Kampf um Unabhängigkeit: Eine solche Stimmung hat man bei Commerzbank lange nicht erlebt

Der Mann, an den bei der Hauptversammlung der Commerzbank wohl viele denken mussten, erschien am Donnerstagmorgen im Wiesbadener Congress Center erst gar nicht: Andrea Orcel. Kein Redebeitrag, keine Stimmabgabe – der Chef der italienischen Großbank Unicredit machte sich rar. Selbst die Stimmrechte seiner Aktien hat er nicht angemeldet. Wie er über die Vorschläge der Commerzbank oder die Führungsmannschaft denkt, blieb zumindest an diesem Tag sein Geheimnis: Kein Entlasten, kein Nicht-Entlasten, nicht einmal eine Enthaltung.
Dabei kontrolliert Unicredit über Umwege bereits rund 28 Prozent der Commerzbank – und Orcel kämpft seit beinahe einem dreiviertel Jahr um die Übernahme der zweitgrößten deutschen Privatbank. Seine überraschende Zurückhaltung sorgte beim Aktionärstreffen der zweitgrößten deutschen Privatbank für Verwunderung – und wohl auch für ein wenig Erleichterung.
Im Commerzbank-Turm in Frankfurt hatte man sich seit Wochen auf diese Hauptversammlung vorbereitet. Es war die erste Präsenzveranstaltung seit sechs Jahren – da ist man aus der Übung. Für Aufsichtsratschef Jens Weidmann, früher Präsident der Deutschen Bundesbank, war es die zweite Hauptversammlung in seiner Rolle, für Vorstandschefin Bettina Orlopp sogar die erste. Entsprechend war die Spannung hoch: Würde Orcel hier ein Übernahmeangebot präsentieren? Würde er die Wahl der neuen Aufsichtsräte torpedieren, dem Vorstand und dem Kontrollgremium die Entlastung verweigern oder eine kritische Rede halten oder von einem Entsandten halten lassen?

Noch wenige Tage zuvor hatte Orcel öffentlich gestichelt: Die vermeintlich guten Quartalszahlen der Commerzbank seien ohne Sondereffekte gar nicht so beeindruckend, ließ er wissen. Das Kreditgeschäft wachse auf Kosten der Profitabilität. Zudem soll Orcel gerade einen Brief an die Bundesregierung geschickt haben – obwohl Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) wenige Tage zuvor vermeldet hatte, auch die neue Regierung lehne eine Übernahme weiterhin ab, man stufe die Commerzbank als „systemrelevant“ ein. Zwar hatte Orcel versprochen, keinen Deal gegen den ausdrücklichen Willen der Bundesregierung durchzusetzen – sie hält noch rund zwölf Prozent der Bank. Doch was zählt schon eine politische Ansage, wenn ein selbstbewusster Bankchef ein Ziel verfolgt?
Handelt der Vorstand vor allem aus Eigeninteresse?Auch Weidmann und Orlopp vermieden das Thema Übernahme in ihren Reden demonstrativ. Stattdessen präsentierten sie die jüngsten Erfolge der Bank – und erhielten dafür ungewöhnlich freundliche Rückmeldungen im gut gefüllten Congress Center. „Sie sollten die Zahlen abwarten – es wird noch schöner“, sagte Weidmann, als er von Applaus unterbrochen wurde. Eine solche Stimmung hat man auf Commerzbank-Hauptversammlungen lange nicht erlebt, waren diese doch in den Jahren nach ihrer staatlichen Rettung in der Finanzkrise vor fünfzehn Jahren meist von Kritik geprägt. Auch Orlopp zeigte sich jetzt zuversichtlich: „Wir schaffen die beste Commerzbank, die es je gab.“ Die besten Jahre lägen noch vor der Bank, sagte sie – durch Effizienzsteigerungen, Stellenabbau und ein wachsendes Kreditvolumen soll die Rendite steigen. Die Botschaft: Unabhängigkeit lohnt sich.
Dabei wäre der Weg für ein Übernahmeangebot formal längst frei: Die Bankenaufsicht der EZB hat einer Aufstockung der Beteiligung auf bis zu 29,9 Prozent bereits zugestimmt, ebenso das Bundeskartellamt, welches aus Wettbewerbssicht keine Bedenken hat. Zugleich ist der Aktienkurs der Bank seit Jahresbeginn um 64 Prozent auf fast 26 Euro gestiegen – der höchste Stand seit Jahren; an der Börse ist die Commerzbank inzwischen mehr als 30 Milliarden Euro wert. Das liegt aber offenbar nicht nur an der Übernahmefantasie, sondern auch daran, dass die Aktionäre auch die Eigenständigkeit wohlwollend bewerten. Damit würde ein Angebot für Unicredit inzwischen auch deutlich teurer, auf den aktuellen Kurs müssten die Italiener noch eine Übernahmeprämie drauflegen. Offiziell hat sich die Unicredit dazu noch nicht geäußert, doch in Kreisen der Finanzaufsicht heißt es: Bei Kursen ab 25 Euro wird es für Orcel zunehmend unattraktiv.
Auch von den Aktionären kam diesmal mehr Lob als Tadel. Fondsmanagerin Alexandra Annecke von Union Investment erklärte, die Commerzbank sei „zurück auf der Erfolgsspur“. Das sei auch höchste Zeit – schließlich seien viele europäische Wettbewerber längst enteilt. Ihr Kollege Andreas Thomae von der Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka lobte ebenfalls die Unternehmensführung. Hendrik Schmidt von der Deutsche-Bank-Tochter DWS mahnte indes, man erwartete, dass der Vorstand unabhängig agiere und alle strategischen Optionen zur langfristigen Wertsteigerung prüfe, sagte er. Er wollte daher vom Vorstand wissen, wie dieser auf Gesprächsangebote von Unicredit reagiert habe – eine Frage, die auch ein Kleinaktionär aufwarf: Lehnten Vorstand und Aufsichtsrat eine Übernahme in erster Linie aus Eigeninteresse ab? Habe man sich die Politik geschickt gefügig gemacht?
Immerhin vor der Halle war Orcel allgegenwärtig: Die Gewerkschaft Verdi und der Betriebsrat hatten zu einer kleinen Demonstration aufgerufen. „Il mio cuore batte giallo“ – mein Herz schlägt gelb – stand auf einem Schild. Einige Mitarbeiter hatten sich sogar als Gallier verkleidet, im Widerstand gegen „die Römer“. Ihr Appell an die Aktionäre: „Wir wollen, dass sie ihre Anteile behalten und nicht an ausländische Investoren verkaufen“, sagte Verdi-Gewerkschaftssekretär Kevin Voß. Trotz des angekündigten Stellenabbaus demonstrierten Belegschaft und Vorstand an diesem Tag eine seltene Einigkeit.
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