Lars Klingbeil: Der mächtigste Mann der SPD im Porträt
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Berlin. Auf den ersten Blick erschließt sich die Sache nicht: Nach der Niederlage bei der Bundestagswahl müsse sich die SPD erneuern, sagt Parteichef Lars Klingbeil. Es klingt, als wolle er zurücktreten – als Mitverantwortlicher für das miserable Ergebnis.
Aber statt den einen Posten aufzugeben, nimmt Klingbeil nun noch einen anderen dazu: Am Mittwoch will er sich zum Chef der SPD-Bundestagsfraktion wählen lassen. Noch am Wahlabend haben sie das im Parteipräsidium so vereinbart. Es war Klingbeils 47. Geburtstag.
Der Politikwissenschaftler aus dem niedersächsischen Munster, der FC-Bayern-Fan und Hobbygitarrist, wird damit zum mächtigsten Mann der SPD. Und in einer Koalition mit der Union wäre er nach Kanzler Friedrich Merz (CDU) die zweite zentrale Figur.
Klingbeil hat das ein Stück weit selbst in der Hand: Er übernimmt für die SPD die Verhandlungsführung. Eine einfache Aufgabe ist das nicht. Denn die Begeisterung für eine erneute Koalition mit der Union hält sich bei der SPD in Grenzen. Allerdings gäbe es nur eine andere Variante – eine Regierung von CDU/CSU und AfD. Die hat die Union abgelehnt, die SPD allerdings will sie auf jeden Fall verhindern.
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Noch vor die Verhandlungen, sogar vor ein erstes Gespräch mit Merz, setzte Klingbeil daher eine Ansage: Der CDU-Chef habe zuletzt „die Gräben zur SPD nicht flacher, sondern tiefer gemacht“, sagte er unter Verweis auf die letzte Wahlkampfrede von Merz, in der dieser gegen „grüne und linke Spinner“ polterte. Auch die Bundestagsabstimmung zur Migrationspolitik, bei der sich die Union kurz vor der Wahl von der in Teilen rechtsextremen AfD zur Mehrheit hatte verhelfen lassen, wirkt bei der SPD noch nach.
Die Empörung ist echt. Für Klingbeil dürfte sie auch die Funktion eines Verhandlungselements haben. Freundlich und konziliant wirkt Klingbeil nach außen. Aber bei der Union beschweren sie sich, der SPD-Chef könne ganz schön grob werden. Und nur mit Freundlichkeit wäre ihm der Aufstieg in der Partei, in die er mit 18 Jahren eingetreten ist, wohl kaum gelungen.
Früh hat Klingbeil in der Partei Kontakt zur Bundespolitik gehabt: Als Student arbeitete er im Wahlkreisbüro des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Er wurde Vize-Chef der Jusos, zog 2009 erstmals in den Bundestag ein und kümmerte sich dort um Digital- und Verteidigungspolitik. Seine Nähe zur Bundeswehr hat Klingbeil oft hervorgehoben, sein Vater war Berufssoldat.
Der Aufstieg begann 2017: SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz machte Klingbeil nach seiner Wahlniederlage zum Generalsekretär. Nachdem die Bildung einer Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP gescheitert war, begleitete Klingbeil den Eintritt in eine große Koalition, gegen massiven Widerstand aus der Partei. Als zwei Jahre später Parteichefin Andrea Nahles entnervt hinschmiss, organisierte Klingbeil den Wettbewerb um ihre Nachfolge. Auf jede Krise der SPD folgte ein Plan, immer vermittelte Klingbeil den Eindruck von Ruhe.
Und zumindest eines gelang: Die zuvor zerstrittene Parteiführung schloss die Reihen. Nach der Wahl 2021 übernahm Klingbeil den Parteivorsitz, und setzte weiter auf öffentliche Einigkeit im Duo mit seiner Co-Chefin Saskia Esken. Seine Kritik dosierte er: Von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) forderte er immer wieder bessere Kommunikation ein.
Dann kam der Ampelbruch – und die Bruchlinien wurden deutlicher. Tagelang ließen Klingbeil und Esken die Debatten über den Kanzlerkandidaten laufen. Lieber Amtsinhaber Scholz oder doch Verteidigungsminister Boris Pistorius, den Umfragekönig? Klingbeil gab sich als umsichtiger Manager und sagte, es sei nötig, der Partei Diskussionsraum zu geben. Besser ließ das Scholz nicht aussehen. Und Klingbeil hatte Distanz zum Kanzler deutlich gemacht, praktisch für den Fall einer Wahlniederlage.
Nun hat sich der SPD-Chef noch weiter nach vorne geschoben. In der SPD fühlten sich einige überrumpelt. Juso-Chef Philipp Türmer beschwerte sich im „Spiegel“, es mache einen fatalen Eindruck, dass „einer der Architekten des Misserfolgs“ als erste Tat nach der Wahl nach dem Fraktionsvorsitz greife. Auch der Sprecher der Parlamentarischen Linken, Tim Klüssendorf, kritisierte in der ARD das Vorgehen. In der Sache sei der Schritt allerdings „erst mal nicht falsch“. Die SPD müsse schnell handlungsfähig sein, so hat es Klingbeil erklärt. Die Union drängt auf einen schnellen Verhandlungsstart, bis Ostern will sie durch sein.
Partei- und Fraktionsvorstand stützten Klingbeil einstimmig. Dass der bisherige Fraktionschef Rolf Mützenich, ein Vertreter des linken Flügels, ihn empfohlen hat, dürfte geholfen haben. Klingbeil könne Merz so mit besonderer Stärke, Autorität und Konsequenz gegenübertreten, so sagt es Mützenich.
Offen ist, ob die Station in der Fraktion ein Übergang sein wird. Ambitionen auf ein Ministeramt werden Klingbeil nachgesagt. Griffe er nach dem Verteidigungsressort, hätte ausgerechnet Pistorius das Nachsehen.
Wenn nichts dazwischen kommt, könnte Klingbeil bei einer nächsten Wahl noch einen weiteren Job übernehmen: den als Kanzlerkandidat. Eines könnte ihm dabei helfen: Seinen Wahlkreis Rotenburg I – Heidekreis hat Klingbeil deutlich gewonnen, mit dem besten Direktwahlergebnis aller SPD-Abgeordneten.
rnd