Motivwagen zur Fastnacht: Mainzer Narren stoßen Jürgen Klopp vom Sockel
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Hebt Jürgen Klopp ab? Oder stürzt er ab? Das, sagt Boris Henkel mit einem Lächeln, sei Auslegungssache. Die riesige Styroporfigur des einstigen Mainzer Fußballtrainers auf dem Anhänger in der Wagenhalle des Mainzer Carneval-Vereins (MCV) jedenfalls lässt Interpretationsspielraum. Zu sehen ist auf dem Motivwagen, so erklärt es der Chef des Kreativausschusses des Fastnachtsvereins, ein grinsender Klopp mit einem Fußball in der einen und einem Energy-Drink in der anderen Hand.
Lange haben Fußballfans in Dortmund, Liverpool und Mainz ihn ikonenhaft verehrt. Doch auch wenn dem Ex-Mainzer sein neuestes Engagement für einen Brausehersteller aus Österreich finanziell Flügel verleiht, die als riesige Schwingen in 500-Euro-Scheinen dargestellt sind: Für seine Fans hat Klopp sein eigenes Denkmal zerstört. Und so wirkt es, als würde er von dem Sockel, auf dem Wappen der drei Klubs abgebildet sind, herunterstolpern – oder doch abheben?
Die riesigen Motivwagen sind traditionell Bestandteil der Mainzer Straßenfastnacht, zu der am Rosenmontag wieder rund eine halbe Million Menschen in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt erwartet werden. Die Narren des MCV, der den Zug ausrichtet, nehmen stets Themen des aktuellen Zeitgeschehens kritisch aufs Korn. Jürgen Klopp, findet Boris Henkel, habe da nicht fehlen dürfen. 140 Zugnummern umfasst der närrische Lindwurm, der sich über sieben Kilometer durch die Stadt schlängeln wird, mit der Nummer 128 wird die Klopp-Figur als einer von mehr als 150 Motiv- und Komiteewagen an den Menschen am Straßenrand vorüberfahren.
Wie lange es gedauert hat, den Wagen mit dem Fußballtrainer zu bauen, der viele nette Details abbildet und bei dem das Gesicht der Styroporfigur eindeutig als Klopp zu erkennen ist, kann Stefan Hisge nicht sagen, nur so viel: Die Fertigstellung der zehn Wagen sei eine Punktlandung gewesen. Hisge hatte in diesem Jahr erstmals die Verantwortung für den Wagenbau, nachdem zuvor sechs Jahrzehnte lang der im Januar verstorbene Dieter Wenger dafür verantwortlich war.
Seit am 11. November die Fastnachtskampagne begonnen hat, werkeln Hisge und 20 weitere Wagenbauer in Vollzeit an zehn Motivwagen, die der MCV in diesem Jahr auf den Zugweg schickt. Die Ideen für die Themen werden im Kreativausschuss entwickelt, von dem Karikaturisten Michael Apitz entworfen und dann als riesige Styroporwerke umgesetzt. Das, sagt Hannsgeorg Schnönig, Präsident des 1838 gegründeten Vereins, sei eine unglaubliche Leistung, die Ergebnisse in diesem Jahr seien sehr gut.
Dabei hatten die Mütter und Väter der rollenden Satire ein besonderes Problem. „Als klar wurde, dass die Bundestagswahl am 23. Februar stattfindet, haben wir erst einmal geschluckt“, sagt Henkel. Schließlich war klar, dass bundespolitische Themen ohne das Wissen um den Wahlausgang schwer umsetzbar sein würden. Trotzdem bleibt das Thema aber nicht außen vor, wenn sich am Rosenmontag um 11:11 Uhr der Zug mit 9500 Aktiven zum 121. Mal in Gang setzt.
Denn der Wagen mit dem Titel „Bruchlandung“ zeigt ein abstürzendes Flugzeug: Am Steuer sitzt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), hinten Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), aus dem mittleren Sitz wurde Ex-Finanzminister Christian Lindner (FDP) bereits herausgeschleudert. „Das ist mein Lieblingswagen“, sagt Henkel, wenngleich er weiß, wie viel Aufwand in jedem einzelnen steckt. Jedes Motiv koste den Verein rund 15.000 Euro, die Finanzierung sei äußerst schwierig geworden, sagt Henkel. Der Verkauf der Zugplakettchen sei ein Weg, um Geld zu sammeln, aber auch Sponsoren, andere Vereine und die Einnahmen aus der Saalfastnacht tragen zur Kostendeckung bei.
Neben den Bruchpiloten sitzt, einen Wagen weiter, Wladimir Putin in Anlehnung an den Schurken Ernst Stavro Blofeld aus den Bond-Filmen, in einem Sessel und krault eine weiße Perserkatze – mit dem Gesicht des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong-un. Mit ihm auf seinem Schoß, dichten die Narren, „geht Putin auf die Menschheit los, mit skrupelloser Aggression, eiskalt, in tödlicher Mission“. Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius, der angesichts der Unterfinanzierung der Bundeswehr nur mit einem Helm um die Lende bekleidet ist und dem nur ein NATO-Regenschirm Schutz bietet, oder ein wie wahnsinnig nach Öl bohrender Donald Trump, der die Umwelt rücksichtlos ausbeutet, sind dargestellt. Und zur Koalitionsbildung ist noch ein aktueller Wagen unter dem Motto „Kröten schlucken“ im Bau.
Die Motivwagen werden am Sonntag auf der Ludwigstraße beim „Tanz auf der Lu“ erstmals aus der Halle im Mainzer Stadtteil Mombach gefahren, die Figuren, so Henkel, seien wetterfest gebaut worden. Auch die Klopp-Figur wird also am Münsterplatz eintreffen, wo sich am Montag der Zug auflösen wird. Bis dahin dürften sich die Zuschauer entschieden haben, ob Klopp abstürzt oder abhebt. Der Spruch zum Motivwagen gibt Aufschluss darüber, wohin die MCV-Narren tendieren: „Für Kloppo zählten früher Werte, um die er sich jetzt nicht mehr scherte, denn weil Red Bull lockt mit viel Geld, er krachend nun vom Sockel fällt.“
Frankfurter Allgemeine Zeitung