Trotz der angespannten Lage in Europa: Die Royal Navy ist wieder «East of Suez»


Andrew Matthews / PA Images / Getty
Grossbritanniens Macht zur See war bis vor fünfzig Jahren ein gewichtiger Faktor im globalen Kräftemessen. Der Zenit der goldenen Ära Königin Victorias, des Ersten und des Zweiten Weltkrieges bis hin in den Kalten Krieg war überschritten. Erste Diskussionen über einen Abbau einer globalen Präsenz wurden bereits ab Mitte der 1960er Jahre geführt. Danach wurde der Abzug der Kräfte «East of Suez» 1971 Realität, namentlich jener von den Stützpunkten in Aden und Singapur.
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Die Labour-Regierung unter Harold Wilson kam zu der Überzeugung, dass die bisherige Strategie überholt sei. Das schwindende Imperium und die Entlassung zahlreicher Kolonien in die Unabhängigkeit, der Wegfall des Bedarfs nach Machtprojektion, vor allem die immensen Kosten, aber auch eine Überdehnung der noch vorhandenen Mittel liessen es nicht mehr zu, das Stützpunktnetz im Mittleren und Fernen Osten weiterhin aufrechtzuerhalten. Die sicherheitspolitischen Interessen konzentrierten sich nun vor allem auf die Rolle innerhalb der Nato im nord- und mitteleuropäischen Raum, wo die britische Rheinarmee im Rheinland allein vier Divisionen unterhielt.
Wiederaufbau der Aktivitäten seit 2021Die Aufgabe von Aden und Singapur bedeutete nun allerdings nicht, dass Grossbritannien sämtliche Interessen in dieser Region preisgegeben hätte. Wie die Einsätze in Brunei, im Irak, im Persischen Golf, in Afghanistan oder im Roten Meer gezeigt haben und teils noch immer zeigen, ist Grossbritannien bis heute bestrebt, seine eigenen Interessen zu wahren oder aber auch jene seiner Alliierten zu unterstützen.
Heute bleibt eine Präsenz von Elementen der Royal Air Force, der Army, der Royal Navy und der Royal Marines in der Region. So werden nach wie vor Luftstützpunkte in Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Oman genutzt. Die Royal Navy hat seit 2006 einige wenige Kriegsschiffe in Mina Salmon bei Manama stationiert, den Anlagen der 5. US-Flotte. Diese Einrichtungen in Bahrain hatte die US Navy 1971 nach dem Rückzug der Briten übernommen. Dort betreibt Grossbritannien seit 2018 weiterhin eine logistische Basis. Ebenfalls 2018 hat die Royal Navy im Hafen von Duqm, Oman, eine logistische Basis für alle Teilstreitkräfte errichtet. Diese wichtige Einrichtung ausserhalb des Golfes verfügt sogar über ein Trockendock. Damit kann die Royal Navy Kampfschiffe warten, die Operationen im Indischen Ozean und sogar ihre Flugzeugträger unterstützen.
Der Ruf nach weiteren Einrichtungen und selbst der Wiedereinrichtung von eigentlichen Stützpunkten wird periodisch laut, jüngst durch den früheren Premierminister Boris Johnson. So ist etwa der Stützpunkt von Sebawang in Singapur immer wieder genannt worden. Vorerst bleibt es allerdings bei diffusen Absichtserklärungen. Aber Grossbritannien bleibt auf andere Art aktiv in der Region und weitet seine Operationen seit 2021 beträchtlich aus.
Hochmoderne Flotte auf Deck der TrägerBestimmend für diese Aktivitäten ist die seit der Globalisierung stark steigende Bedeutung der Seehandelswege, deren zunehmende Bedrohung, aber auch die Bereitschaft, in Solidarität mit Dritten, vor allem den USA, Japan, Südkorea und den Commonwealth-Alliierten, in der Region Präsenz zu markieren, Aufgaben zu teilen und damit gegenüber den wiederholten Drohgebärden Chinas ein Zeichen zu setzen. Die Bedeutung dieses Einsatzes erhielt auch dadurch politisches Gewicht, dass Premierminister Keir Starmer den Verband kurz vor Beginn der «Operation Highmast» noch besucht hat.
Die Renaissance einer markanten «East of Suez»-Präsenz hat 2021 ihren Anfang genommen. Damals hat die Royal Navy, obschon ihr Bestand seit Jahrzehnten schrumpft, unter erschwerten Corona-Bedingungen einen Flottenverband um den Flugzeugträger HMS «Queen Elizabeth» mit über zwanzig F-35B-Kampfflugzeugen, vier Kampfschiffen, zwei Versorgungsschiffen und einem nuklearen Jagd-U-Boot, vermutlich der HMS «Astute», in die Region entsandt.
Seit diesem Einsatz sind vier Jahre vergangen. Nun hat kurz nach Ostern 2025 ein weiterer grosser Verband um den 65 000 Tonnen schweren Flugzeugträger HMS «Prince of Wales» mit Kurs Mittelmeer–Indischer Ozean–Fernost und Abstechern unter anderem nach Japan, in die Philippinen und nach Australien die Häfen von Portsmouth und Devonport in Südengland verlassen.
Zum Fliegergeschwader («Air Group») an Bord des Trägers gehören vierzig Flugzeuge und Helikopter, darunter die 809. Staffel der Navy und die legendäre 617. Staffel der Royal Air Force. Es sind dies achtzehn hochmoderne Kampfflugzeuge des Typs F-35B, später werden sechs weitere dazukommen. 2021 hatte die HMS «Queen Elizabeth» bloss acht britische F-35B an Bord, sie wurde damals noch mit einer Staffel des US Marine Corps mit zehn F-35B verstärkt.
«Operation Highmast» dauert bis Ende 2025Zur «Air Group» gehören auch sechzehn «Merlin»- und «Wildcat»-Helikopter, welche vor allem zur Luftraumüberwachung, zur U-Boot-Abwehr und für Verbindungszwecke eingesetzt werden. Ferner werden neun «Malloy»-Drohnen für den Transport von kleineren Gütern zwischen den Schiffen sowie unbemannte Luftfahrzeuge des Typs RQ-20 «Puma» zur Nachrichtengewinnung und Aufklärung an Bord sein. Der Kommandant der «Prince of Wales», Captain Will Blackett, betont, dass noch nie so viele Flugzeuge und Helikopter auf einem britischen Flugzeugträger dieser Gattung im Einsatz gewesen seien.
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Zum Verband «Carrier Strike Group 25» (CSG 2025) mit rund 2500, je nach Zusammensetzung bis zu 4000 Seeleuten unter dem Befehl von Commodore James Blackmore gehören nebst dem Träger der moderne Raketenzerstörer HMS «Dauntless», ein weiteres britisches und ein norwegisches Kampfschiff, ein nukleares Jagd-U-Boot der «Astute»-Klasse sowie ein Versorgungsschiff. Der Verband wird zeitweise mit Zerstörern und Fregatten sowie mit einem weiteren Versorgungsschiff aus Kanada, Norwegen, Spanien sowie Neuseeland verstärkt.
Die gesamte «Operation Highmast» dauert bis Dezember 2025. Sie verfolgt verschiedene Ziele. So soll einmal unter Beweis gestellt werden, dass die beiden britischen Träger-Kampfgruppen ihre volle operationelle Bereitschaft erreicht haben, dass die Verpflichtungen mit der Nato erfüllt werden und dass Grossbritannien gewillt ist, seine internationalen Verpflichtungen zur Wahrung der Sicherheit der Seewege und der Prosperität auch in der Region des Indopazifiks wahrzunehmen. Die Operation sieht eine grosse Zahl von Höflichkeitsbesuchen sowie von bi- und multilateralen Manövern vor.
Spitalbetten und SpezialkräfteDiese beginnen bereits mit einer Luftverteidigungsübung mit Frankreich, bevor der Verband ins Mittelmeer einfährt und dort unter Nato-Kommando eine Übung mit der italienischen Marine und dem Flugzeugträger «Cavour» absolviert. Die britischen F-35B werden während «Highmast» verschiedentlich mit anderen Luftwaffen und deren F-35 Kampfflugzeugen zusammenarbeiten.
Es ist derzeit nicht klar, ob sich die Kampfgruppe nach der Durchfahrt durch den Suezkanal ins Rote Meer («East of Suez») auch an Einsätzen gegen die Huthi-Rebellen beteiligen wird. Die Durchfahrt durchs südliche Rote Meer und das Bab al-Mandab wird als gefährlich betrachtet. Frühere Erfahrungen legen aber nahe, dass die CSG 2025 auch mit den beiden amerikanischen Flugzeugträgern USS «Harry S. Truman» und USS «Carl Vinson» in der Region durchaus zusammenarbeiten dürfte.
Solche Gelegenheiten ergeben sich nicht sehr oft. Sie sind wertvoll und erlauben es, gemeinsame Einsätze und Verfahren abzustimmen und zu koordinieren. Mitte Juli wird sich der britische Verband an der grossen amerikanisch-australischen Übung «Talisman Sabre» beteiligen, was die gewichtige Verpflichtung zur Aukus-Partnerschaft (Australien, UK, USA) demonstrieren soll. Dort werden sechs weitere F-35B und mit der RFA «Argus» ein Hilfsschiff als zusätzliche Unterstützung zum Verband stossen. Dieses Schiff verfügt über ein 100-Betten-Spital und über ein grosses Flugdeck für bewaffnete Helikopter, welche begrenzte Einsätze gegen Küstenziele fliegen können. Die «Argus» kann zudem auch Spezialkräfte aufnehmen.
Sicherheitspolitische Bedenken gegen die ExpeditionSolche Operationen erfordern nicht nur mehrmonatige und aufwendige Vorbereitungen mit intensiven Ausbildungssegmenten, sie sind auch logistisch ausserordentlich anspruchsvoll. Viele Reparaturen können zwar mit eigenen Mitteln und unterwegs oder in befreundeten Häfen durchgeführt werden. Dennoch ist immer wieder eine rasche Zuführung von Ersatzteilen und Spezialisten nötig, ebenso von Post und manchmal auch von Besatzungsangehörigen. Zu diesem Zweck wird die Royal Air Force eine Luftbrücke unter anderem mit C-17 und A-400 Transportflugzeugen bereitstellen und betreiben. Es ist ferner denkbar, dass der Verband während einzelner Übungsphasen dieses langen Einsatzes von P-8A-«Poseidon»-Flugzeugen zur U-Boot-Aufklärung unterstützt wird, die dann voraussichtlich auf Stützpunkte befreundeter Nationen verlegt werden.
Der anspruchsvolle Einsatz der Kampfgruppe «Prince of Wales» ist auch in militärischen Kreisen nicht unumstritten. So wird einmal argumentiert, dass die Royal Navy angesichts des schrumpfenden Bestandes es sich gar nicht leisten könne, während so langer Zeit so viele und gewichtige Schiffe zu entbehren.
In der Tat ist die Royal Navy auf die Verstärkung des Verbandes durch Kampfschiffe verbündeter Marinen angewiesen. Des Weiteren wird auf die kritische sicherheitspolitische Lage in Europa hingewiesen und darauf, dass sich Grossbritannien und vor allem die Royal Navy in erster Linie auf die Möglichkeit eines russischen Abenteuers insbesondere gegen das Baltikum, aber auch im Norden Norwegens konzentrieren sollte.
Diesen Argumenten stehen die dargelegten Ziele und Interessen der politischen Führung Grossbritanniens entgegen. Beide Sichten führen stichhaltige Gründe an. Aber es ist tatsächlich mutig, mit der «Operation Highmast» das Dispositiv in der europäischen Region während gut neun Monaten dergestalt zu entblössen. Es bleibt dabei die Erwartung, dass das Foreign Office und das Ministry of Defence in der Abwägung zwischen Nutzen dieses Einsatzes und einer Gefahrenlage in Europa weise entschieden haben.
Jürg Kürsener ist Oberst im Generalstab und Experte für den maritimen Raum.
nzz.ch