Ozeankonferenz der UN startet in Nizza: Was kann sie bewirken?

Ohne die Meere gäbe es kein Leben auf der Erde. Sie bedecken mehr als 70 Prozent unseres Planeten; liefern etwa die Hälfte des weltweiten Sauerstoffs; bieten Lebensräume für unzählige Tiere und Pflanzen; regulieren das Wetter; absorbieren klimaschädliches Kohlenstoffdioxid und liefern wichtige Rohstoffe wie Sand und Mineralien.
Umso wichtiger ist es, dass die Meere in einem guten Zustand sind. Auf der Ozeankonferenz der Vereinten Nationen (UN) beraten ab Montag (9. Juni) Vertreterinnen und Vertreter aus 130 Nationen, wie die Meere noch besser geschützt und nachhaltig bewirtschaftet werden können. Eine Woche dauert die Konferenz in der französischen Stadt Nizza.
Ziel ist es, Maßnahmen zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der Ozeane zu beschleunigen. Die Staatengemeinschaft hat sich zum Beispiel vorgenommen, 30 Prozent der Landes- und Meeresfläche bis 2030 unter rechtlich verbindlichen Schutz zu stellen. Bisher trifft das jedoch nur auf 8,4 Prozent der Meeres- und Küstengebiete zu, wie aus einem Strategiepapier der UN-Ozeankonferenz hervorgeht. Das heißt, bis 2030 müssten laut UN-Sekretariat weitere 78,3 Millionen Quadratkilometer als Schutzgebiete ausgewiesen werden, um die Zielvorgabe zu erreichen.
Im Fokus der Konferenz steht das Sustainable Development Goal 14 (SDG 14). Es sieht unter anderem vor, alle Arten von Meeresverschmutzung – insbesondere Plastikmüll – zu verringern, die Versauerung der Ozeane zu reduzieren und Fischbestände nachhaltig zu bewirtschaften. Viele der Unterziele des SDG 14 waren für 2020 und 2025 anvisiert. Bei der Ozeankonferenz soll nun eine Bestandsaufnahme erfolgen. Außerdem werden von den Ländern zahlreiche neue Selbstverpflichtungen erwartet, die den Schutz der Meere voranbringen sollen.

Der Nordatlantik erlebte im Sommer 2023 eine beispiellose Hitzewelle. Folglich kam es zu Rekordtemperaturen an Land und Naturkatastrophen. Forscher haben nun die Ursachen für diese extreme Meereserwärmung herausgefunden.
Auf der Weltbühne präsentiert werden soll zudem der „European Ocean Pact“ der EU-Kommission. Am vergangenen Donnerstag wurde das Strategiepapier veröffentlicht – und direkt von Umweltschützern scharf kritisiert. „Mit dem gestern vorgestellten Ocean Pact verpasst die EU-Kommission eine wichtige Chance für echten Meeresschutz“, urteilte etwa Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, einen Tag später. „Ohne konkrete Maßnahmen, Fristen und rechtlich verbindliche Vorgaben bleibt die Strategie ein leeres Versprechen.“
Ferner will die UNESCO in Nizza den Ausbau ihres Global Ocean Observing Systems bekannt geben. Es nutzt Echtzeitdaten von Schiffen, die mit wissenschaftlichen Messinstrumenten ausgestattet werden, um die Ozeane zu überwachen. 2000 Schiffe gehören schon zu dieser Messflotte, bis 2035 sollen es 10.000 werden.
Der Klimawandeldienst Copernicus veröffentlicht seit 2016 jedes Jahr seinen „Ocean State Report“, der über den Zustand der Meere aufklärt. Im vergangenen Jahr zeigte sich, dass der Klimawandel den Meeren zunehmend schadet. Hitzewellen traten häufiger, länger und mit höherer Intensität auf, das Meereis in den Polarregionen ging weiter zurück.

Allein die Arktis hat zwischen 1979 und 2023 pro Jahrzehnt 4 Prozent des Meereises verloren.
Quelle: Ulf Mauder/dpa
Die Hitze in den Meeren sorgt dafür, dass Extremwetterereignisse wie Starkregen an Land zunehmen. Gleichzeitig bringt sie das marine Ökosystem durcheinander: Derzeit beobachtet die US-Klimabehörde NOAA etwa die weltweit größte Korallenbleiche. Demnach waren vom 1. Januar 2023 bis zum 31. Mai 2025 83,9 Prozent der weltweiten Korallenriffe von Hitzestress betroffen.
Und die Situation könnte sich weiter verschärfen: „Unsere Simulationen deuten darauf hin, dass die Korallenriffe bei den aktuellen Treibhausgas-Emissionsrichtlinien der Länder in diesem Jahrhundert weltweit um weitere 70 Prozent schrumpfen werden, da die Meerestemperaturen weiter steigen“, schrieb Meeresbiologe Noam Vogt-Vincent von der University of Hawaii in einem Beitrag für „The Conversation“.
Zudem nimmt die Verschmutzung in den Meeren zu. Die Umweltschutzorganisation WWF geht davon aus, dass 80 bis 150 Millionen Tonnen Plastikmüll zurzeit in den Ozeanen schwimmen. Das entspreche dem Gewicht der Hälfte der gesamten Weltbevölkerung. Und jedes Jahr kämen mehr als 19 Millionen Tonnen Plastikmüll hinzu. Der Müll ist eine Gefahr für zahlreiche Meerestiere, die das Plastik verschlucken oder sich darin verfangen und schließlich sterben. Zusätzlich kann der Plastikmüll giftige Chemikalien freisetzen.

Plastikmüll kann für Meerestiere zur tödlichen Falle werden.
Quelle: IMAGO / blickwinkel
Doch nicht nur der Klimawandel und Verschmutzungen bedrohen die marine Artenvielfalt. Hinzukommt eine zunehmende Überfischung. In dem „The State of World Fisheries and Aquaculture“-Report der Welternährungsorganisation der UN aus dem vergangenen Jahr geht hervor: Der Anteil der biologisch nachhaltigen Fischereibestände im Jahr 2021 ist auf 62,3 Prozent gesunken – das sind 2,3 Prozent weniger als noch im Jahr 2019. Zeitgleich ist der Anteil der nicht nachhaltig befischten Bestände seit Mitte der 1970er Jahre gestiegen – von 10 Prozent im Jahr 1974 auf 37,7 Prozent im Jahr 2021.
Vieles wissen wir aber auch noch gar nicht über die Meere. Ein US-Forscherteam erklärte beispielsweise Anfang Mai, dass nicht einmal 0,001 Prozent des gesamten Tiefseebodens erforscht seien. Die UNESCO macht sich dafür stark, den Meeresboden und seine Artenvielfalt besser zu kartieren.
„Bis heute wissen wir weniger über den Meeresboden als über die Mondoberfläche“, sagt Audrey Azoulay, Generaldirektorin der UNESCO. „Vom Ozean zu lernen, ist das größte wissenschaftliche Abenteuer unserer Zeit. Um erfolgreich zu sein, kann die internationale Gemeinschaft die Warnungen der Wissenschaftler nicht länger ignorieren und muss massiv in die ozeanografische Forschung investieren, die derzeit weniger als 2 Prozent der nationalen Forschungsbudgets ausmacht.“
Nach Ansicht von Stefan Hain kommen der Ozeankonferenz gleich mehrere Schlüsselrollen zu. „In den vergangenen Jahren haben sich internationale und in vielen Staaten politische Prioritäten stark verändert“, sagte der Leiter der Stabsstelle Umweltpolitik im Direktorium des Alfred-Wegener-Instituts. „Hier kann die UN-Ozeankonferenz den Meeren und ihrer Bedeutung für das Erdsystem, dem Weltklima und der Menschheit wichtige öffentliche Aufmerksamkeit verschaffen, um das über Jahre und Jahrzehnte aufgebaute Momentum zum Schutz der Meere aufrechtzuerhalten.“
Zudem gehe es darum, sich ein Bild von der aktuellen Lage zu machen. „Die UN-Ozeankonferenz kann auch dazu dienen, sowohl die Synergien als auch die Lücken in der Vielzahl der bereits bestehenden Aktivitäten zum Schutz der Meere aufzuzeigen und Wege zu finden, wie diese durch neue Projekte und Initiativen geschlossen werden könnten“, so Hain weiter.
Für Christian Wild steht vor allem der Schutz der Meere bei der Konferenz im Vordergrund. „Es ist hier in erster Linie wichtig, möglichst große Flächen unter Schutz zu stellen, diese Flächen miteinander zu verbinden und die Schutzqualität zu verbessern“, sagte der Leiter der Arbeitsgruppe „Marine Ökologie“ an der Universität Bremen. Die marinen Ökosysteme sollten dabei so wiederhergestellt werden, dass sie sich besser an den Klimawandel anpassen können. „Dazu braucht es bindende internationale Vereinbarungen, einen guten Dialog zwischen Wissenschaft und Politik, sowie eine weitergehende finanzielle Unterstützung der Schutz- und Restaurationsmaßnahmen.“
Alice Vadrot hofft derweil, dass die UN-Ozeankonferenz andere laufende Verhandlungen beschleunigen kann. Zum Beispiel die zu einem Tiefseebergbau-Moratorium oder dem internationalen Plastikabkommen. „Die UNOC (UN-Ozeankonferenz, Anm. d. Red.) bietet eine große Chance, die Zukunft der Meeresdiplomatie und des nachhaltigen Meeresschutzes auf eine solide Basis zu stellen und aktuelle Verhandlungsstränge ganzheitlich zu denken und voranzubringen“, sagte die Professorin für internationale Beziehungen und Umwelt von der österreichischen Universität Wien.
Über den Erfolg der Konferenz entscheiden aus ihrer Sicht drei Dinge: Erstens, „ob und wie sich die EU als Vorreiter im internationalen Meeresschutz positioniert“. Zweitens, Chinas Haltung zum Meeresschutz (China ist immerhin die weltweit führende Fischfangnation). Und drittens sei ausschlaggebend, „ob die USA in diesem Zusammenspiel an ihrem Rückzug aus der internationalen Umweltdiplomatie festhält“. Die USA hatten sich zuletzt etwa aus dem Pariser Klimaabkommen zurückgezogen.
„Die internationale Meeresdiplomatie befindet sich an einem kritischen Punkt“, hält Vadrot fest. „Bei der dritten Weltozeankonferenz in Nizza geht es daher nicht nur um Etappenziele im Bereich des Meeresschutzes und der nachhaltigen Finanzierung. Es geht um die Frage nach der Zukunft der internationalen Umweltdiplomatie und die Vorzeichen für eine multilaterale Meerespolitik, an der sich alle Staaten im Dialog mit der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft beteiligen.“
rnd