Marc Aurel: Ein antiker Kaiser als Influencer

"Blicke in Dein Inneres! Da drinnen ist eine Quelle des Guten, die nimmer aufhört zu sprudeln, wenn Du nur nicht aufhörst nachzugraben."
Lebenskluge Sätze wie diese findet man in den "Selbstbetrachtungen" des römischen Kaisers Marc Aurel (121-180 n. Chr.), die eigentlich gar nicht zur Veröffentlichung gedacht waren, heute aber nach der Bibel und dem Koran zu den am weitesten verbreiteten Schriften gehören. Ein Bestseller sozusagen, der weltweit in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde.
Geschrieben aber hat er sie für sich selbst. Marc Aurel - heute bekannt als Philosophen-Kaiser - regierte in einer Zeit, die geprägt war von Krisen und Katastrophen. Er bestieg den Thron im Jahre 161 nach Christus, nur wenige Jahre vor den Markomannenkriegen (Die Markomannen waren germanische Stämme, Anm. d. Red.), die das Römische Reich in seinen Grundfesten erschütterten. Hinzu kamen wirtschaftliche Probleme, soziale Spannungen und die Ausbreitung der Pest (gemeint ist die Antoninische Pest, eine Form der Pocken, Anm. d. Red.) im gesamten Herrschaftsgebiet des römischen Kaisers.

Gelassenheit - das war eines der Grundprinzipien von Marc Aurel, der ein großer Fan der Stoa war - eine antike Schule der Philosophie, die 300 v. Chr. vom Griechen Zenon von Kition begründet wurde. Marc Aurel wollte ein guter Herrscher sein, was aber machte eine solchen aus?
Mit dieser Frage - die bis heute relevant ist - beschäftigte er sich ausführlich. Nachlesen kann man das in den oben erwähnten "Selbstbetrachtungen" - die die Römer allerdings nie zu Gesicht bekommen hätten, sagt Dr. Marcus Reuter, Archäologe und Leiter des Rheinischen Landesmuseums in Trier, im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Die Römer haben ihn auch nie als Philosophen-Kaiser gesehen. Das, was er geschrieben hat, wurde zu seinen Lebzeiten nie veröffentlicht. Das hat er abends im stillen Kämmerlein geschrieben."
Reuter verantwortet zusammen mit Viola Skiba, Historikerin und Direktorin des Stadtmuseums Simeonstift in Trier, eine große Marc Aurel Schau(15.6. bis 23.11.2025). Die Aktualität der Ausstellung sei größer als man erwartet hätte, meint Viola Skiba. Gerade in der heutigen Zeit, die von Krisen und Polarisierung geprägt ist, stelle sich die Frage, wie gute Führung aussehen sollte, mit neuer Dringlichkeit. Zugleich aber sei diese Fragestellung so alt wie die Menschheitsgeschichte und sei eben auch schon in der Antike bearbeitet worden.

Was macht denn laut Marc Aurel nun gute Führung aus? "Im Prinzip orientiert er sich an den Kardinaltugenden der Antike", sagt Viola Skiba der DW. Wünschenswerte Tugenden waren dort unter anderem: Weisheit, Gerechtigkeit, Besonnenheit und Mäßigung. Ein Schlüsselbegriff sei die "Gemeinwohl-Orientierung", also dass es wirklich um das Wohl der Allgemeinheit gehe. "Das ist sozusagen auch das, was schon in den Definitionen von Aristoteles (griechischer Philosoph, 384-322 vor Christus, Anmerkung der Red.) die gute von der schlechten Herrschaft trennt."
Ein Politiker wie Donald Trump sei in den Augen von Marc Aurel sicher "kein guter Herrscher und sicher kein Vorbild", ergänzt Marcus Reuter.
Nun muss man allerdings einschränkend hinzufügen, dass auch Marc Aurel ein Kind seiner Zeit war, aufgewachsen in der antiken Gesellschaftsstruktur. "Dass es Sklaverei gab - das hat auch ein Marc Aurel nicht abschaffen wollen", so Reuter. Er habe auch nicht in Frage gestellt, "dass es Leute mit und ohne römisches Bürgerrecht gab, oder dass Frauen nicht die gleichen Rechte hatten wie Männer". Aus heutiger Sicht mag es zudem befremden, dass der als tugendhaft geltende Kaiser brutale Kriege führte. "Nach antiken Maßstäben wurde vom Kaiser erwartet, dass er für die Sicherheit des Reiches sorgt und seine Bewohner schützt - und das zur Not auch mit sehr brutalen Mitteln."
Die Römer hätten Marc Aurel daher auch als vorbildlichen Kaiser wahrgenommen. "Er hat sich umfassend in Gerichtsprozesse eingearbeitet, er war bemüht, gerechte Urteil zu fällen, er hat stets die Staatsinteressen vorangestellt", so Reuter. Auch die Errichtung der "Porta Nigra" in Trier - heute berühmtes Wahrzeichen der Stadt - geht auf Marc Aurel zurück. Sie war Teil der Stadtmauer, die Aurel errichten ließ, um die Bürgerinnen und Bürger zu beschützen. Das Image des Philosophen-Kaisers allerdings bekam Aurel erst nach der Veröffentlichung seiner Selbstbetrachtungen im 15./16. Jahrhundert.

Weise Worte wie diese können wie Hohn wirken aus dem Munde eines wohlhabenden Kaiser, waren aber wohl durchaus ernst gemeint. Und tatsächlich pflegte Marc Aurel einen eher schlichten Lebensstil und ließ, als der Staat zu seiner Zeit in eine finanzielle Krise geriet, sogar Teile des kaiserlichen Hausrates versteigern - also sein Privatvermögen. "Das hat, so weit ich weiß, vor ihm und auch nach ihm kein römischer Kaiser gemacht", sagt Marcus Reuter.
Marc Aurel habe sich generell viele Gedanken über den Sinn des Lebens gemacht. Und genau das sei wahrscheinlich auch der Grund, warum so viele jüngere Menschen sich heutzutage für ihn und seine Schriften interessierten. "Man muss schon sagen, dass seine Selbstbetrachtungen so eine kleine Fundgrube sind, weil man fast für jede Lebenslage etwas darin finden kann."

Marcus Reuter weist allerdings auch darauf hin, dass Marc Aurels Aufzeichnungen kein Buch zum Durchlesen von vorn bis hinten seien, sondern eines zum Reinblättern und sich inspirieren lassen. Im Grund handelt es sich um die privaten Notizen eines Menschen, der sich Gedanken darüber macht, was wichtig ist im Leben. Und so verwundert es nicht, dass der römische Kaiser weltweit in den Sozialen Medien zitiert wird.
Auf diesem Interesse an Marc Aurel und seinen Themen baut auch die Ausstellung in Trier auf, die Besucherinnen und Besucher aus aller Welt zum Nachdenken anregen möchte - über sich, über die Gemeinschaft und darüber, was ein einstiger römischer Kaiser uns Menschen heute noch zu sagen hat. Oder wie Viola Skiba es formuliert: "Jede Gesellschaft basiert auf den Einzelnen, und wenn jeder und jede Einzelne sich selbst diese philosophischen und politischen Fragen stellt, dann funktioniert das auch als Ganzes."
dw