Das neue Holstein Kiel: Kaum noch Platz für alte Helden

Bei Holstein Kiel bekommt der Kader nach dem Abstieg aus der Fußball-Bundesliga einen Neuanstrich. Neben Leistungsträgern aus der Vorsaison, die von der Konkurrenz abgeworben wurden, müssen auch einige frühere Aufstiegshelden die KSV verlassen. Der Kieler Kurs ist nicht ohne Risiko.

Irgendetwas muss zerbrochen sein bei der KSV Holstein in dieser vergangenen Saison, von der doch eigentlich niemand ernsthaft hatte erwarten dürfen, dass sie mit dem Klassenerhalt enden würde. Zu groß war der monetäre Abstand des ersten schleswig-holsteinischen Bundesligisten überhaupt zur Konkurrenz.

Und obwohl sich der Low-Budget-Aufsteiger sehr teuer verkaufte, öffentlich auch bei Rückschlägen nicht auseinanderdividieren ließ und trotz des Abstiegs ein gutes Grundgerüst für die Zukunft zu haben schien, gibt es nun an der Waterkant einen ziemlich großen Umbruch - und zwar einen mit Nebengeräuschen.

Denn einige verdiente Spieler wie Keeper Thomas Dähne (wechselt zum Drittligisten 1860 München) oder Mittelfeldmann Marvin Schulz (Preußen Münster) wurden weggeschickt. Andere Akteure wie Benedikt Pichler (Hannover 96) oder Colin Kleine-Bekel (VfL Bochum) wechselten zu künftigen Ligarivalen, die sportlich nicht unberdingt als stärker einzuschätzen sind als die KSV.

Und der bisherige Kapitän Lewis Holtby hatte schon vor vielen Wochen seinen Abschied verkündet. Offiziell aus freien Stücken, weil er noch einmal etwas "Neues, Anderes" erleben will. Fakt ist: Bis jetzt ist der Routinier auf der Suche nach diesem "Neuen, Anderen" und vereinslos.

Nachdem sein Abschied von Holstein festgestanden hatte, schrieb sein "Buddy" Finn Porath unter einen Instagram-Beitrag von Holtby in Plattdeutsch einen Kommentar, der die vergangenen KSV-Jahre gut zusammenfasst: "Dat weer mi en Fest mien Jung, Geschichten, de för ümmer blieven."

Vier Jahre lang hat Holtby das Holstein-Trikot getragen. In dieser Zeit nahmen die Norddeutschen eine bemerkenswerte Entwicklung, die im Austieg 2024 gipfelte. Mit viel Akribie und kluger Personalpolitik baute Coach Marcel Rapp eine Mannschaft auf, deren Vorteile die Kompaktheit und inhaltlich guter Fußball waren. Individuell waren den "Störchen" schon in Liga zwei viele Rivalen überlegen. Aber weil die Schleswig-Holsteiner über das Kollektiv kamen und eine verschworene Gemeinschaft waren, ließen sie besser besetzte Clubs hinter sich.

Und ein paar Punkte holte die KSV im übertragenen Sinne auch an der Theke. Sprich: Die große Gemeinschaft, der Zusammenhalt waren ein nicht zu unterschätzender Faktor des Erfolgsweges. Und daran hatten eben auch Spieler wie Holtby und die nun weggeschickten Dähne und Fiete Arp großen Anteil. Denn sie, die schon einen Bruch in ihrer Vita hatten und nun an der Förde eine neue, leistungsfördernde Heimat gefunden hatten, waren wichtig für die Kabine.

Sportlich ist die Entscheidung der Sportlichen Leitung nachvollziehbar, auf einige Aufstiegshelden wie Arp, Dähne und Schulz in Zukunft zu verzichten. Sie waren in der Vorsaison nur bedingt eine Hilfe. Doch weil der Umbruch durch weitere Abgänge wie von Co-Kaptiän Timo Becker (wechselte zu Schalke 04) und Nicolai Remberg (Hamburger SV) und die noch zu erwartenden Abschiede von Alexander Bernhardsson und Shuto Machino (beide bei Borussia Mönchengladbach im Gespräch) sehr groß ausfallen wird, ist der Kieler Weg risikobehaftet.

Denn nun muss sich eine neue Hierarchie finden. Nicht nur auf dem Spielfeld, sondern auch in der Kabine. Da die KSV-Verantwortlichen bei den Zugängen mit Ausnahme des 34-jährigen Stefan Schwab aber bis jetzt ausnahmslos auf sehr junge Spieler gesetzt haben, deutet vieles darauf hin, dass Holstein vor einem Übergangsjahr steht. Möglicherweise vor einem sehr schweren, auch wenn Rapp beim Trainingsauftakt sagte: "Ich bin im Moment sehr glücklich mit dem Kader."

Dass er seine Aussage mit den Worten "im Moment" relativierte, zeugt davon, dass der Coach aktuell die Leistungsstärke seiner Mannschaft noch nicht richtig einschätzen kann. Zumal einige Akteure wie Machino ja ziemlich sicher bald nicht mehr dabei sein werden. Bleibt aber noch diese eine große Frage: Warum dreht die KSV, die doch bis dato für besonnene Personalpolitik stand, nun den Kader nahezu auf links?

In puncto Transfer-Strategie und der Erstellung von Profilen für Zugänge geben sich Rapp und Sport-Geschäftsführer Olaf Rebbe bis dato wortkarg. Letzterer gab nun aber immerhin im NDR Interview einen Einblick darüber, dass vieles von langer Hand geplant war.

"Die Zusammenstellung des Kaders ist etwas komplexer. Da gehört das Trainer-Team und das Scouting zu. Das ist ein relativ großer Prozess, der da anläuft. Da sind einige Dinge schon vorbereitet gewesen. Wir haben schon viel gemacht. Und das hatten wir uns nach dem Abstieg auch vorgenommen, möglichst komplett zu sein mit dem Vorbereitungsstart, um perfekte Bedingungen zu haben, um uns einzuspielen", sagte Rebbe.

Der 47-Jährige wehrte sich zugleich dagegen, mit eisernem Besen durchgekehrt zu haben. Als Beispiel dafür nannte er den Fall Fiete Arp. Der nun nach Dänemark gewechselte Angreifer habe sich mehr Spielzeit erhofft, die ihm Holstein aber nicht garantieren konnte, so Rebbe. "Deswegen hat er sich umgeschaut nach einem Ort, an dem er vielleicht mehr spielen kann."

Nahezu identisch sei die Situation bei Dähne gewesen. "Er hat von uns halt mitgeteilt bekommen, dass wir in Zukunft unsere Torwart-Gruppe verjüngen werden und er dann vielleicht auch nicht mehr so viel Spielzeit bekommen wird", sagte Rebbe.

Als Ersatz für den 31-Jährigen wird in der Gerüchteküche Matheo Raab gehandelt. Der Ersatzmann des Nordrivalen Hamburger SV ist fünf Jahre jünger als Dähne und würde damit besser ins Anforderungsprofil der neuen KSV passen, die keinen Platz mehr für viele ihrer alten Helden hat. Nach NDR Informationen ist Raab an der Förde aber kein Thema.