Was mich zwei Wochen Brasilien über Körperbewusstsein gelehrt haben

Rio ist eine Stadt der Kontraste, in der Schönheit und Lebensfreude sowie Gewalt und Armut sehr nah beieinanderliegen können. Vielleicht ist es dieses ständige Spannungsverhältnis, das Wissen um die andere, dunklere Seite der Stadt und des Lebens, die den Einwohner:innen die Notwendigkeit, die Existenz und den eigenen Körper zu feiern, besonders tief indoktriniert hat. "Die Anziehungskraft der Strände und der Glamour des Karnevals stehen in starkem Kontrast zu den sozialen Problemen der Stadt. Die Strandkultur wird dabei zu einem täglichen Fest derBefreiung, der Einheit und des kulturellen Stolzes. Es ist ein Ort für alle, nicht nur für Tourist:innen oder reiche Leute", resümiert Jost ihre Eindrücke.
In den Wochen vor und während des Karnevals wird der Feierspirit der Stadt besonders deutlich – Kostüme werden monatelang vorbereitet und jetzt endlich ausgeführt, und hinter jeder Straßenecke lauert ein "Bloco", also eine Straßenparty. Hier tönen wahlweise traditionellere Samba-Melodien oder energetischer Baile Funk aus den schrabbeligen Boxen. Das animiert die Locals, in sengender Sommerhitze scheinbar komplett mühelos ihre Hüften so zu schwingen, dass man sich wie die spießigste und ungelenkste Kartoffel dieses Planeten vorkommt. Die Stimmung ist dabei stets sexy, aber niemals aufdringlich, auch unter Freund:innen geht es heiß her.
Lucia Jost
In einem Video auf Instagram sagt die brasilianische Comedian Jade Catta-Preta über die Gepflogenheiten ihrer Landsleute: "Wenn man sich in Brasilien zu lange ansieht, küsst man sich. Und weil man in Brasilien jeden umarmt und küsst, riechen alle besser, und Hygiene wird großgeschrieben!" Küssen und körperliche Nähe sind hier weniger aufgeladen und einfach Teil des Flirtens – und machen schließlich auch viel zu viel Spaß, um damit zu geizen.
Was wirklich beeinflusst, wie wohl wir uns in unserem Körper fühlenIch lebe meistens halbwegs in Frieden mit meinem Körper, ich liebe nicht alles daran, aber ich habe gelernt, dass weniger die Menge an Sporteinheiten oder gesunden Mahlzeiten dafür sorgt, dass ich mich besser darin fühle, sondern ausschließlich meine generelle Stimmung. Nach zwei Wochen Brasilien, in denen unzählige Pão de queijo (Käseteigbällchen) und überzuckerte Caipirinhas sicherlich nicht zu einem flacheren Bauch oder generell gefestigteren Erscheinungsbild beigetragen haben, hatte ich ein so blendendes Körpergefühl wie seit Jahren nicht. Noch halten mein "Feeling myself"-Motto und meine Flirtlaune an. Mein im Handgepäck (wer braucht schon viel Kleidung) importierter grün-gelber Tanga-Bikini liegt derweil im Schrank. Mal sehen, ob ich ihn diesen Sommer im heimischen Freibad tragen werde – der Vorsatz jedenfalls steht.
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