Hinter Trumps grosser Vision eines Golden-Dome-Abwehrsystems stehen ebenso grosse Fragezeichen


US-Präsident Donald Trump klang wie immer vollends von sich überzeugt, als er diese Woche das Raketenabwehrsystem Golden Dome vorstellte. «Wir werden das zu Ende bringen, was Ronald Reagan vor vielen Jahren begonnen hatte: Wir werden die Bedrohung durch Raketen für immer beenden.»
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Tatsächlich hatte der damalige US-Präsident Reagan schon vor über vierzig Jahren einen Raketenabwehrschirm gefordert, der als «Star-Wars-Programm» bekannt wurde. Dessen Systeme sollten auch im Weltraum stationiert sein und die USA gegen sowjetische Interkontinentalraketen schützen.
Reagan habe die nötige Technologie dazu noch gefehlt, sagte der amerikanische Verteidigungsminister Pete Hegseth im Nachgang zu Trumps Ausführungen. Jetzt sei die Technologie da. Und sie werde mehr Schutz bieten als nur Interkontinentalraketen. Hegseth zählte auf, was der Golden Dome alles noch abwehren werde: Marschflugkörper, Hyperschallraketen und Drohnen.
Die Verschiedenartigkeit dieser Bedrohungen macht deutlich, dass der Golden Dome kein einzelnes, allumfassendes Abwehrsystem sein wird. Tom Karako, Experte für Raketenabwehr beim Center for Strategic and International Studies (CSIS), sagt, der Golden Dome werde verschiedene Abwehrsysteme zu einem kohärenten Ganzen zusammenführen.
Einige dieser Systeme wie etwa zur bodengestützten Luftverteidigung gibt es schon. Andere müssen noch entwickelt werden, und dafür bringen sich Rüstungsunternehmen und Militär-Startups bereits in Stellung. Führungskräfte von Lockheed Martin, das unter anderem den F-35-Kampfjet herstellt, sollen gemäss dem «Wall Street Journal» über hundert Technologien für den Golden Dome gepitcht haben.
Eine der anspruchsvollsten Technologien, die noch entwickelt werden müssen, sind die von Trump angekündigten «space-based interceptors». Feindliche Raketen sollen durch Systeme abgefangen werden, die in einer erdnahen Umlaufbahn stationiert sind. Wegen Herausforderungen wie dieser vergleichen ehemalige und amtierende Beamte des Verteidigungsministeriums den Golden Dome mit dem Manhattan Project oder dem Apollo-Programm. Ersteres brachte den USA die Atombombe, Letzteres die USA auf den Mond.
Abwehrsysteme im Weltraum zu stationieren, wäre extrem teuerBis jetzt gibt es zwei Ansätze, wie die «space-based interceptors» funktionieren könnten. Das amerikanische Verteidigungsministerium investiert schon länger jährlich eine Milliarde US-Dollar zur Erforschung von Lasern. Das sind hochenergetische Strahlen, die Ziele stören oder vernichten. Die zweite diskutierte Möglichkeit wären Raketen, welche die feindlichen Lenkwaffen zerstören. Möglicherweise denken die Planer auch über eine Mischung aus beiden Ansätze nach.
Nur: Laserwaffen befinden sich erst in einem frühen Entwicklungsstadium. Gegenwärtig versuchen Ingenieure des Pentagons beispielsweise Laser zu entwickeln, die vom Boden aus Mörsergranaten und kleine Drohnen abschiessen. Forscher sind sich einig, dass es um ein Vielfaches schwieriger wäre, eine Interkontinentalrakete mit einem Laser zu zerstören. In einer Studie von Physikern der American Physical Society heisst es dazu, Laserwaffen, die eine solche Rakete zerstören könnten, seien mindestens noch fünfzehn Jahre entfernt.
Ebenso kritisch sehen die Studienautoren den Einsatz von im Weltraum stationierten Lenkwaffen. Am Beispiel eines nordkoreanischen Angriffs mit Interkontinentalraketen rechnen sie vor, wie viele Abfanggeschosse es brauchte: Um eine Salve von nur zehn nordkoreanischen Raketen des Typs Hwasong-18 sicher abzufangen, wären 16 000 Geschosse erforderlich. In diesem Fall müssten die USA die Abwehrmassnahmen einleiten, sobald ihre Sensoren einen nordkoreanischen Raketenstart signalisierten. Wollten die Amerikaner 30 Sekunden Zeit haben, um zu entscheiden, wie sie reagieren, wären 36 000 Abfangraketen nötig. Je mehr Reaktionszeit die USA haben wollten, desto mehr Geschosse müssten sie im erdnahen Orbit stationiert haben. Und wenn sie auch Alaska und Hawaii schützen wollten, brauchte es nochmals deutlich mehr.
Technologisch wäre es möglich, Abfangraketen im Orbit zu platzieren. Aber das wäre teuer. Allein die Infrastruktur zur Abwehr einer einzigen Hwasong-18-Rakete würde gemäss den Physikern 32 bis 52 Milliarden Dollar kosten.
Egal, welche Technologien die USA für den Golden Dome im Weltraum oder am Boden einrichten, extrem kostspielig wird es so oder so. Das politisch unabhängige Congressional Budget Office schätzt, das Projekt könnte in den nächsten 20 Jahren bis zu 831 Milliarden Dollar kosten. Trump seinerseits sprach bei der Vorstellung des Golden Dome von Kosten um die 175 Milliarden. Doch republikanische Abgeordnete haben bisher nur 25 Milliarden als Anschubfinanzierung für den Golden Dome vorgeschlagen.
Ebenso unklar wie die Kosten des Golden Dome sind gegenwärtig dessen Baubeginn und die Inbetriebnahme. Trump sprach im Weissen Haus von einer Bauzeit von zwei bis drei Jahren. In Anbetracht der noch zu entwickelnden Waffensysteme scheint ein solcher Zeitplan extrem unrealistisch.
Angst vor Wettrüsten im WeltraumObwohl der Golden Dome bis jetzt kaum mehr als eine grosse Vision ist, wird aussenpolitisch bereits kritisiert. Eine Sprecherin des chinesischen Aussenministeriums sagte, das Projekt erhöhe das Risiko, dass der Weltraum dereinst zu einem Kriegsschauplatz werde. Ähnliche Kritik kam aus Russland, das unlängst mit der Stationierung von Atomwaffen im Weltraum kokettierte.
Victoria Samson, Direktorin der Abteilung Weltraumsicherheit und -stabilität der privaten Stiftung Secure World Foundation, sagte gegenüber Reuters: «Ich glaube, das Projekt öffnet Pandoras Büchse.» Sie und andere Experten fürchten, der Golden Dome könnte zu einem Wettrüsten im Weltraum führen.
Trump dürften solche Befürchtungen wenig kümmern. Er verkündete schon bei der Vorstellung des Golden Dome, wie erfolgreich er sein werde: «Die Abschussquote liegt bei fast 100 Prozent.» Tom Karako, Raketenabwehr-Experte beim CSIS, zweifelt derweil daran, dass von feindlichen Raketen wegen des Golden Dome dereinst keine Bedrohung für die USA mehr ausgeht. Vielmehr müsse man sich von Reagans Prophezeiung verabschieden, die Raketenabwehr mache Atomwaffen irgendwann obsolet.
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