Die geheime Armada: Wie Russland mit Schattenflotten im Mittelmeer Öl-Sanktionen umgeht

Als 2023 in der Bucht von Ceuta, einer kleinen spanischen Enklave an der Nordküste Afrikas, im Morgengrauen zwei riesige Öltanker treiben, geht alles erstaunlich schnell. Innerhalb weniger Stunden wird die wertvolle Fracht – russisches Rohöl – auf hoher See von einem Schiff auf das andere gepumpt. Kein Hafen, keine Kontrolle, kaum Nachweis. Eine Mission unter jeglichem Radar. Die Transponder der Schiffe waren zuvor für mehrere Tage abgeschaltet worden. Das Ziel: China. Der Ursprung: Russland.
Für Experten ist es längst ein Wirtschaftskrieg auf See, ein globales Katz-und-Maus-Spiel, ausgelöst durch Russlands Schattenflotten. Etwa 600 Tanker sind trotz der Sanktionen weiterhin in internationalen Gewässern unterwegs, so Schätzungen. Sie fahren unterm Radar, sollen unentdeckt bleiben und sind oft marode alte Kähne, bis zu 20 Jahre alt.
Das Ziel Russlands: Sanktionen zu umschiffen, weiter Öl gewinnbringend zu verkaufen. Doch Dänemark, Estland und weitere Länder wollen die Geheimfahrten jetzt stoppen, Tanker der Schattenflotte sollen beschlagnahmt werden. Russlands Botschafter warnt allerdings bereits vor einer „direkter Konfrontation“ in der Ostsee.
Seit dem Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 steht die Kreml-Regierung unter massivem wirtschaftlichem Druck. Der Westen versucht immer wieder, Moskaus Einnahmen aus dem lukrativen Ölgeschäft mit Sanktionen, Preisdeckeln und Exportverboten empfindlich zu treffen.
Sanktionen: Russland soll exportieren, aber nichts daran verdienenVergangene Woche erst wurde das 17. Sanktionspaket gegen Russland verabschiedet. Es richtet sich gegen fast 200 Schiffe der russischen Schattenflotte, mit der Moskau das im Zuge des Ukrainekriegs verhängte Ölembargo umgeht. Insgesamt sind damit nun rund 350 Schiffe mit Sanktionen belegt. Seit Beginn der russischen Invasion der Ukraine verhängte die EU obendrein Einreiseverbote und fror die Vermögenswerte von mehr als 2400 Menschen und Organisationen ein, darunter Russlands Präsident Putin. Zudem wurde ein nahezu komplettes Importverbot russischen Rohöls verhängt, und mehr als 200 Milliarden Euro der russischen Zentralbank wurden eingefroren.
Im Dezember 2022 einigten sich die G7-Staaten gemeinsam außerdem mit der EU unter anderem auf eine Preisobergrenze für russisches Öl: maximal 60 Dollar pro Barrel für per Schiff transportiertes Rohöl. Schiffe, die gegen diese Vorgabe verstoßen, so die Auflagen, dürfen eigentlich keine westliche Versicherung oder technische Unterstützung erhalten. Das Ziel: Moskau soll zwar weiterhin exportieren, aber deutlich weniger daran verdienen.
Russlands Strategie: Reedereien, Tanker, anonyme BriefkastenfirmenRussland jedoch reagierte – mit einer Gegenstrategie. Es begann damit, eigene Transport- und Versicherungskapazitäten aufzubauen, oft über Strohmänner oder Drittländer. Im Schatten der Weltmeere hat sich seitdem mit der Flotte eine geheime Infrastruktur etabliert. Reedereien, Tanker und anonyme Briefkastenfirmen sind miteinander verknüpft, um ein Ziel zu erreichen: russisches Öl trotz Sanktionen zu exportieren, beklagen Kritiker. Viele der 600 Tanker dieser inoffiziellen Armada entsprechen kaum westlichen Sicherheitsstandards. Einige fahren unter liberianischer oder panamaischer Flagge, betrieben von Firmen, deren Eigentümer sich in Dubai, Hongkong oder auf den Marshallinseln verbergen.
Dänemark will Tanker der russischen Schattenflotte daher nun stoppen. Außenminister Lars Løkke Rasmussen kündigte an, bald Vertreter angrenzender Staaten, Großbritanniens und der Niederlande zu einem Treffen einzuladen, um rechtliche Wege zur Beschlagnahmung von Schattenflotten zu prüfen. Sein Argument: Die Schattenflotten stellten vor allem ein Sicherheits- und Umweltrisiko dar, besonders wenn sie ohne Flagge und unversichert fahren. Ziel sei es, wirksam gegen die „schlimmsten Fälle“ vorzugehen – also marode oder staatenlose Schiffe.
Russland reagierte prompt und bewertet jegliche Eingriffe in die Tankertransporte als Provokation. In einer Stellungnahme gegenüber TV 2 bezeichnete der russische Botschafter in Dänemark, Wladimir Barbin, die diskutierten Maßnahmen als völkerrechtswidrig und verglich sie mit „Piraterie“. Der Westen bereite eine „direkte Konfrontation“ im Ostseeraum vor, so Barbin. Zudem warnte er vor einer „unkontrollierten Entwicklung“ der Lage. Der Diplomat wies obendrein die Argumente Dänemarks als „heuchlerisch“ zurück. Die Sorge um das maritime Ökosystem sei vorgeschoben, erklärte Barbin. Der Versuch, die Verantwortung für die angespannte Lage in der Ostsee auf Russland abzuwälzen, sei unbegründet.
Berliner-zeitung