Effizienz, die begeistert

Der VfB Stuttgart triumphiert in Berlin, weil der endlich einmal kompromiss- und humorlos den Sack zumacht.
Ob da die Idee zum besonderen Fotomotiv entstanden ist? Deniz Undav andächtig im Angesicht des DFB-Pokals. IMAGO/HMB-Media
Noch ist unklar, ob Deniz Undav seine gestern angekündigte Tat wirklich wahrgemacht hatte. Im Siegestaumel nach dem 4:2 (3:0)-Sieg im DFB-Pokalfinale gegen Arminia Bielefeld hatte der Angreifer des VfB Stuttgart, der rechtzeitig zum krönenden Saisonabschluss zurück zur Topform fand, im Scherz angekündigt, dass er seine kleine Tochter in die Trophäe setzen werde. "Für ein paar Bilder", verriet der 28-Jährige grinsend seine fotographischen Pläne mit dem 52 Zentimeter großen und 6,25 Kilogramm schweren Stück Edelmetall.
Stimmung herausragend in einer früh entschiedenen PartieEs ist davon auszugehen, dass der Pokal, sollte Undav seine Pläne in die Tat umgesetzt haben, das schadlos überstanden hat, denn er hat ja schon so einiges überstanden. Werbewirksam inszenierte Triumphbilder mit zucker- und koffeinhaltigen Brausegetränken etwa oder 2002 einen Sturz aus der Hand des 2019 verstorbenen Schalke-Machers Rudi Assauer. Was dem Goldstück, zugegebenermaßen, einigermaßen zugesetzt, aber keinen irreparablen Schaden zur Folge hatte.
Irreparabel dagegen, und damit sind wir beim Verlauf eines stimmungstechnisch herausragenden Pokalabends, dem beide Fanlager und auch der DFB selbst einen würdigen Rahmen bescherten, waren die bitteren Fehler der Arminen nach einer eigentlich guten Anfangsphase, die dem VfB eine 3:0-Führung nach 28 Minuten bescherten (an der der wiedererstarkte Undav nicht ganz schuldlos war). Im Prinzip war die Partie danach entschieden, auch wenn die Schwaben es am Ende noch einmal ein wenig spannend machten gegen aufopferungsvoll kämpfende Bielefelder, die zwischendurch jedoch lange mit dem Klassenunterschied zu ringen hatten.
Ein Sonderlob für Schlussmann Alexander Nübel"Da haben wir nochmal Glück gehabt", resümierte Undav das offensichtliche und sprach seinem Kollegen Alexander Nübel ein Extralob aus. Und in der Tat: Ohne die späten Paraden des Schlussmanns hätte dieses Finale beinahe zum Spiegel einer Saison für den Vize-Meister von 2024 werden können, über deren Fazit es zwei Versionen gibt: Sie war eine gute, weil eine international weitgehend unbeleckte Mannschaft nur denkbar knapp das Weiterkommen in der Champions League verpasste, die Leistungen trotz Bundesliga-Platz 9 weitgehend stimmten und nun mit dem Pokaltriumph wird sie sogar eine sehr gute. Das ist die klubinterne Interpretation.
Sie wird durch das 4:2 im Olympiastadion mehr oder weniger gerettet, weil in der Königsklasse Stromausfälle gegen qualitativ deutlich schwächere Kontrahenten wie Roter Stern Belgrad die K.o.-Runde kosteten und sich die Elf von Trainer Sebastian Hoeneß in der Liga zu oft an dem reinen Ballvortrag ergötzte, ohne einen Killerinstinkt und die bedingungslose Gier zum Verteidigen zu entwickeln. Die gute Nachricht für alle, die es mit dem roten Brustring halten ist: Genau diese Fähigkeit, eine Partie humor- und kompromisslos zu entscheiden, wenn sich die Gelegenheiten dafür bieten, haben Undav und Co. in Berlin an den Tag gelegt.
"Wir haben Dinge gezeigt, die wir nicht immer gezeigt haben"Genau das sprach auch Hoeneß in seiner Analyse an, ehe er von seinen mit Schaumwein und Pokal (ohne Undav'schen Nachwuchs, Anm. d. Red.) bewaffneten Schützlingen johlend aus der Pressekonferenz entführt wurde: "Wir müssen froh sein, dass wir nicht zurückliegen. Danach haben wir Dinge gezeigt, die wir nicht immer gezeigt haben diese Saison: Nämlich richtig effizient zu sein." Nick Woltemade, Undav und Enzo Millot veredelten die jeweils durch Bielefelder Patzer und zweimal genial vom angeschlagenen Angelo Stiller eingeleiteten Gelegenheiten.
Und vielleicht ist das mit Blick auf die Zukunft die neben dem Pokalsieg noch wichtigere Botschaft: Nach einer Saison 2023/24, in der sich Hoeneß' Elf in einen Rausch spielte mit der Veredelung Bundesligaplatz 2, hat sie eine mit Schwankungen und neuen Herausforderungen wie der Mehrfachbelastung behaftete Spielzeit 2024/25 zu einem guten Ende gebracht und sich zum zweiten Mal in Folge für den europäischen Wettbewerb qualifiziert. Was dem finanziell lange darbenden VfB Möglichkeiten bescheren wird, wie Sportvorstand Fabian Wohlgemuth hernach durchblicken ließ: "Wir können den einen oder anderen für uns begeistern, der vorher nicht zu begeistern war." Endlich Effizienz, die begeistert, könnte man in Anlehnung an eine Werbebotschaft eines Konkurrenten der VfB-Anteilseigner Mercedes-Benz und Porsche gewissermaßen sagen.
Drohender Abschied von Millot, Interesse an Stiller und Co.Neue Kräfte zu rekrutieren wird zweifelsohne nötig sein im Angesicht des drohenden Abschieds von Millot und dem durch den Samstagabend sicher nicht gesunkenen Interesse der zahlungskräftigeren Konkurrenz an Leistungsträgern wie Stiller oder Woltemade, was allerdings fürs Erste auf der Agenda nach hinten rutscht. Denn zunächst gilt es, in der baden-württembergischen Landeshauptstadt zu feiern. Zunächst im Großen Sitzungssaal des Rathauses, später, geplant ab 15.30 Uhr, im Autokorso in Richtung Schlossplatz. Natürlich mit einem (gewiss unbeschadeten) DFB-Pokal.
kicker