Nordatlantik 2023 so warm wie nie zuvor – das sind die Gründe

Noch nie ist der Nordatlantik im Sommer so warm gewesen wie 2023. Besonders der Juni stach heraus: Damals lag die Meeresoberflächentemperatur des nordöstlichen Atlantiks um Europa 1,76 Grad Celsius über dem Durchschnitt. Die Weltwetterorganisation WMO und der Klimawandeldienst Copernicus sprachen in ihrem „European State of the Climate“-Report von 2023 von der „größten monatlichen Anomalie seit Beginn der Aufzeichnungen“.
Die Hitze im Atlantik hatte verheerende Auswirkungen an Land: Denn zusätzliche Wärme in den Meeren kann die Lufttemperaturen an Land erhöhen. 2023 war geprägt von neuen Rekordtemperaturen und durch Dürre angefachten Waldbränden. Wärmere Meere geben zudem mehr Wasserdampf an die Atmosphäre ab, was Starkregen und Stürme begünstigt. Verheerende Überschwemmungen gab es 2023 etwa in Österreich und Serbien, gleich mehrere Hurrikane verwüsteten die USA.
Lange Zeit war unklar, wie sich der Nordatlantik so stark erwärmen konnte. Fachleute vermuteten etwa, dass fehlender Saharastaub die marine Hitzewelle verursacht hat oder auch das Wetterphänomen El Niño, das sich zyklisch im Südostpazifik aufbaut. Ein Forscherteam um Matthew England von der australischen University of New South Wales hat jetzt das Rätsel gelöst: Ungewöhnliche schwache Winde, kombiniert mit erhöhter Sonneneinstrahlung, waren offenbar der Grund.
„Die Intensität der Erwärmung in diesem einzigen Sommer entsprach etwa der Erwärmung des Nordatlantiks von zwei Jahrzehnten“, sagte England. Ironischerweise hatten er und sein Team eigentlich geplant, die Abkühlung im Nordatlantik zu untersuchen. Genauer gesagt den „kalten Fleck“ südöstlich von Grönland, der sich seit Jahrzehnten abkühlt.
Doch die Forschenden stellten genau das Gegenteil fest: Der „kalte Fleck“ hatte sich 2023 auf zwei Grad Celsius über dem Durchschnitt erwärmt. Ihnen wurde klar, dass die ungewöhnlich hohen Temperaturen Teil einer beispiellosen marinen Hitzewelle im Nordatlantik waren. Sie analysierten Beobachtungsdaten, rekonstruierten die atmosphärischen Bedingungen und nutzten neueste Ozeanmodelle, um die Ursache zu ermitteln. Die Ergebnisse präsentierten sie vor wenigen Tagen im Fachmagazin „Nature“.
So stellten sie fest, dass die Winde über dem Nordatlantik im Juni und Juli rekordverdächtig schwach waren – womöglich wegen des sich entwickelnden El Niño. Das hatte Auswirkungen auf den Aufbau des Wassers.
Man könne sich den Ozean unterteilt in zwei Schichten vorstellen, sagte Co-Studienautor Alex Sen Gupta: eine obere Schicht, die direkt von der Sonnenstrahlung beeinflusst wird und sich im Frühjahr und Sommer erwärmt, und den kühleren tiefen Ozean. Wie schnell sich die obere Schicht aufheizt, hängt von ihrer Dicke ab. Je dünner sie ist, desto schneller erwärmt sie sich.
Im Sommer wird die Dicke dieser oberflächlichen Schicht maßgeblich durch die Winde bestimmt. „Winde wühlen die Meeresoberfläche auf, und je stärker sie sind, desto tiefer dringt die Durchmischung ein“, erklärten England, Gupta und zwei andere Studienautoren in einem Beitrag für „The Conversation“. „Starke Winde erzeugen also eine dickere obere Schicht, schwache Winde eine flachere.“

Der Meeresspiegel steigt schneller als erwartet. Das zeigt eine neue Analyse der US-Raumfahrtbehörde Nasa. Und schuld an dieser Entwicklung ist nicht primär das schmelzende Eis.
Durch die schwachen Winde war die Ozeanschicht im Sommer 2023 außergewöhnlich dünn. Sie war nach Einschätzung der Forschenden die flachste obere Schicht, die je gemessen wurde. In einigen Gebieten war sie nur zehn Meter tief – üblich sind 20 bis 40 Meter. Umso schneller konnte sich der Nordatlantik erwärmen.
Hinzukommt der Klimawandel als Einflussfaktor: „Da die globale Erwärmung die Durchmischung der Ozeane verringert, wird die obere Meeresschicht dünner und anfälliger für schnelle Erwärmung. Dadurch werden häufigere und intensivere marine Hitzewellen immer wahrscheinlicher“, sagte Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Außerdem könnten Rückkopplungseffekte auftreten – zum Beispiel könnte das grönländische Eis schneller schmelzen.
Als zweiten Treiber der marinen Hitzewelle identifizierten die Forschenden eine überdurchschnittliche Sonneneinstrahlung auf den Nordatlantik. Sie vermuten, dass die Schifffahrt hierbei eine Rolle spielen könnte: Denn 2020 waren neue internationale Vorschriften in Kraft getreten, die Luftverschmutzung durch Schiffsabgase, insbesondere Sulfatemissionen, reduzieren sollen. Offenbar erfolgreich.

Die Sulfatemissionen in der Schifffahrt sind gesunken, das hat jedoch Auswirkungen auf die Wolenbildung.
Quelle: Keith Tsuji/ZUMA Press Wire/dpa
Jedoch reflektieren Sulfataerosole auch die Sonnenstrahlung und können zur Wolkenbildung führen. Geringere Sulfatemissionen bedeuten einen klareren Himmel, der eine direktere Sonneneinstrahlung ermöglicht. Folglich können sich die Meere schneller erwärmen.
Studienhauptautor England betont jedoch, dass dieser Effekt zweitrangig sei und nur zu einer stärkeren Erwärmung in bestimmten Regionen beigetragen habe. Die Hauptursache liege seiner Ansicht nach immer noch beim fehlenden Wind.
„Schwere Hitzewellen im Meer dauern oft nur ein paar Wochen oder Monate, aber diese im Nordatlantik hinterließ Spuren, die länger als ein Jahr anhielten“, sagte England. Durch den zunehmenden Einfluss des Klimawandels „werden sich Häufigkeit und Intensität der Meereshitzewellen in den kommenden Jahrzehnten und darüber hinaus nur noch verschlimmern“.
Der Weg aus diesem Dilemma ist für den Forscher klar: „Die einzige Möglichkeit, diesen Trend zu stoppen, besteht darin, die Nutzung fossiler Brennstoffe schrittweise einzustellen. Netto-Null (das bedeutet, dass wir genauso viel klimaschädliche Emissionen aus der Erdatmosphäre entfernen, wie wir an sie abgeben, Anm. d. Red.) kann nicht früh genug kommen.“
rnd