Vom Mahner zum Optimisten: Verharmlost Bill Gates den Klimawandel?

Mehr Geld, um Armen zu helfen, anstatt damit klimaschädliche CO₂-Emissionen stärker zu reduzieren. Das fordert Tech-Milliardär Bill Gates. Zwar sei der Klimawandel weiterhin eine ernstzunehmende Bedrohung, Alarmismus sei aber ein Irrweg. Im Gegenteil lenke die vermeintlich unangebrachte Warnung vom Klimawandel-bedingten Niedergang der Menschheit von drängenden Problemen ab.
In seinem offenen Brief appelliert Gates an die Delegierten der Weltklimakonferenz, die vom 10. bis 21. November in Brasilien stattfinden wird. Sie sollten bedenken, an welchen Stellen Hilfsgelder kurzfristig die größte Wirkung erzielen könnten. In seinem Schreiben gibt sich der Milliardär gewohnt meinungsstark; doch die optimistischen Emissionsprognosen, auf die er sich bezieht, sind gewagt und umstritten.
„Auch, wenn der Klimawandel ernste Konsequenzen haben wird – besonders für Menschen in armen Ländern – wird er nicht den Niedergang der Menschheit bewirken.“ Das ist die Position von Bill Gates im Jahr 2025, die er auf seinem Blog gatesnotes.com veröffentlichte. Der Bill Gates, der 2021 sein Buch „Wie wir die Klimakatastrophe verhindern“ bei der Harvard Universität vorstellte, schlug noch andere Töne an: „Die Vermeidung einer Klimakatastrophe wird eine der größten Herausforderungen sein, welche die Menschheit je zu bewältigen hatte, größer als die Mondlandung.“
Der 70-Jährige argumentiert mit Prognosen zu sinkenden CO₂-Emissionen, die den wichtigsten Treiber des menschengemachten Klimawandels darstellen. Laut Berechnungen der International Energy Agency (IEA) sollen die Emissionen von Kohlenstoffdioxid bis 2050 um 40 Prozent geringer ausfallen, als die Organisation noch 2014 annahm. Die globale Erwärmung könnte so auf ein händelbares Ausmaß begrenzt werden. Grundlage der prognostizierten Emissionsreduzierung werden laut Gates technische Innovationen in den Bereichen sein, in denen am meisten CO₂-Ausstoß erfolgt: Strom- und Energieerzeugung, Transportwesen und Mobilität, Landwirtschaft und Bauen.
In der IEA sind 31 Mitgliedsstaaten organisiert. Darunter die meisten europäischen Länder, etwa Deutschland, sowie die USA und Australien. In ihrer Hauptpublikation, dem World Energy Outlook, veröffentlicht die IEA jährliche Prognosen zum globalen Energiebedarf und den dafür voraussichtlich zur Verfügung stehenden Energieträgern.
Dass Vorhersagen von bestimmten Annahmen ausgehen, liegt in der Natur der Sache. Der Optimismus von Bill Gates und der IEA erscheint aber fragwürdig. Im April 2025 veröffentlichte eine Gruppe Wissenschaftler der Technischen Universität Lappeenranta in Finnland eine Studie zu den bisherigen IEA-Prognosen zur Deckung des weltweiten Energiebedarfs. Das Ergebnis: Die IEA lag in der Vergangenheit schon häufig falsch. So unterschätzte sie in ihren Vorhersagen im Zeitraum von 1993 bis 2020 das Potenzial erneuerbarer Energien, selbst in ihren optimistischsten Modellierungen. Gleichzeitig überschätzte die Organisation regelmäßig die zukünftige Bedeutung fossiler und nuklearer Energieträger.
Die finnischen Wissenschaftler werfen der IEA in ihrem Beitrag „An ex-post analysis of the International Energy Agency’s World Energy Outlook“ Intransparenz beim Zustandekommen der Vorhersagen vor. Umso fraglicher erscheint es, wie die IEA trotz dieser Fehleinschätzungen zum Schluss kommt, die CO₂-Emissionen würden in den kommenden Jahren und Jahrzehnten stark sinken. Das ist zwar theoretisch möglich, aber an viele noch nicht eingetretene Szenarien geknüpft. Fest steht: Der Höhepunkt des jährlichen CO₂-Ausstoßes ist noch immer nicht erreicht. Das ist das Fazit eines internationalen Forscherteams in seinem Bericht „Indicators of Global Climate Change“. Der Bericht erschien im Rahmen der Bonner Zwischenverhandlungen der UN-Klimakonferenz 2025.
Gates Optimismus steht im Einklang mit seinen eigenen Aktivitäten zur Reduzierung von CO₂-Emissionen und den IEA-Prognosen. Mit seiner Organisation „Breakthrough Energy“ fördert der Milliardär seit Jahren Innovationen im Bereich der nachhaltigen Energien. In seinem Memo nennt er Beispiele für Fortschritte bei der Entwicklung klimaschonender Neuheiten. Viele davon sind noch in der Entwicklungsphase oder konnten sich noch nicht auf dem Markt etablieren.

So schwärmt Gates in seinem Brief: „Emissionsfreier Flugzeugtreibstoff lässt sich mit Algen oder Wasserstoff herstellen. Unternehmen arbeiten an beidem in der Frühphase der Entwicklung.“ Oder: „Emissionsfreier Stahl existiert bereits. […] Diese Technologie muss sich in noch mehr Märkten etablieren.“ Der Glaube an die Macht des technologischen Fortschritts macht aus Gates einen Klimaoptimisten. Von dieser Warte aus betrachtet, ist der sich beschleunigende globale Temperaturanstieg nur eine in einer Reihe von vielen globalen Problemlagen.
„Die Temperatur ist nicht der beste Weg, um unseren Fortschritt beim Klima zu messen“, lautet eine der zentralen Thesen von Bill Gates. Und weiter: „Die globale Temperatur verrät uns nichts über die Lebensqualität der Menschen.“ Eher sei danach zu fragen, ob sich Bauern trotz dürrebedingter Ernteausfälle noch Essen kaufen könnten. Oder danach, ob genug gekühlte Räume in Hitzeperioden zur Verfügung stünden. Es folgt die Frage: „Wenn Hochwasser zum Ausbruch von Krankheiten führt, hat die lokale Klinik dann genug Kapazitäten, um alle Kranken zu behandeln?“

Gates vertritt die Position, Armut, Hunger und Krankheiten seien die größte Bedrohung für die Ärmsten. Weil die zur Verfügung stehenden Gelder begrenzt seien, müssten Investitionen in diesen Bereichen priorisiert werden, anstatt die Hauptanstrengung auf die Begrenzung des Klimawandels zu legen. Das käme denjenigen, die am unmittelbarsten von klimabedingten Dürren, Überschwemmungen und Folgeproblemen betroffen seien, mehr zugute. Ein Gedanke, der philanthropisch anmutet.
Noch 2021 schätzte Gates die Gefahren der globalen Erwärmung verheerender ein: „Es gibt einen Kipppunkt, an dem die Korallenriffe absterben, das hat die Versauerung des Wassers zu Folge und alle aquatischen Ökosysteme sterben. Wenn die Wälder austrocknen, kommt es zu Waldbränden und absterbenden Bäumen. Mit dem steigenden Meeresspiegel verschwinden die Strände.“ Szenarien, in denen auch gekühlte Räume und eine gute medizinische Grundversorgung keine Abhilfe für die Betroffenen schaffen würden.
Klimaoptimisten zeichnen ein Best-Case-Szenario, das an viele Konjunktive geknüpft ist. Gates führt das zu einem Schluss, der in sich logisch erscheint: Wenn die CO₂-Emissionen rasch und stark sänken und der Temperaturanstieg begrenzt würde, wäre es nur richtig, kurzfristige Investitionen stärker auf die Armuts- und Hungerbekämpfung zu lenken. In der Tat haben verschiedene Staaten ihre Hilfsprogramme für ärmere Länder drastisch reduziert, wie von Gates kritisiert. Allen voran die USA, die ihre Entwicklungsbehörde US AID einstampfte. Deutschland kürzte die Gelder für die Entwicklungshilfe dieses Jahr um 910 Millionen Euro.
Wenngleich sich Gates‘ Äußerungen von seinen früheren Positionen unterscheiden, in einem bleibt sich der Microsoft-Gründer treu: Seinem Glauben an das Potenzial technologischer Innovationen – nicht nur, aber insbesondere im Hinblick auf schon entwickelte oder sich in der Entwicklung befindliche Formen klimagerechten Wirtschaftens. Die müssten, so vorhanden, nur noch von Staaten und der Privatwirtschaft angewandt werden. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Annahmen der technologieaffinen Klimaoptimisten bewahrheiten. Ob man darauf vertrauen möchte, steht indes auf einem anderen Blatt.
Was ist, wenn sich die IEA (erneut) irrt? Immerhin stehen ihre Prognosen im Gegensatz zu einem Gros der Klimaforschung. Dann wären höhere Ausgaben für Entwicklungsprogramme nur Tropfen auf einen immer heißer werdenden Planeten.
rnd




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