Bruce Springsteen live in Frankfurt: Ein großer Transatlantiker

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Bruce Springsteen live in Frankfurt: Ein großer Transatlantiker

Bruce Springsteen live in Frankfurt: Ein großer Transatlantiker
Bruce Springsteen in Frankfurt :
Ein großer Transatlantiker
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Das Frankfurter Rock-Konzert dieses Sommers ist ein Gottesdienst: Bruce Springsteen beschwört darin mit süßer Musik und wütenden Gebeten demokratische Werte. Und schenkt einem Kind seine Mundharmonika.

Im Land der unmöglichen T-Shirt-Sprüche gibt es inzwischen auch diesen: „Yes, I am old, but I saw Bruce Springsteen on stage.“ Manche meinen damit vielleicht: 1985, und manche tragen sogar T-Shirts von der Springsteen-Tour vor vierzig Jahren oder noch ältere. Ein Pilgerzug zieht von der Bahnhaltestelle bis ins Waldstadion, und drinnen wird, kein Scherz, an diesem perfekten Sommerabend ein Gottesdienst gefeiert.

Bruce Springsteen, mit 75 einer der fittesten Rockstars und Musiker überhaupt, lässt von Anfang an keinen Zweifel daran, dass es ein solcher ist. Mit süßer Soulmusik, die ganz klar in der Gospeltradition von „We Shall Overcome“ steht, mit hartem Rock und mit wütenden Gebeten für die Heimatlosen, Unterdrückten und Verfolgten, mit deutlichen politischen Ansprachen zur gefährdeten Demokratie in Amerika und anderswo.

Die rhetorischen Salven, die der Sänger seit Beginn seiner Europatournee vor einigen Wochen immer wieder gegen Donald Trumps Regierung abfeuert, könnten, wenn man sie nur gedruckt sähe, vielleicht wie Sonntagsreden wirken. Das haben Beschwörungen des hohen Guts der Demokratie oft so an sich. Aber bei Springsteen wirken sie anders.

Teils mit deutschen Untertiteln: Bruce Springsteen live in Frankfurt
Teils mit deutschen Untertiteln: Bruce Springsteen live in FrankfurtSophie Boyer

Er betritt die Bühne in Tweed-Weste und Krawatte in einem hellgrünen Hemd und wirkt dabei so gefestigt, so seriös und zugleich wie ein ehrlicher Arbeiter, dass er sofort eine Obstpflücker-Revolte in einem Roman von John Steinbeck anführen oder auch einen Marktplatz in nahezu jeder Stadt füllen könnte, um für höhere Löhne oder mehr Rechte zu werben.

Er füllt sogar Stadien – freilich mit Konzertbesuchern. Aber dass er diese auch eindringlich von seiner Sache zu überzeugen sucht, ist kein Missbrauch. Sondern es wirkt natürlich, wenn Bruce Springsteen klarstellt: Es gehe doch um alle die, über die er eh seit Jahrzehnten singe. Also eben über Steinbecksche Obstpflücker, Minenarbeiter, Einwanderer, Auswanderer, Unentwegte, die im besseren Fall im eigenen Auto auf der Flucht sind – im schlechteren zu Fuß am Straßenrand.

Oder sie warten auf einen Zug, vielleicht auch einen mythischen wie in „Land of Hopes an Dreams“, das er gleich zu Beginn spielt, nachdem er zunächst mit dem nostalgischen Gassenhauer „No Surrender“ die Aufmerksamkeit der Leute gewonnen hat, die grad noch Getränke holen. „This train carries saints and sinners, / This train carries losers and winners”, heißt es darin, ferner auch Spieler, Huren, verlorene Seelen, Narren und Könige: „All Aboard“. Der Zug soll das gelobte Land erreichen – irgendwann.

Das glücklichste Kind der Welt

Es ist neben dem Gottesdienst auch ein buntes Theater, sein Konzert, und dazu trägt seine traditionelle E Street Band, erweitert um Blechbläser, Percussionisten und Sängerinnen, ihr Möglichstes bei. Allen voran der Gitarrist und Sänger Little Steven, seit Langem so etwas wie Springsteens Blutsbruder, der wieder aussieht wie ein Karnevalspirat mit seinem wilden Kopftuch, einem Säbel-Ohrring (alle im Stadion sehen ihn auf der Videoleinwand einmal sehr deutlich) und seinem Paisley-Hemd, dessen Muster sich auf dem Schlagbrett seiner Gitarre befindet, sehr stilvoll.

Im Duett gibt er alles, verausgabt sich fast ebenso wie Springsteen selbst. Der beeindruckt an diesem Abend auch damit, dass er, wenn er vielleicht mal eine kleine Passage etwas heiserer oder nicht mehr ganz so sicher gesungen hat, dies beim nächsten Lied plötzlich wieder völlig vergessen lässt. Noch immer dauert ein Springsteen-Konzert mit Zugaben fast drei Stunden, und es ist verrückt, was der Mann besonders zum Ende hin noch aus sich herausholt. Das gilt aber auch für den Gitarristen Nils Lofgren, der mit 73 noch fantastische Soli spielt, für den Schlagzeuger Max Weinberg und den jungen Saxophonisten Jake Clemons. Er ist der Neffe des langjährigen E-Street-Band-Saxophonisten Clarence Clemons, der 2011 verstarb.

Blutsbrüder: Bruce Springsteen und Little Steven beim Konzert in Frankfurt
Blutsbrüder: Bruce Springsteen und Little Steven beim Konzert in FrankfurtSophie Boyer

Der mythische Zug fährt außerdem an Stationen von Springsteens Werk vorbei, wenn auch nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern in traumhafter Mischung. Mal gibt es etwas vom Album „Born in the U.S.A.“ (1984) zu hören, dann wieder Neues wie „Rainmaker“ (2020), dann etwas vom Album „Born to Run“ (1975), der laut Wolfgang Niedecken „größte Rock-’n’-Roll-Platte aller Zeiten“, dann das Lied „Atlantic City“ (1982), natürlich mit Mundharmonika, die Springsteen später einem Kind schenkt. Es scheint in diesem Moment das glücklichste Kind der Welt zu sein, diese großen Augen auf der Leinwand wird man nicht vergessen.

Alles, was stirbt, kommt zurück

„Atlantic City“, das eigentlich von dem etwas heruntergekommenen Spielerparadies in Springsteens Heimatstaat New Jersey handelt, gewinnt hier eine neue Dimension hinzu. Die Liedzeile „Maybe everything that dies someday comes back“ bezieht man plötzlich nicht mehr nur auf die besagte Stadt, sondern auch auf das transatlantische Verhältnis, um das es bekanntlich nicht mehr so gut bestellt ist wie einst.

Jake Clemons, Max Weinberg und Bruce Springsteen
Jake Clemons, Max Weinberg und Bruce SpringsteenSophie Boyer

Springsteen sagt an diesem Abend einmal, er habe immer versucht, ein guter Botschafter für Amerika zu sein. Dieses Sendungsbewusstsein ist so ungebrochen, dass man fast denken könnte: Hier steht ein letzter großer Transatlantiker uns singt sein Herz raus. Wer, wenn nicht er, sollte die Dinge zum Besseren wenden?

Das halten Leute, die Springsteen nicht so mögen oder sein gewisses Pathos in Bezug auf Amerika, romantische Liebe und fahrbare Untersätze, vielleicht für übertrieben – aber ihnen sei gesagt: Wenn sie in diesem Konzert gewesen wären, hätte der Zauber mit ziemlicher Sicherheit auch bei ihnen gewirkt.

Spätestens jedenfalls bei den lang erwarteten Zugaben, die Springsteen nach einigen weniger bekannten Stücken, nach einem sehr kraftvollen „Because the Night“, das er einst von Patti Smith borgte, und nach der Ballade „The River“ mit Little Steven an der zwölfsaitigen Gitarre dann doch alle gibt, Hits am laufenden Band: „Born in the U.S.A.“, „Born to Run“, „Bobby Jean“ (vielleicht so gut wie noch nie), „Dancing in the Dark“ und überraschenderweise noch das wunderbar kraftvolle Soulrockstück „Tenth Avenue Freeze Out“ aus dem Jahr 1975. Da erzählen die Leute neben einem, dass sie Springsteen tatsächlich vor fünfzig Jahren zum ersten Mal live gesehen haben. Er habe an Kraft nicht eingebüßt, meinen sie.

Als man denkt, es könne besser nicht mehr werden, spielt er ganz zum Schluss auch noch ein Lied von Bob Dylan, „Chimes of Freedom“. Man möge es im Herzen bewegen auf dem Nachhauseweg, sagt Springsteen. Von Kirchenglocken ist darin die Rede, die weit durch den Wind hörbar sind: „Striking for the gentle, striking for the kind / Striking for the guardians and protectors of the mind”.

Frankfurter Allgemeine Zeitung

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