3D-Bioprinter von Cellbricks: heute Mäusespeck, bald Astronautenhaut und dann lebendige Organe

Die Vision ist der Grundstein eines jeden Startups. Je größer, desto ferner, desto länger dauert es und desto unwahrscheinlicher ist es, sie zu erreichen. Die Vision, mit der Lutz Kloke, der Gründer von Cellbricks, angetreten ist, ist buchstäblich so fern wie der Mars. Doch: Um es jemals dahin zu schaffen, löst seine Firma erstmal irdische Probleme. Und das zahlt sich aus. Ein Lehrstück darüber, wie Startups die große Vision nicht aus den Augen verlieren, auch wenn sie sich auf dem Weg dahin immer mal wieder neu erfinden.
Cellbricks Therapautics ist angetreten mit dem Versprechen, menschliche Organe mit dem 3D-Drucker herzustellen. Neue Lebern, Ersatz-Nieren – statt Organspende, gedruckt aus den eigenen Zellen des Patienten. Wild, Sci-Fi, ein medizinischer Meilenstein im Kampf gegen den Tod.
Jetzt kann man mit dem CEO Alexander Leutner aber auch darüber sprechen, wie Cellbricks Märkte in der ästhetischen Medizin für sich erschließen könnte. Selbst vor dem Begriff „Longevity“ scheut er nicht zurück. Klar, da spielen sie das auch gerne mit. Sie, die lebendige Organe anstreben, könnten potenziell auch faltenfreies Lächeln ermöglichen oder das Älterwerden ohne zu altern – wer weiß?
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Leutner trifft man dieser Tage überall in Berlin: auf der Tech-Messe Deep Tech Momentum, beim Family Day des Hightech Gründerfonds auch. Da wird klar: Seine Firma ist im Fundraising. Sagt er auch so: „Wir befinden uns aktuell im Fundraising-Modus – mit starkem Rückenwind und vielversprechenden Gesprächen mit potenziellen Partnern.“ Es gehe um präklinische Studien, den zentralen Schritt in Richtung klinische Phase, erklärt er. Und die sind natürlich teuer. Bis die Technologie von Cellbricks am Menschen getestet werden könne, sei wohl ein mittleren zweistelligen Millionenbetrag nötig. „Den können wir über diese und voraussichtlich eine weitere Finanzierungsrunde einsammeln“, sagt Leutner gut gelaunt.
In so einer Phase muss ein CEO viel raus und möglichst jede Bühne nutzen. Manchmal kann man Leutner aber trotzdem auch im Labor treffen. Auf dem Gelände des Pharma-Konzerns Bayer im Berliner Stadtteil Wedding. Dort ist Cellbricks Therapeutics Mieter. Bayer ist weder Investor noch Kunde. Das Startup ist schon seit einigen Jahren hier. Hier hat das Team um den Wissenschaftler und Pharmazeut Lutz Kloke, der Cellbricks aus seiner Promotion heraus und als ein Spin-Off der TU Berlin gegründet hat, seinen ersten lichtbasierten 3D-Laserdrucker für Gewebe entwickelt.
Menschliches Gewebe besteht aus einer Vielzahl unterschiedlicher Zellen. Muskelzellen, Blutgefäßzellen, Bindegewebszellen, Fettzellen. Verbunden sind diese durch eine sogenannte extrazelluläre Matrix, ein Gemisch aus Collagen und Hyaluronsäuren.
Um also Gewebe mit einem 3D-Bioprinter drucken zu können, bedarf es also einerseits unterschiedliche Zellen und anderrseits „Bioink“, also Biotinte, als Matrix dazwischen.
Beim lichtbasierten 3D-Druck befinden sich auf einem drehbaren Tablett Gefäße mit unterschiedlichen Arten von Zellen in Biotinte. Der Drucker bekommt einen digitalen Bauplan, um zu wissen, an welche Stelle welche Sorte von Zellen gehört. Dann dreht er sich abwechselnd die entsprechenden Gefäße heran.
Das Konstrukt selbst entsteht dann durch Belichtung: Dort, wo das blaue Licht die Zellen in Biotinte trifft, härten sie aus. So wächst quasi Schicht für Schicht von unten herauf ein Stück Gewebe.
Bei unserem ersten Besuch bei Cellbricks im November 2022 hat „Dagobah“ für uns gedruckt, ein Bioprinter der vierten Generation von Cellbricks-Druckern, benannt nach einem „Star Wars“-Planeten. Damals hat sich ein Teil des zwölfköpfigen Teams um den Drucker versammelt, als er zu Demonstrationszwecken angeschmissen wurde. Man hatte das Gefühl, es war auch für die Mitarbeitenden immer noch ein besonderer Moment, wenn Dagobah lautlos und flott Gewebe erschuf.
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„Science Fiction prägt unser Bild“, sagte Lutz Kloke damals im Interview. Neue Niere, Leberimplantat, Ersatz-Bauchspeicheldrüse – „das ist schon das, wo wir hinwollen, definitiv.“ Im Gespräch fiel auch der Begriff „Nobelpreis“. Ja, möglicherweise hätte die Idee das Potenzial, den zu gewinnen. Und bei der Frage, wo 3D-Organ-Drucker zum Einsatz kommen können, wurde es außerirdisch: Zu diesem Zeitpunkt war gerade ein Forschungsprojekt des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und der Charité geendet, bei dem in Schwerelosigkeit Gewebe gedruckt worden war.
Im Grunde sei das Teil der Vorbereitung einer Marsmission gewesen: „Wenn Astronauten zum Mars fliegen, ist die wahrscheinlichste Art der möglichen, schlimmen Verletzungen die Brandwunde“, erklärte der damalige Cellbricks MD Joachim von Arnim. In der Schwerelosigkeit stoße man sich nicht den Kopf und breche sich nichts. Aber Verbrennungen, die könnten vorkommen. „Und dann wäre es natürlich super, wenn sich die Astronauten vor Ort in der Raumstation neue Haut drucken könnten.“
Doch während es auf der einen Seite um ferne Horizonte und galaktisch weit entfernte Ziele ging, hatte Cellbricks damals schon einen sehr irdischen Use-Case für seine Technologie vor Augen. Einen, der so sinnvoll wie umsetzbar war: Brustimplantate aus dem 3D-Biodrucker. Also Gewebe aus menschlichen Zellen, aber ohne Organfunktion. Das ist einfacher. Einfacher als die Leber, erstmal. „Das ist unser Flagship-Produkt zu Beginn“, sagte Gründer Kloke.
Zudem hatte Cellbricks in Zusammenarbeit mit der Charité ein Projekt gestartet, im Rahmen dessen der 3D-Drucker Gewebe aus kranken Zellen von Krebspatienten druckte. Tumore quasi, an denen Onkologen unterschiedliche Therapien ausprobieren konnten. Solche Projekte gäben ihnen „die Hände frei, sodass wir uns besser fokussieren können“, erklärte MD Alexander Leutner. Fokussieren auf das große Ziel: Lebendige Organe drucken. Irgendwann – so bald wie möglich.

Seitdem ist viel passiert. Unter anderen hat sich der Gründer Lutz Kloke aus dem operativen Geschäft zurückgezogen. Er habe eine „strategische Rolle im Advisory Board übernommen“, lässt er uns wissen. „Für ein Unternehmen wie Cellbricks ist es entscheidend, in der nächsten Wachstumsphase frische Impulse ins Management zu bringen.“
Heute drucken mehrere Drucker jeden Tag. Lautlos stellen sie gemäß der Pläne, die ihnen der angeschlossene Computer bereitstellt, Gewebe her. Unterschiedliche Formen und Texturen. „Die drucken ständig irgendwas“, sagt Leutner bei der Führung durch das Labor. Ein Cellbricks-Drucker stehe seit rund fünf Monaten auch in der Berliner Charité. Die dortigen Mediziner würden ihre eigene Forschung damit machen. Es läuft also alles.
Die Celbricks-Mannschaft ist derweil auf 23 Leute aus zwölf Nationen gewachsen. Und die Firma ist aus einem Container auf dem Hof der Bayer AG in das Hauptgebäude gezogen. Alex Leutner führt durch die Räume. An den Türen der Büros auf der rechten Seite hängen handgeschriebene Zettel: „Fat“ steht auf dem einen, „Liver“ auf dem anderen. Dahinter sitzen die Teams, die an den jeweiligen Themen arbeiten. Man könnte auch sagen: Das eine, das am aktuellen Geschäft werkelt, das Fat-Team. Und das andere, das die Vision für die Zukunft weiter verfolgt: das Liver-Team.
Der erste Raum der Celbricks-Etage sieht aus wie eine Schlosser-Werkstatt. Metall-Teile auf dem Boden, Werkzeug, Schrauben, Kabel überall. Hier wird gerade „Sally“ zusammengeschraubt. Eine neue Generation des Bioprinters. So könnte er in Serie gehen. Aber noch liegen hier viele Einzelteile.
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Für Cellbricks sind unterschiedliche Geschäftsmodelle denkbar, erklärt Leutner: Einerseits kann die Firma Gedrucktes verkaufen, also Gewebe, Implantate und Organe. In der Zukunft könnten aber auch die Drucker selbst verkauft werden. Und dann ist da noch ein Modell, das besonders smart und nach Skalierbarkeit klingt: Leutner spricht davon, eine Plattform für unterschiedliche Anwendungen werden zu können. Für Pharmafirmen etwa, die gedrucktes Gewebe in bestimmten Formen oder aus bestimmten Zellen für Forschung und die Entwicklung neuer Medikamente nutzen können.
Beim Gang durch das Labor erzählt Leutner vom jüngsten Meilenstein von Team „Fat“: ein erfolgreicher Tierversuch. Das Team hat Mäusen mit dem Bioprinter gedrucktes Weichgewebe verpflanzt – und nach sieben Wochen sei dieses komplett eingewachsen, verwachsen mit dem echten Mäusegewebe, sodass sich in dem Implantat Gefäße gebildet hätten. „Ohne Fibriose“, sagt Leutner. Das sei weltweit noch keinem anderen gelungen.
Ja, Cellbricks hat internationale Konkurrenz. Das kanadische Unternehmen Aspect Biosystems etwa, das ebenfalls menschliches Gewebe druckt. Anfang des Jahres steckten Investoren 115 Millionen Euro in die Firma, insgesamt sind bereits 200 Millionen geflossen. Die Kanadier haben sich mittlerweile spezialisiert: auf den Druck von Gewebe aus Bauchspeicheldrüsenzellen, die Insulin herstellen und bei der Behandlung von Diabetis-Patienten eingesetzt werden können. Als führend gilt das schwedische Startup Cellink, das mittlerweile zur US-amerikanischen Bico-Group gehört. Deren Spezialität sind Hautgewebe, Gelenke und Knorpel.

Ja, Mäusespeck ist noch keine neue Leber. Das bleibt visionär. Aber der Mäusespeck-Erfolg bringt Cellbricks einen guten Schritt näher zu einer weiteren kommerziellen Anwendung ihrer Technologie: Gedrucktes Fettgewebe könne zur chronischen Wundheilung etwa bei dem sogenannten „diabetischen Fuß“ eingesetzt werden. Oder bei schweren Verbrennungen. Oder bei komplexen Traumaverletzungen. „Das sind medizinisch hochrelevante Anwendungen mit erheblichem klinischen Bedarf“, sagt Leutner.
Will sagen: Hierfür gibt es asap einen Markt. Und dem entsprechend hat Cellbricks seine To-Do-Liste ein bisschen umgestellt. Die Brustimplantate, die vor zwei Jahren noch das Flagship-Produkt sein sollten, müssen soch ein bisschen warten. Der Fahrplan jetzt: Erst Haut, dann Brust. Und dann – immernoch – Leber und Co. „Mit dem ‘Auffüllen‘ tiefer und komplexer Wunden haben wir einen noch dringlicheren und regulatorisch schneller zugänglichen Use Case priorisiert“, erklärt der CEO, verspricht aber auch: „Die Anwendung zur Brustrekonstruktion folgt im nächsten Schritt.“
Um weiterzukommen, stünde als Nächstes eine Studie mit Schweinen an, denen, so wie den Mäusen auch, gedrucktes Gewebe verpflanzt wird. Klappt das, folgt der Versuch an Menschen. Der ist für 2027 geplant – und zwar in den USA. Cellbricks strebe ein Zulassungsverfahren durch die FDA an, erzählt Leutner. Auch, um sich dafür zu qualifizieren, hat Cellbricks im vergangenen Jahr einen Standort in Boston eröffnet. Anfang des Jahres übernahm Simon MacKenzie, ein Manager mit umfassender Erfahrung bei US-Pharmakonzernen, den Posten als Co-CEO.
Sind das Signale? Geht es für Cellbricks mittelfristig ganz dorthin? Passiert hier das, was oft beklagt wird: Innovation made in Germany geht mangels Wachstumsfinanzierung zum Wachsen ins Ausland? Leutner gibt sich diplomatisch: „Nach einigen regulatorischen Hürden in Deutschland verlagern wir unsere nächsten Studien nach Boston – nicht zuletzt aufgrund des starken Interesses aus den USA. Gleichzeitig ist es mir wichtig, insbesondere unser Headquarter fest in Europa zu verankern.“
Nun ist es womöglich auch an den Investoren, die sich in der aktuellen Runde an Cellbricks beteiligen. Wo kommen die her, Europa oder USA? Bislang seien zehn Millionen Euro in Cellbricks geflossen, sagt leitner, die Hälfte davon Stipendien, die andere von Investoren, wie der Deep-Tech Fund ACT Ventures Partner oder B Value, dazu Family-Offices und Angels, darunter viele Mediziner. Für die nächste Runde strebt Leutner deutlich mehr an. Schließlich geht es ja um die große Vision. Und große Visionen sind nun mal teuer.

businessinsider