Die Wagenknecht-Partei steht am Scheideweg: Regierungswille oder radikale Opposition?

Wenn man es zurückhaltend ausdrücken will, befindet sich das Bündnis Sahra Wagenknecht in einer Selbstfindungsphase. Die Partei orientiert sich neu. Das mag auf den ersten Blick sonderbar erscheinen, schließlich ist das BSW noch sehr jung, es wurde vor nicht mal anderthalb Jahren gegründet. Doch nach dem knappen Scheitern bei der Bundestagswahl, bei der ihm nur 9500 Stimmen für den Einzug ins Parlament fehlten, muss es seinen Weg in der außerparlamentarischen Opposition suchen.
Eine solche Phase sorgt für Konflikte in einer Partei. Weniger zurückhaltend ausgedrückt: Schon jetzt, einige Monate nach der Wahl, bringen Machtkämpfe und Richtungsstreits Unruhe ins BSW. Die Partei ringt mit sich selbst. Sie ist uneins in der Frage, wie sie sich positionieren soll, um unterscheidbar und vor allem sichtbar zu bleiben. Hinzu kommen prominente Rücktritte – wie nun in Schleswig-Holstein.
Aus Parteikreisen erfuhr die Berliner Zeitung, dass dort der bisherige Co-Landesvorsitzende Milad Salami seinen Posten abgegeben hat. Salami bestätigt das auf Anfrage. In einer Doppelspitze träfen verschiedene Personen aufeinander, heißt es in seiner Mitteilung. „Das ist machbar, jedoch war es in unserem Falle eine Herausforderung, die durch Kommunikationsstörungen geprägt war und vertrauensvolles und kollegiales Zusammenarbeiten schier unmöglich gemacht hat.“ Nun habe er für sich selbst, den Landesvorstand und im Sinne der Mitglieder eine Entscheidung treffen müssen.
„Das Amt des Landesvorsitzenden habe ich immer gerne und mit voller Kraft ausgeübt“, schreibt Salami. Unter den derzeitigen Bedingungen sehe er „jedoch keine Grundlage mehr für eine konstruktive Zusammenarbeit im Landesvorstand“.
Der BSW-Verband Schleswig-Holstein ist erst im vergangenen Dezember gegründet worden. Angeführt wurde er seither von Milad Salami, der als Lehrer an einer Privatschule in Elmshorn arbeitet, und Martina Möller, einer Beraterin in einem Jobcenter. Salami ging für das schleswig-holsteinische BSW als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl.
Aus der Partei heißt es, die Stimmung im Landesverband sei schon seit Monaten angespannt. Als ein Grund dafür wird die Wahl von Möller und Salami zur Doppelspitze genannt. Eigentlich hätte der Verband im Oktober gegründet und ein Vorstand gewählt werden sollen. Allerdings sei die Bundesspitze, das Präsidium um die Parteichefin Sahra Wagenknecht, unzufrieden mit den Kandidaten gewesen. Der Gründungsparteitag sei auf Dezember verschoben worden, aus dem Präsidium warb man demnach für Möller und Salami.
Das wiederum habe für Ärger unter den Mitgliedern in Schleswig-Holstein gesorgt, heißt es aus der Partei. Vielen seien beide kaum bekannt gewesen. Auf Anfrage dieser Zeitung äußerte sich Salami dazu nicht.

Auch in Hamburg zeigte sich jüngst – abermals – Unzufriedenheit über die Bundesführung. Dort verließ der ehemalige Landeschef Jochen Brack das BSW. In seinem Austrittsschreiben, das dieser Zeitung vorliegt, erklärt Brack: „Ich bin nicht länger der nützliche Idiot und gebe nicht länger meinen Namen und meinen Ruf für das BSW Hamburg her.“ Seinen Abschied begründet er vor allem mit einem Mangel an innerparteilicher Demokratie. Der Landesverband werde „im Zusammenspiel mit Teilen der Führung des BSW gesteuert bzw. gelenkt“. Jochen Brack schreibt von „Strippenzieherei“ und „Vetternwirtschaft“.
Dass die BSW-Bundesspitze dominant in die Wahl von Landesvorständen und Listenaufstellungen eingegriffen habe, beklagen Mitglieder aus mehreren Ländern. Oft ist von Druck auf Parteikollegen vor Ort die Rede. Man solle zusammenhalten, für die vorgeschlagenen Personen stimmen – Uneinigkeit sehe öffentlich nicht gut aus, schlechte Berichterstattung drohe. Die Pressestelle des BSW ließ eine Anfrage dieser Zeitung unbeantwortet.
Allerdings gehen die Reibungen zwischen Bundes- und Landesebene über Personalfragen hinaus. Sie betreffen auch den künftigen Kurs der Partei.
Der bekannteste Konflikt ist vor einigen Wochen in Thüringen eskaliert. Dort musste sich die Co-Landesvorsitzende Katja Wolf auf einem Parteitag gegen eine Kandidatin durchsetzen, die öffentlich vom Präsidium unterstützt wurde. In Sahra Wagenknechts Umfeld macht man vor allem die Landesführung um Wolf für das Abschneiden bei der Bundestagswahl verantwortlich. Das BSW in Erfurt, so der Vorwurf, habe das Profil der Partei verwässert, indem es sich bei der Regierungsbildung mit CDU und SPD zu kompromissbereit gezeigt habe. Mehrere Thüringer BSW-Politiker beschweren sich derweil über Belehrungen aus Berlin.
Mittlerweile sprechen einige Parteifunktionäre von einer Kultur des Misstrauens gegenüber jenen ostdeutschen Verbänden, die in Parlamenten vertreten sind. Also Brandenburg, Sachsen und Thüringen – wobei es die Erfurter Kollegen am schärfsten treffe. Während der Bundespartei einige Jahre in der außerparlamentarischen Opposition bevorstehen, könnten sich diese Ost-Verbände nämlich zu neuen Machtzentren entwickeln. Verselbstständigen sie sich? Nutzen sie die Ressourcen, die ihren Landtagsfraktionen zustehen, nicht im Sinne der Berliner Parteilinie?
Auch die Mitgliederaufnahme bleibt ein Reizthema. Eigentlich lautete die Ankündigung, dass die Partei, die bis zur Bundestagswahl sehr langsam Unterstützer aufgenommen hatte, sich öffnen wolle. Allerdings, so heißt es, schaue die Bundesspitze weiter sehr genau hin. Die Aufnahme verlaufe vielerorts schleppend.
Auffällig ist, dass sich die interne Kritik meist nicht gegen Sahra Wagenknecht richtet, sondern gegen die Führungsriege um die Parteigründerin. Wagenknecht, so heißt es, sei in die Vorgänge oft nicht direkt eingebunden.
Ein ranghohes BSW-Mitglied erinnern die Spannungen zwischen Bundespräsidium und Ost-Verbänden an die Anfangszeit der Linken. Dort habe sich ein Spalt aufgetan: zwischen einer dogmatischen, teils „sektiererischen“ Partei im Westen und einer eher pragmatischen im Osten. Zwischen radikaler Opposition und Regierungswillen. So gesehen ticke das BSW-Präsidium sehr westdeutsch, heißt es. Spätestens im kommenden Jahr, wenn in zwei ostdeutschen Ländern und in Berlin gewählt wird, muss die Partei diese Frage für sich beantworten.
Berliner-zeitung