Die Eishockey-Nationalmannschaft erfüllt die Pflicht ohne Glanz – will sie eine Medaille, muss sie sich steigern


Mit vier Punkten gegen den Weltmeister Tschechien (4:5 n. V.) und den Gastgeber Dänemark (5:2) ist den Schweizern der Start in die Eishockey-Weltmeisterschaft in Herning und Stockholm einigermassen gelungen. Der Nationaltrainer Patrick Fischer sagte am Samstag nach dem Match gegen die Dänen: «Natürlich wären wir gerne mit zwei Siegen gestartet, aber auch diesen Start nehmen wir durchaus.»
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Nun, mit Polemik müssen Fischer und seine Vorgesetzten immer rechnen. Selbst wenn die Perspektiven gut sind, wie in diesem Jahr. Eishockey ist ein Teil der Unterhaltungsindustrie. Davon zeugt die Schweizer Anhänger-Karawane, welche dem Team folgt und die dänische Kleinstadt Herning mit ihren gut 50 000 Einwohnern vorübergehend zu einer Art Schweizer Enklave gemacht hat.
Die Fussgängerzone und die wenigen Hotels sind gefüllt mit Anhängern des Teams. Die Fluggesellschaft Swiss, einer der Sponsoren des Schweizer Eishockey-Verbandes, bietet seit kurzem Direktflüge von Zürich ins nahe Billund an, wo die Heimat der legendären Lego-Steine liegt. Ein Zusammenhang des Angebots mit der WM dürfte nicht ganz von der Hand zu weisen sein. Jedenfalls sind die Flüge gut gefüllt mit dem rot gekleideten, trinkfesten Anhang.
Der Meister-Stürmer zweifelt nichtDie Weltmeisterschaft geht für die Schweizer am Montag mit dem dritten Gruppenspiel weiter, gegen die USA. Diese Aufgabe dürfte bedeutend schwieriger werden als die letzte gegen Dänemark. Der Gastgeber hatte weder die spielerische Klasse noch den nötigen Glauben, um die Schweizer auf Dauer ernsthaft in Bedrängnis zu bringen. Die vorübergehende 2:1-Führung nach einem Scheibenverlust von Sven Andrighetto im Überzahlspiel war ein kurzer Schreckmoment, der Fischers Team nicht vom Weg abbrachte.
Der Zürcher Meister-Stürmer tat seinen Fehler als das ab, was er war. Ein Missgeschick, wie es selbst Ausnahmespielern wie ihm zuweilen unterlaufen kann. Gerade wenn die Konzentration möglicherweise nicht ganz so hoch ist, wie sie das selbst in solchen Spielen sein sollte. Andrighetto sagte nach dem Match: «Ich denke schon, dass wir noch besser spielen können. Wir werden den freien Tag dazu nutzen, kleine Dinge anzuschauen. Wir haben noch Zeit, um an den Details zu feilen.»
Andrighetto und Denis Malgin sind zwei von fünf Spielern in der Schweizer Mannschaft aus dem Zürcher Meisterteam, das in dieser Saison nicht nur die Meisterschaft, sondern auch die Champions Hockey League gewonnen hat. Auch wenn bis anhin erst vier NHL-Spieler in Fischers Team stehen (Nico Hischier, Timo Meier, Jonas Siegenthaler und Janis Moser), hat dieses doch viel Klasse. Mit Kevin Fiala dürfte in den nächsten Tagen ein fünfter dazustossen. Der MVP der vergangenen Weltmeisterschaft weilt wegen familiärer Probleme derzeit noch bei seinen Angehörigen in Los Angeles. Doch Fischer und sein Umfeld rechnen fest mit seiner Ankunft in den nächsten Tagen.
Moy skort wie ein NHL-SpielerAm Samstag sprang vorübergehend Tyler Moy in Fialas Rolle des Skorers. Der bald 30-jährige Stürmer der Rapperswil-Jona Lakers ist der älteste WM-Neuling in Fischers Team. Er erzielte im Mitteldrittel innerhalb von drei Minuten die beiden Tore vom 1:2 zum 3:2. Im Schlussdrittel bereitete er auch noch das entscheidende 4:2 von Damien Riat vor.
Fischer sagte nach dem Match: «Tyler hat in den vergangenen Jahren viel dafür gearbeitet, dort zu stehen, wo er es nun tut. Wir haben ihm gesagt, dass wir uns defensiv mehr auf ihn verlassen können müssen, wenn er seinen Platz haben will. Doch er ist kein Spieler für den dritten oder vierten Block. Er steht nun dort, wo er stehen muss.»
Das heisst am Flügel neben den beiden NHL-Spielern Timo Meier und Nico Hischier. Das Trio hat in den ersten zwei WM-Partien bereits vier Tore erzielt und neun Skorerpunkte gesammelt. Moy skort wie ein NHL-Spieler und führte die Skorerliste nach den ersten beiden Spieltagen an. Sollte Fiala in den kommenden Tagen in Herning eintreffen, dürfte er ein Kandidat für den Platz neben Hischier und Meier sein. Doch Fischer wird zweimal überlegen, ehe er das erfolgreiche Trio auseinanderreisst.
Für Moy folgt am Montag ein spezieller Match. Es geht im dritten Gruppenspiel gegen das Land, in dem er aufgewachsen ist: die USA. Er saugt die Atmosphäre in Herning auf, nach dem Dänemark-Match sagte er: «Es ist verrückt, ich habe noch nie etwas Vergleichbares erlebt. Die ganze Stadt scheint zu vibrieren.»
Moy träumte wie die meisten jungen Spieler von der NHL. Geboren und aufgewachsen im kalifornischen Küstenort La Jolla vor den Toren der Millionenstadt San Diego, wurde er 2015 im Draft von den Nashville Predators als Nummer 175 gezogen. Doch sein Wunsch, in der NHL zu spielen, erfüllte sich nicht. Stattdessen nutzte er seine Doppelbürgerschaft und schloss sich 2019 dem Lausanne HC an. Über Servette/Genf stiess er schliesslich zu den Rapperswil-Jona Lakers, wo er heimisch wurde und auch zum Nationalspieler reifte.
Ein Schweizer im USA-TorMoys Mutter stammt aus Nebikon in der Nähe von Luzern. Natürlich werde die Partie am Montag gegen die USA für ihn speziell. Doch seine Familie werde bestimmt für die Schweizer fiebern, sagte er. Das US-Team setzt sich aus jungen NHL-Spielern und ein paar Ergänzungen aus dem College-Hockey zusammen. Sie alle versuchen, sich für das kommende Olympiaturnier im Februar in Mailand aufzudrängen.
Im Tor der Amerikaner steht mit Joey Daccord ein Spieler mit Schweizer Vergangenheit. Er spielt für die Seattle Kraken in der NHL, sein Vater Brian aber stand für Ambri-Piotta und Fribourg-Gottéron im Tor. Deshalb besitzt Daccord wie Tyler Moy auch die Schweizer Staatsbürgerschaft, ein Schweizerkreuz ziert seinen Helm. Zudem besitzt er den kanadischen Pass. Spielen jedoch tut er nun für die USA.
Der Match Schweiz - USA am Montagnachmittag dürfte für beide Teams wegweisend sein für den weiteren Turnierverlauf. Die Amerikaner und die Schweizer kämpfen um den Gruppenplatz 2 hinter Tschechien, der es ihnen ermöglichen würde, den Viertelfinal wahrscheinlich in Herning zu bestreiten. Die beiden anderen Teams werden nach Stockholm umziehen müssen. Doch die schwedische Hauptstadt ist ohnehin das Ziel der Schweizer. In Stockholm werden in knapp zwei Wochen die Medaillen vergeben.
nzz.ch