tears“ als Teil einer größeren, landesweiten Krise vermisster und ermordeter indigener Frauen und Mädchen.
Der Abschnitt des Highways befindet sich in einer dünn besiedelten Gegend, die als arm beschrieben wird und bis 2017 kaum Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln hatte. Somit waren viele Einheimische, die sich kein eigenes Auto leisten konnten, aufs Trampen angewiesen. Bis heute wird vor allem Frauen unbedingt davon abgeraten.
Die genaue Zahl der Frauen, die entlang des Highways verschwunden oder ermordet worden sind, ist umstritten, heißt es in der Enzyklopädie. Es gibt eine offizielle Liste der Royal Canadian Mounted Police (RCMP), die 18 Fälle zwischen 1969 und 2006 aufgelistet hat. Zehn davon sind indigene Frauen und Mädchen. Weitet man den Bereich auf den gesamten Norden British Columbias aus, sind es laut indigenen Gruppen über 40 Fälle.
Gloria Moody, 27 Jahre alt, Mutter zweier Kinder, ermordet und nie aufgeklärt. Monica Ignas, 15 Jahre alt, ermordet und ungelöst. Monica Jack, zwölf Jahre alt, ermordet und aufgeklärt. Die Liste geht genauso weiter. Die meisten Fälle sind bis heute ungelöst. Laut der internationalen NGO Human Rights Watch ist die Rate von nicht aufgeklärten Morden an indigenen Frauen und Mädchen in British Columbia am höchsten. Das gilt nur für Kanada, ist jedoch auch in anderen Staaten des Landes ein Problem.

Bis heute tauchen immer wieder Schilder mit Vermisstenfällen entlang des Highways auf.
Quelle: imago images/TT
2015 hat die kanadische Regierung eine Untersuchung eingeleitet. Im selben Jahr behauptete Carolyn Bennet, heute eine kanadische Ministerin, dass die Zahl der ermordeten und vermissten indigenen Frauen und Mädchen in ganz Kanada wohl bei über 1200 liege. Viele Fälle sind bis heute nicht aufgeklärt. Als mögliche Gründe für diese furchtbar hohe Zahl werden oft Armut und Isolation, sexualisierte Gewalt, staatliches Versagen sowie Rassismus und Misogynie (Frauenhass) genannt.
Der Abschlussbericht der nationalen Untersuchung umfasst über 1000 Seiten und beinhaltet noch mal doppelt so viele Zeugenaussagen sowie schockierende Befunde. Letztendlich werden die Morde und Vermisstenfälle im Abschlussbericht als „kanadischer Völkermord“ bezeichnet.
Nachdem der öffentliche Druck immer größer wurde, führte die Regierung 2017 endlich drei neue Buslinien entlang des Highways ein. Und das, obwohl bereits über zehn Jahre zuvor auf dem „Highway of Tears“-Symposium ein Shuttleservice empfohlen worden ist.
Nicht nur Frauen und Mädchen verschwinden an diesem Highway, es gibt sogar den Vermisstenfall einer gesamten Familie. Doreen Jack sowie ihre beiden Söhne und Ehemann Ronald machten sich in der Nacht des 2. August 1989 auf den Weg zu einer neuen Arbeitsstelle des Ehemanns. Dieser rief gegen 1.30 Uhr seine Mutter an, als sie sich auf dem „Highway of Tears“ befanden. Seitdem hat niemand je wieder etwas von Familie Jack gehört.
Wenn du den Westen Kanadas erkunden, jedoch den „Highway of Tears“ meiden möchtest, gibt es alternative Routen. Du kannst beispielsweise die Sea-to-Sky-Route von Vancouver über Whistler, Lillooet und Kamloops wählen. Oder du nimmst die Rocky-Mountains-Route von Calgary über Banff, Jasper und Clearwater nach Kamloops. Bei dieser Strecke erkundest du auch einen Teil von Alberta.

Wenn du den Abschnitt des Highway 16 meiden willst, gibt es zum Glück Alternativen.
Quelle: imago images/Wirestock
Eine dritte Möglichkeit ist die Great Northern Circle Road ab Prince George, jedoch ohne den Abschnitt des Highway 16. Möchtest du die Region ohne den „Highway of Tears“ erkunden, solltest du folgende Routenführung wählen: Prince George → Fort St. James → Fort Nelson → Watson Lake (Yukon) → Stewart-Cassiar Highway → zurück über Smithers nach Prince George.
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rnd