Tiktok-Trend: Good night, mein Liebster

Ein Vater, der aussieht, wie man sich einen Vater in einer Sitcom so vorstellt, liegt flach auf der Couch. Die Geheimratsecken sind sichtbar, Bart und Haare angegraut und das Handy hält er in der etwas ungelenken, aber Eltern-typischen Armlänge-Entfernung, vielleicht ist es Altersweitsicht.
Er telefoniert, augenscheinlich ist der Freund seiner Tochter dran. Und eigentlich hat er, so verheißt es die Caption im Video, das im Netz gerade die Runde macht, nur eine einzige Aufgabe. Er soll dem Kerl am anderen Ende des Hörers „Gute Nacht“ sagen. Nur schafft er es nicht. Er muss lachen, dauernd, kriegt sich gar nicht mehr ein und keinen geraden Satz raus.
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Man muss als zuschauende Person mitlachen. Unweigerlich. Der angerufene, arme Boyfriend muss lachen, ein bisschen gequält. Und das wohl zum Boyfriend passende Girlfriend, das das alles tiktoktauglich im Hochkantvideo festhält, muss hinter der Kamera ebenfalls lachen. Der Hund, der am Bildrand erscheint, muss nicht lachen, wirkt aber irritiert.

Videos wie dieses fluten gerade die einschlägigen Tiktok- und Instagram-Feeds. Männer, die anderen Männern eine „Gute Nacht“ am Telefon sagen wollen, aber nicht anders können, als zu scheitern. Väter scheitern bei ihren Söhnen oder Schwiegersöhnen. Männer bei ihren Freunden. Bros bei Bros.
Natürlich ist das wahnsinnig lustig: erwachsene Männer, die es nicht schaffen, zwei simple Worte aufzuführen. Und natürlich ist alles an der Situation konstruiert. Praktisch niemand ruft heute an, um einfach so „Gute Nacht“ zu sagen. Da muss man schon unglaublich ineinander verliebt oder aber wirklich gut befreundet sein. In der Regel ruft nämlich niemand mehr an, so ganz generell: Es wird gechattet, getextet und im Büro werden Teams-Nachrichten geschrieben. Wer anruft, der ist Anachronist. Oder hat einen Notfall.
Hätte der Vater, der sich im Video an den Rand der Erschöpfung lacht, nach einer Unterhaltung einfach „Good night“ geschrieben, eine SMS oder WhatsApp-Nachricht oder Instagram-DM, wäre alles normal. Keine Fragen, kein nichts. Hat er aber nicht. Also erwartet der arme Boyfriend etwas Wichtiges, vielleicht auch Schlimmes. Eine Katastrophe halt, die es gar nicht gibt.
Für den Vater – und dessen filmende Tochter – ist das von Anfang an lustig. Für den Angerufenen erst dann, wenn er checkt, was Sache ist. Als Zuschauer ahnt man natürlich sofort, was los ist, darf sich eingeweiht fühlen und nach Belieben loskichern. Hihihi.
Bei näherer Betrachtung steckt allerdings auch etwas anderes in diesen Videos. Wenn man mal ganz ehrlich zu sich selbst sein darf, dann muss man festhalten: Man lacht hier auch über die Tragik.
Der Mann weint, weil er eingesperrt ist im Mannsein. Aber weinen geht ja nicht. Also lacht er.Der moderne Feminismus hat einige seiner Lehren in den vergangenen Jahren, Quatsch: Jahrzehnten erfolgreich in den Mainstream geflochten. Zum Glück, klar. Mit einer ganz bestimmten Lehre allerdings tun und taten sich viele Empfänger – Betonung auf „-er“ – in der Vergangenheit schwer: dass der Feminismus mithin auch eine Befreiung des Mannes von klassischen Rollenbildern meint. Dass auch Männer gefühlig, fürsorglich und einfach nett zueinander sein dürfen.
Wer sich jetzt fragt, was der moderne Feminismus in einem Text über ulkige Videos mit lachenden Männern zu suchen hat, dem sei gesagt: Meist sind es halt Männer, die ihren Söhnen sagen „Ein Mann weint nicht, sei stark“ oder „Sei keine Memme“. Meist sind es Männer, die im Freundeskreis jedes Anzeichen von Schwäche oder Zärtlichkeit mit einem blöden Kommentar bestrafen.
Und meist sind es Männer, die sagen, dass Frauen ja immer über alles und nichts telefonieren und wie sehr das nerve, typisch weiblich. Nicht alle Männer, natürlich, aber immer noch genug. Auch der Autor dieses Textes hat schon mal solche Dinge gemacht und gesagt, war halt dumm.
Wenn jetzt also Männer daran scheitern, mit anderen Männern über Nichtigkeiten zu telefonieren; wenn sie daran scheitern, einfach nur „Gute Nacht“ zu sagen, dann ist das großartige Comedy. Ziemlich sicher ist es aber auch ein Indiz dafür, dass Männer vielleicht gar nicht so frei und unabhängig von Erwartungshaltungen sind, wie sie es vielleicht gerne wären. Schaltet man bei den Videos den Ton aus, ist bei den Männern am Telefon oft nicht zu unterscheiden, ob sie lachen oder weinen. Vielleicht ist auch beides auf einmal wahr: Der Mann weint, weil er eingesperrt ist im Mannsein. Aber weinen geht ja nicht. Also lacht er.
Es gibt auf der progressiven Seite des Diskurses ganze Podcasts darüber, dass Männer jetzt wirklich weinen dürfen, können, sollen. Aber wenn es konkret wird und Mann auf einmal einen anderen anrufen soll, um Zärtlichkeiten auszutauschen, dann ist das nicht ernst gemeint, sondern ein Set-up. Es bleibt seltsam, awkward, funny. Ein Tabu, aber auf jeden Fall auch Content. Selbst wenn es nur um so banale Dinge geht wie: „Gute Nacht“.
süeddeutsche