Fussballeuphorie in der Eishockeystadt: Der FC Biel fordert im Cup-Final den FC Basel heraus – auch dank einem Nerd mit ungewöhnlichem Karriereweg


Oliver Zesiger ist jetzt eine kleine Berühmtheit im Schweizer Fussballgeschäft. Und weil die Branche geschwätzig ist, kursierte in letzter Zeit das Gerücht, dass der Sportkoordinator des FC Biel ab dem Sommer als Scout für den FC Lugano arbeiten werde. Eigentlich hätte dieser Transfer erst nach dem Cup-Final der Bieler am Sonntag gegen den FC Basel bekanntgegeben werden sollen. Doch als der Wechsel Anfang Woche auch auf dem sozialen Netzwerk X kolportiert wurde, beendete der Klub die Geheimniskrämerei und bestätigte den Abgang Zesigers.
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Oliver Zesiger will leave FC Biel at the end of this season 👋🏽
The 42-year-old, who is well known in the industry as a proven expert, will take on scouting duties at Lugano starting next season ⚫️⚪️#FCBiel #FCLugano
— Andre Oechsner (@andreoeausm) May 25, 2025
Beim Treffen vor zwei Wochen in einem Café am Bieler Bahnhof sagt Zesiger: «Ich denke Tag und Nacht nur an den FC Biel.» Er weiss bereits, dass er seinen Karriereweg ab dem Sommer im Tessin fortsetzen wird. Aber vorher steht noch dieser historische Auftritt des FC Biel im Cup-Final auf der Agenda.
Die Bieler spielen in der Promotion League und sind der erste Finalteilnehmer aus der dritthöchsten Liga in der 100-jährigen Geschichte des Schweizer Cups. Zesiger spricht von «Sechzig-Stunden-Wochen» und davon, wie vielfältig seine Arbeit im FC Biel sei. Es geht um Kaderplanung und Scouting, Vertragsverhandlungen und Gespräche mit Spieleragenten, um Wohnungssuche für Spieler, um Medienarbeit. Zesiger erledigt im Grunde genommen die Arbeiten in Personalunion, die in grösseren Fussballklubs vom Sportchef, vom Teammanager, vom Scouting-Chef und vom Medienchef abgedeckt werden.
Zesiger stört das nicht. Denn er lebt seinen Traum. Oder präziser: Er tut nichts anderes, als genau das, was er Tausende von Stunden in der populären Simulation «Football Manager» getan hat: Er organisiert einen Fussballklub. Sein Werdegang ist mindestens erstaunlich, bestimmt ungewöhnlich, in gewisser Weise einzigartig. Er sagt: «Es war immer mein Ziel gewesen, im Fussball zu arbeiten. Selbst wenn das früher natürlich komplett unrealistisch war.»
Dankbar, einen Weg aus der Depression gefunden zu habenAufgewachsen ist Zesiger in Biel. Nach der Schule begann er eine KV-Lehre, die er damals nicht beendete, weil er mit psychischen Problemen zu kämpfen hatte. Er war fünf Jahre in Behandlung, konnte in dieser Zeit nicht arbeiten, fand aber mit 24 Jahren schliesslich einen Weg aus der schweren Depression – auch dank dem Fussball. Heute ist Zesiger 42 Jahre alt, und wenn er zurückblickt auf sein Leben, so ist die Dankbarkeit zu spüren, einen Weg aus dieser schwierigen Zeit gefunden zu haben. Vielleicht nimmt er sich auch deshalb nicht zu wichtig, ist angenehm im Umgang und beliebt in der Szene, bildet gerne junge Menschen aus, die ebenfalls davon träumen, Spuren im Fussballgeschäft hinterlassen zu können – etwa im Scouting.
Bereits als Jugendlicher war Zesiger der Faszination von «Football Manager» erlegen – wie Millionen anderer Menschen. Das Spiel existiert seit 1992 und ist seither ständig gewachsen, mittlerweile gibt es fast eine Million umfangreiche Datensätze von echten Personen, unter ihnen sind die Hälfte Fussballspieler. Vereine aus weit über 120 Ligen und 60 Ländern auf 5 Kontinenten lassen sich dirigieren, Tiefe und Realismus des Spiels sind überwältigend.
Zesiger ist seit vielen Jahren Chef-Scout von «Football Manager» in der Schweiz. 2009 hatte er sich gemeldet, um auf freiwilliger Basis mitzuhelfen, die Schweizer Ligen bis hinunter in die 2. Liga interregional aufzubauen. Auf eigene Kosten besuchte er in seiner Freizeit mehrere Begegnungen pro Woche, las alles über die Klubs, erweiterte sein Netzwerk, war als Fussball-Nerd zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Heute sind rund 1200 Personen weltweit als Scouts für «Football Manager» tätig; in der Schweiz koordiniert Zesiger zwanzig freie Mitarbeiter. Nicht ohne Stolz vermeldeten das Entwicklerstudio Sports Interactive sowie der Hersteller Sega auch schon, dass «Football Manager» in England offiziell in 35 Scheidungsverhandlungen erwähnt worden sei – die Männer hatten einfach zu oft gezockt.
Gefühlt das halbe Seeland wird am Sonntag im Wankdorf seinHauptberuflich arbeitete Zesiger für unterschiedliche regionale Firmen in Biel, ehe er 2017 eine Anstellung bei Lausanne-Sport, damals in der Challenge League, als Scout erhielt. Er war dabei, als der Klub Spieler wie Dan Ndoye, Andi Zeqiri, Zeki Amdouni entdeckte. 2021 zog Zesiger weiter zum Unternehmen Heusler Werthmüller Heitz, wo er unter anderem Fussballer betreute.
Bernhard Heusler, Mitgründer und Partner der Firma, sagt, er habe in seinem Berufsleben kaum jemals einen Menschen kennengelernt, der ständig so unter Strom stehe und alle Aufgaben und Aufträge mit einer solchen Leidenschaft und Akribie erledige.
Womöglich war der Weg Oliver Zesigers in den Fussball eine logische Konsequenz. Er koordinierte einst parallel auch die Schweizer Seite des Onlineportals Transfermarkt, etablierte sich als Spezialist für Datenanalyse, erhielt Angebote von Fussballvereinen. 2022 schloss er sich dem FC Biel an, ein Jahr später wurde er Sportkoordinator. Das Ziel von Core Sports Capital, der Organisation des Schweizer Investors und Klubbesitzers Ahmet Schaefer, ist klar: der Aufstieg in die Challenge League. Der FC Biel ist im komplizierten Konstrukt Schaefers zurzeit der Lichtblick. Clermont Foot 63 verhinderte in Frankreich in der Barrage den Abstieg aus der Ligue 2 in extremis – nur ein Jahr nach der Relegation aus der höchsten Spielklasse. Und auch Lustenau hatte in der zweiten österreichischen Bundesliga eine schwierige Saison.
Der FC Biel aber sorgte in den letzten Monaten für positive Schlagzeilen, schaltete im Cup sensationell den FC Lugano und YB aus, verpasste jedoch knapp den Aufstieg, der für den Klub langfristig gesehen wichtiger gewesen wäre als die Erfolge im Schweizer Cup. «Biel ist eine Eishockeystadt», sagt Zesiger. «Aber auch im Fussball wächst etwas.» Im Wankdorfstadion in Bern werden am Sonntag jedenfalls weit über 10 000 Seeländerinnen und Seeländer sein, wenn der FC Biel den finalen Coup realisieren möchte.
Die Bundesliga als grosses ZielIn dieser Saison operiert der Bieler Klub mit einem Budget von rund einer Million Franken. Vor ein paar Jahren hatte der FC Biel unter dem Zürcher Carlo Häfeli hochtrabende Pläne, die Zusammenarbeit mit dem damaligen Spielerberater Milos Malenovic, heute der Sportchef im FC Zürich, endete kläglich und verursachte wirtschaftliche Probleme. «Wir denken, dass es realistisch ist, den FC Biel mittelfristig in der Challenge League zu etablieren», sagt Zesiger.
In den vergangenen Wochen sei das Team allerdings mental müde gewesen aufgrund des Cup-Höhenflugs. So gesehen sind die Bieler auch Opfer des eigenen Erfolgs. Im Gegensatz zum FC Biel hat Zesiger den Aufstieg bereits realisiert. Er ist einige Schritte weiter als vor fünf Jahren, als er bei einem Treffen im gleichen Café am Bieler Bahnhof bereits davon sprach, alles dafür zu geben, im Fussball-Business irgendwann der Sportchef eines Vereins zu sein – wie in «Football Manager».
Wenn Zesiger minutenlang über datengetriebenes Scouting spricht und davon, welches die grössten Talente aller Jahrgänge in der Schweiz seien, kann man ahnen, was er beim FC Lugano ab dem 1. Juli vorhat. Das Ende seiner bemerkenswerten Reise soll dieser Transfer keineswegs darstellen. Als Bub träumte Oliver Zesiger stets davon, einmal in der deutschen Bundesliga zu arbeiten.
nzz.ch