WM 2034 in Saudiarabien: Gianni Infantinos Kritiker schlagen Alarm


Rendering Populous via Getty
Für Gianni Infantino war die Woche grossartig. Am Dienstag nahm der Fifa-Präsident am Staatsbesuch von US-Präsident Donald Trump in Saudiarabien teil, und schon bei der Begrüssung in Riad zelebrierte er sein inniges Verhältnis zu den Mächtigen. Mit Trump scherzte Infantino, den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman berührte er kumpelhaft am Oberarm.
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Dann kam es für ihn noch besser. Während einer Ansprache ermunterte Trump das Publikum zu stehenden Ovationen für den Fussballfunktionär. Und während sich sogar bin Salman erhob, lobte der US-Präsident den Fifa-Chef: «Grossartiger Job, Gianni, grossartiger Job.» Derart geschmeichelt, gab es für Infantino kein Halten mehr. An einem Investment-Forum im Gastgeberland der WM 2034 sagte er, der Fussball liefere der Menschheit das, was jeder wolle: «Glück und Gesundheit.»
Am Donnerstag fand der Fifa-Kongress in Paraguay statt, und manche Teilnehmer reagierten verstimmt, als sie vernahmen, dass Infantino unmittelbar zuvor auch noch in Katar aufgetaucht war. Dort setzte der Schweizer gemeinsam mit Emir Tamim bin Hamad Al Thani sowie erneut mit Trump selig grinsend seine Unterschrift auf einen Fussball. Die in Asunción weilenden Delegierten bekamen Zweifel, ob der Fifa-Präsident es rechtzeitig zu ihrer Versammlung nach Südamerika schaffen würde.
Der Fifa-Kongress wird mit Geld besänftigtInfantino verspätete sich in Paraguay tatsächlich um mehrere Stunden, aber der Unmut hielt sich in Grenzen. Der Fifa-Präsident rechnete den Kongress-Teilnehmern vor, wie viel Geld die Klub-WM im Juni und Juli in den USA generieren werde, welches selbstverständlich zurück in den Fussball fliesse, also an Klubs oder Verbände. Und schon dürften viele Abgeordnete besänftigt gewesen sein.
Was Infantino nicht sagte: Ein grosser Teil der Einnahmen stammt aus Saudiarabien, möglich macht das ein spezieller Fernseh-Deal. Die Fifa begibt sich zunehmend in ein Abhängigkeitsverhältnis zu dem Königreich. Aber solange das Finanzielle unterm Strich stimmt, ist jede verbandsinterne Opposition machtlos.
Externe Kritik verpufft sowieso, das erlebte diese Woche beispielhaft die Organisation Human Rights Watch. Während Infantino zwischen den Kontinenten hin und her schwebte, veröffentlichte diese auf ihrer Website eine Studie, in der sie Dutzende «grausame und vermeidbare» tödliche Unfälle auf saudiarabischen Baustellen beschrieb: Gastarbeiter stürzten von Gebäuden, erlitten Stromschläge, manchen wurden sogar durch Maschinen versehentlich die Köpfe abgetrennt.
Um die Schicksale plastischer begreifbar zu machen, zitierte Human Rights Watch Angehörige der Opfer. Die Witwe eines 33-Jährigen aus Bangladesh gab an, ihr Mann sei während Bauarbeiten vom dritten Stock eines Gebäudes gefallen. «Er starb nicht sofort», sagte sie. «Aber niemand half ihm. Man befürchtete juristischen Ärger.»
In die Schlagzeilen schaffte es Human Rights Watch kaum. Und das, obwohl die Londoner Analysefirma Fair Square in einem zeitgleich veröffentlichten Bericht aufzeigte, welche Konsequenzen die mangelnde Aufarbeitung der Todesfälle haben könnte. Sie mahnte, Projekte wie die Wüstenstadt Neom, aber auch die Fussball-WM 2034, könnten in den nächsten Jahren Tausende Menschenleben kosten. Der Fussball, so das zynische Fazit, bringt eben nicht jedem Menschen Glück und Gesundheit. Wenige nahmen bisher Notiz von der drastischen Hochrechnung.
Vorfälle wie jener, als im März ein Gastarbeiter aus Pakistan auf der Baustelle des Aramco-Stadions in al-Khobar in den Tod stürzte, dürften sich vielfach wiederholen, glaubt man Fair Square. Der Mann war an keinem Sicherungspunkt befestigt gewesen, als das Unglück passierte, und Zeugen berichteten, dass seine Kollegen angewiesen worden seien, Videoaufnahmen des Vorfalls zu löschen.
Vor einigen Jahren hätten Meldungen dieser Art noch andere Reaktionen provoziert. Als Todesfälle auf katarischen Baustellen publik wurden, sahen sich das Gastgeberland der WM 2022 und die Fifa mit einem globalen Proteststurm konfrontiert. Dass Vergleichbares mit Blick auf Saudiarabien nicht passiert, hat vielschichtige Gründe: Das Publikum ist abgestumpft, der Zeitgeist hat sich verändert. Und, vielleicht am wichtigsten: Die Fifa lässt ihre Kritiker auflaufen, sie schenkt ihnen keinerlei Aufmerksamkeit mehr.
Treffen der Machtlosen in einem Zürcher HotelMark Pieth möchte das nicht hinnehmen. Gemeinsam mit zwei Anwälten reichte der Basler Antikorruptions-Experte am Donnerstag über eine interne Plattform der Fifa eine dreissigseitige Klageschrift gegen den Verband ein. Pieth fordert konkrete Massnahmen zur Verbesserung der Menschenrechte in Saudiarabien. «Die Situation der Frauen ist sehr problematisch, jene der Gastarbeiter schlicht grauenvoll», sagt er.
Bereits mindestens hundert Hinrichtungen seien in diesem Jahr vollstreckt worden, heisst es in der Klageschrift, oft mit fadenscheinigen Begründungen, etwa der «Störung des sozialen Gefüges» durch die Teilnahme an Protesten. Auch Minderjährige sässen in Todeszellen. Willkürliche Festnahmen werden in dem Dokument ebenso adressiert wie das Kafala-System, das Migranten von ihren Arbeitgebern abhängig macht. In Katar wurde dieses zumindest auf dem Papier abgeschafft.
Am Freitag versammelten sich in der Zunftstube des Zürcher Hotels Widder mehrere Männer, die bei der Fifa einst wichtige Rollen gespielt hatten. Eingeladen hatte Pieth, der unter Infantinos Vorgänger Joseph Blatter zeitweise eine unabhängige Governance-Kommission geleitet hatte. Er insistierte darauf, dass der Weltfussballverband aufgrund seiner eigenen Richtlinien in Saudiarabien zum Handeln gezwungen sei.
Guido Tognoni, der frühere Mediendirektor, plädierte dafür, das Vorgehen auszuweiten: Zahlreiche andere Sportverbände trügen ebenfalls Wettbewerbe in dem Königreich aus und seien gleichermassen in die Pflicht zu nehmen. Und Jérôme Champagne, der als Präsidentschaftskandidat Infantino unterlag, sprach sich dafür aus, auch die Unterdrückung der schiitischen Minderheit in Saudiarabien in den Blick zu nehmen.
Gemeinsam war den Männern im Hotel Widder ein Gefühl von Machtlosigkeit. Pieth wertete es bereits als Erfolg, diesmal eine formelle Eingangsbestätigung erhalten zu haben: Ein früheres Dokument zur selben Thematik war von der Fifa ignoriert worden. Einen bindenden Charakter hat die Klageschrift jedoch nicht. Pieth setzt darauf, dass sich nationale Verbände oder Politiker dem Protest anschliessen.
Vorerst ist das aber nur eine schale Hoffnung: Infantino ist in andere Sphären entrückt.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»
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