Löws Zwickmühle: Lässt er Xavi die Binde?

Er ist eins der Gesichter der Krise von RB Leipzig - und war beim 0:4-Untergang in Frankfurt erstmals Kapitän: Muss Xavi die Binde nach nur einem Spiel wieder abgeben?
Außer leeren Händen gab's in Frankfurt nichts zu holen: Xavi als RB-Kapitän beim 0:4 vor sechs Tagen. IMAGO/Ulrich Hufnagel
Er verabreichte eine Dosis Kritik, aber damit sie nicht ganz so bitter schmeckte, packte Zsolt Löw gleich noch ein Lob dazu. "Einhundertprozentig glücklich" sei er mit der Art, wie Xavi "Dinge annimmt", versicherte der RB-Coach am Freitag und nannte den Austausch mit dem Niederländer "sehr konstruktiv".
Zu besprechen gibt es in diesen Wochen, in denen Leipzig auch unter dem Nachfolger des Ende März geschassten Marco Rose gegen die eigene Launenhaftigkeit ankämpft, ziemlich viel. Löw hatte Xavi vor sechs Tagen beim 0:4-Debakel in Frankfurt in Abwesenheit von Kapitän Willi Orban (Oberschenkelverletzung) und Peter Gulacsi (Gehirnerschütterung) erstmals die Kapitänsbinde anvertraut, aber mehr als eine Teilnahme-Urkunde sprang für Leipzigs Unterschiedsspieler außer Dienst nicht heraus. Xavi wurde nach 76 Minuten ausgewechselt, und Löw, der den Hochbegabten mit dem Schachzug stärker in die Verantwortung nehmen wollte, bekannte hinterher: "Wir beide hätten uns das anders gewünscht."
Ob der 22-Jährige am Samstag im Heimspiel gegen den FC Bayern München, das Orban und Gulacsi ebenfalls verpassen werden, erneut die Binde trägt, ist offen. "Wir haben schon vor dem Frankfurt-Spiel darüber gesprochen, warum er die Kapitänsbinde kriegt und was wir von ihm erwarten", sagte Löw. "Dass er das noch nicht zu 100 Prozent erfüllen konnte, wie die größten Kapitäne mit 300, 400 Spielen in den Beinen und wichtiger Routine, ist klar. Er hat es versucht, aber es gibt in dem Bereich noch Luft nach oben."
Löw will die Entscheidung "nicht allein treffen"Die vermeintliche Formalie könnte sich im schlimmsten Fall zum internen Politikum auswachsen. Einen Entzug der Binde nach nur einem Spiel könnte Xavi, der eher kein kleines Ego hat, als Vertrauensentzug deuten. Andererseits: Wirklich beflügelt hat ihn die Beförderung in Frankfurt augenscheinlich nicht. Löw steht vor einer kniffligen Entscheidung, er will sie "nicht allein treffen".
Der vor der Rückkehr in die Startelf stehende Nationalspieler David Raum (27) könnte ein Anwärter für die Binde sein, qua Erfahrung auch Abwehrspieler Lukas Klostermann (28) - und Kevin Kampl (34), falls er ein Startelf-Mandat erhält. Der Mittelfeld-Routinier stand nach überstandener Nagelentzündung in Frankfurt wieder im Spieltags-Kader und ist gegen Bayern bereit für mehr. "Kevin ist wieder fit und hatte eine gute Trainingswoche. Er ist immer ein Kandidat für die Startelf", erklärte Löw, der die aktuelle Trainingswoche als "Qualifikationswoche ausgerufen" hatte. Heißt: "Wir haben einen anderen Ansatz gewählt und gesagt: Jeder kann sich zeigen, jeder soll sich zeigen, wie bereit er ist. Die Trainingsleistung in dieser Woche beeinflusst die Aufstellung sehr stark."
Nach dem Debakel in Frankfurt erwartet der Ungar gegen den Tabellenführer, der sich in Leipzig zum Meister küren will, eine Trotzreaktion seines Teams und erheblich mehr Feuer und Energie als bei der blutleeren Darbietung am vergangenen Wochenende. "Wir versuchen alles, was man von außen beeinflussen kann. Aber Motivation, Ehrgeiz, Leidenschaft, Spaß - das braucht man von innen kommend", sagte Löw vor dem Duell gegen den Klub, für den er als Co-Trainer unter Thomas Tuchel zwischen März 2023 und Juni 2024 gearbeitet hatte.
Raus aus der Komfortzone"Mit Leidenschaft sieht unser Spiel ganz anders aus. Fußball ist nicht, bis zu einem gewissen Grad zu gehen und in der Komfortzone zu bleiben. Fußball ist auch, aus der Komfortzone rauszugehen und dann, wenn es weh tut, einen Schritt weiterzugehen." Diese Extra-Meile will Löw am Samstag sehen - unabhängig davon, wer den Liga-Fünften in der ausverkauften Red Bull Arena als Kapitän aufs Feld führt.
kicker