Sie haben gerade die Uni abgeschlossen – und finden keinen Job. Auf junge gebildete Menschen kommen unsichere Zeiten zu


Gian Ehrenzeller / Keystone
Sie sind jung, klug und ehrgeizig. Sie studieren Betriebswirtschaftslehre oder Recht, wollen später einmal Unternehmensberater, Managerinnen oder Anwälte werden. Sie machen Praktika und schliessen Masterprogramme ab. Doch sie finden keinen Job.
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Uni-Abgänger und -Abgängerinnen der genannten Branchen haben es in der Schweiz derzeit ungewöhnlich schwer. Gerd Winandi-Martin sieht dieses Phänomen täglich. Er arbeitet seit dreizehn Jahren am Karrierezentrum der Universität St. Gallen (HSG), eine Stelle, die Studierende auf den Berufseinstieg vorbereitet. Kürzlich beriet er einen hochqualifizierten Kandidaten aus einem der Top-Masterprogramme der HSG. «Er hatte einen sehr guten Lebenslauf, ein einwandfreies Motivationsschreiben, ausgezeichnete Noten, relevante Berufserfahrung. Er hatte alles, was man mitbringen musste. Doch für 30 Bewerbungen erhielt er 29 Absagen.»
Das fiel Winandi-Martin schwer zu glauben. Doch solche Fälle nähmen zu. Er und sein Team beraten pro Jahr 1800 Studentinnen und Studenten. Und derzeit hörten sie von diesen jeden Tag: Sie hätten Mühe, eine Stelle zu finden.
Was früher als sichere Wahl galt, ist heute unsicher gewordenWas Winandi-Martin feststellt, beobachtet man auch an anderen Schweizer Universitäten. Ausschreibungen für Einstiegsstellen auf deren Stellenplattformen gehen zurück. Das Netzwerk der Schweizer Uni-Karrierestellen schreibt auf seiner Website: «Seit Covid-19 realisieren wir, dass wir absolut keine Ahnung vom Arbeitsmarkt für unsere Studienabgänger haben.»
Recht, Management oder Betriebswirtschaftslehre sind alles Bereiche, für die lange galt: Wer das studiert, findet schnell einen guten Job. Noch immer schreiben sich jedes Jahr viele junge Menschen in der Schweiz für diese Studienrichtungen ein. Doch das frühere Versprechen gilt heute nicht mehr unbedingt. Der Arbeitsmarkt wandelt sich stark. Was früher noch als sichere Wahl galt, ist unsicher geworden.
Warum ist das so?
An den Jungen wird zuerst gespartEinerseits ist die schwierige Lage, gerade für BWL- und Rechtsstudenten, konjunkturell bedingt. In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit lassen sich die jungen Personen, die gerade auf den Arbeitsmarkt kommen, besonders leicht einsparen – frei werdende Positionen werden dann nicht wiederbesetzt, oder es gibt einen Einstellungsstopp.
Zudem folgen auf Studienrichtungen wie BWL und Recht normalerweise Jobs, die stärker auf Konjunkturschwankungen reagieren. Im Gegensatz zur Ärztin im Spital oder zum Forscher im Labor wird der Unternehmensberater durch eine Firma eher eingespart, wenn diese Kosten abbauen muss. Hinzu kommt: Es gibt immer mehr Menschen mit einem Rechts- oder BWL-Abschluss. Und damit auch mehr Konkurrenz. Laut dem Amt für Arbeit des Kantons Zürich verzeichnete das kantonale RAV in den letzten Jahren mehr gemeldete junge Erwachsene mit einem Universitätsabschluss.
Doch es stellt sich auch die eine Frage, welche die Uni-Abgänger und -Abgängerinnen derzeit besonders umtreiben dürfte: Liegt die schwierige Lage auch daran, dass Unternehmen zunehmend auf generative künstliche Intelligenz (KI) setzen? Und damit effizienter werden und weniger Leute für die gleiche verrichtete Arbeit benötigen?
Seit Monaten wird darüber spekuliert, vor allem in den USA. Im Mai sagte Dario Amodei, der CEO des Tech-Unternehmens Anthropic, in den kommenden fünf Jahren würden 50 Prozent der Einstiegsjobs wegfallen. Führungskräfte grosser Firmen wie Amazon oder der Bank JP Morgan Chase rechnen mit einem KI-bedingten Stellenabbau. Jim Farley, der CEO von Ford, sagte vergangene Woche in einem Interview, KI werde die Hälfte aller Bürojobs in den USA ersetzen.
Aber ist da wirklich etwas dran? Und gilt es auch für die Schweiz?
Für die Prüfung von Verträgen braucht es keine Anwälte mehrIn der Rechtsbranche werden zunehmend KI-Tools verwendet, gerade bei der automatisierten Recherche, der Analyse von Dokumenten oder der Vertragsprüfung. Roland Köchli ist Partner in der Schweizer Anwaltskanzlei «epartners» und Vorsitzender im Bereich Digitalisierung des Schweizerischen Anwaltsverbands. Er beobachtet, wie generative KI in der Kanzlei eingesetzt wird, etwa bei Sorgfaltsprüfungen. Für diese verarbeiten KI-Modelle zusätzlich zu menschlichen Prüfern grosse Mengen an Dokumenten.
KI ist für die Kanzleien praktisch, stellt sie aber auch vor ein Problem: Anwälte arbeiten meist auf Stundenbasis. Köchli sagt, werde man mit KI schneller und könne einen Vertrag in zehn Minuten anstatt zwei Stunden erstellen, müsse man die Tarife senken und über andere Vergütungsmodelle nachdenken. «Die Arbeit über Stundenhonorare abzurechnen, lohnt sich dann nicht mehr.»
Auf der anderen Seite der Automatisierung steht Gordian Berger. Er ist technischer Leiter des KI-Startups Legartis, das für Rechtsabteilungen in mittelständischen Unternehmen Vertragsprüfungen automatisiert. Das funktioniert so: Braucht ein Unternehmen einen Vertrag, legen Anwälte Richtlinien fest, auf die der Vertrag geprüft werden soll. Das KI-Tool kontrolliert dann den Vertrag auf diese Regeln. Hierbei ist es in Schreibprogrammen wie Word integriert und schlägt ähnlich einer Autokorrektur die Verbesserungen vor, die Mitarbeitenden brauchen nur noch auf «annehmen» zu klicken.
Das führt laut Berger dazu, dass gar nicht mehr Anwälte solche Verträge prüfen müssen, sondern dass das beispielsweise auch Mitarbeitende aus dem Verkauf tun können. «Zusammen mit dem KI-Tool kann auch ich Verträge prüfen – und ich bin kein Jurist, ich habe einen Tech-Hintergrund.»
Vor allem Aufgaben von Juniors können automatisiert werdenDie Automatisierung im Rechtswesen durch generative KI könnte also dafür sorgen, dass man nicht mehr für alle Aufgaben zwingend Jura studiert haben muss. Die anspruchsvollen Tätigkeiten erledigen nach wie vor menschliche Fachpersonen. Die leichteren werden mit KI durchgeführt.
Köchli sagt, häufig würden diejenigen Aufgaben automatisiert, die normalerweise jüngere Arbeitskräfte erledigten. Er selbst habe als Junior bei Sorgfaltsprüfungen Tausende von Mietverträgen durchgearbeitet, als diese noch in Ordnern gesteckt hätten. Durch das viele Lesen habe er verstanden, welche Varianten von Verträgen es gebe, was ähnlich gemacht werde, was gut funktioniere und was eher nicht. Unter anderem dadurch habe er sich seine Erfahrung erarbeitet.
Diese brauche es im Job. Denn was man an der Universität lerne, sei theoretisch. «In den Vorlesungen sind Sachverhalte klar dargestellt. Aber das Leben ist chaotisch.»
Wenn die KI solche Aufgaben nun aber übernimmt – wie kommen Berufseinsteigerinnen dann zu ihren Erfahrungswerten? Köchli sagt: «Wir diskutieren das in der Branche derzeit laufend. Es ist eine grosse Frage – und ich weiss wirklich noch nicht, wie wir das lösen.»
Köchli stellt derzeit noch nicht fest, dass Juniors durch KI ersetzt würden. Fest stehe aber, dass die KI die juristische Arbeit verändern werde. «Ich würde mir heute gut überlegen, ob ich nochmals eine Anwaltskarriere einschlagen würde.» Wäre er noch einmal jung, würde er wahrscheinlich eher in einem Tech-Unternehmen arbeiten.
Universitäten müssen umdenken, junge Leute sich vorbereitenNicht nur im Rechtswesen, auch in anderen Branchen verändert KI die Aufgaben. Daten von Stellenausschreibungen auf der Jobplattform Indeed, welche der NZZ zur Verfügung gestellt wurden, zeigen: Der Anteil der Stellen, bei denen die Anwendung von KI verlangt wird, nimmt zu. Und er steigt besonders stark in Branchen wie dem Personal- oder Rechtswesen, dem Verkauf oder der Buchhaltung.
Die Zahlen beziehen sich auf den deutschen Markt, da Schweizer Zahlen derzeit noch nicht systematisch erfasst und ausgewertet wurden. Doch das Amt für Arbeit des Kantons Zürich teilt auf Anfrage ähnliche Beobachtungen. Neben kaufmännischen Bürotätigkeiten böten unter anderem auch Berufe mit hohen Qualifikationsanforderungen, darunter Fachkräfte im betriebswirtschaftlichen und juristischen Bereich, ein relativ hohes Anwendungspotenzial für KI, schreibt das Amt.
Samuel Mete vom Schweizer Personalvermittler Adecco schreibt: «Besonders betroffen sind gegenwärtig Branchen mit hohem Anteil an standardisierbaren Prozessen.» Beispielsweise in Beratungsunternehmen, Anwaltskanzleien oder im Investment Banking würden das Zusammenstellen von Präsentationen, die erste Analyse von Daten oder das Schreiben von Textentwürfen zunehmend von KI-Tools übernommen. Das seien alles klassische Junior-Tätigkeiten.
Die Aufgaben in diesen Feldern verändern sich, und damit auch die Anforderungen an Berufseinsteiger: Die Anwendung und Überprüfung von KI-Tools wird zur Voraussetzung. Das bedingt auch ein gewisses technisches Verständnis – und Wissen, um die Resultate der KI überprüfen zu können. Gleichzeitig zeigt eine Auswertung des Beratungsunternehmens PwC, das rund eine Milliarde Stelleninserate weltweit analysiert hat: Für Jobs, in welchen besonders viele Aufgaben mit KI-Tools ausgeführt werden können, sinkt aus Sicht der Schweizer Arbeitgeber die Bedeutung eines Hochschulabschlusses.
Was soll man jetzt lernen, was muss man können?Für Studierende stellt sich zunehmend die Frage: Soll ich überhaupt noch studieren und, wenn ja, was? Was soll ich noch lernen, was muss ich zusätzlich können? Für Universitäten ist es ein Weckruf. Sie müssen umdenken und ihre Studierenden auf die neuen Anforderungen des Arbeitsmarkts vorbereiten.
Die juristische Fakultät der Universität Basel befindet sich in Bezug auf Digitalisierung und die Bedeutung von KI in einem laufenden Reformprozess, wie sie auf Anfrage mitteilt. An der HSG läuft eine Anpassung des Lehrprogramms, mit dem Ziel, KI-Grundkenntnisse in den Lehrplan zu integrieren. Die ETH Zürich schreibt auf Anfrage: «Studierende müssen für die zukünftigen KI-unterstützten Arbeitsplätze vorbereitet werden.»
Matthias Geering, Kommunikationsverantwortlicher der Universität Basel, spricht einen entscheidenden Punkt an: KI-Modelle können Fehler machen. Studierende müssten diese erkennen und am Ende das Resultat einschätzen und werten können. Daher würden sie das Wissen, das ihnen in den Universitäten vermittelt werde, trotzdem brauchen.
Welche Jobs durch KI wie verändert werden, ist noch unklar. Fest steht aber: Es verändert sich derzeit viel auf dem Arbeitsmarkt, gerade in Wissensberufen. Und das spüren nun die jungen Gutausgebildeten.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»
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