Silke und Holger Friedrich: War es ein Fehler, die Berliner Zeitung zu kaufen?

Zum 80-jährigen Bestehen der Berliner Zeitung ziehen die Verleger Holger und Silke Friedrich Bilanz – und werfen einen kritischen Blick auf die Medienbranche.
Liebe Leser, Partner und Freunde der Berliner Zeitung,vor mehr als fünf Jahren haben wir den Berliner Verlag übernommen und damit auch die Berliner Zeitung. Diese feiert in dieser Woche ihr 80-jähriges Jubiläum. Ein großartiger Anlass, diese ehrwürdige Institution Berlins, ihre treuen Kunden, ihre Mitarbeiter und Partner zu würdigen.Es macht uns stolz, mit dem Erwerb des Berliner Verlages ermöglicht zu haben, dass wir dieses Jubiläum miteinander feiern können, stand die Berliner Zeitung im Jahr 2019 doch kurz vor ihrem Aus.
In einer großen Kraftanstrengung, unter mannigfaltigen, nicht selten boshaften Attacken sowie unter dem strengen Blick unserer Leserschaft haben wir den Berliner Verlag neu aufgestellt, Produkte modernisiert, Technologien integriert und ein Team zusammengeführt, das dafür sorgt, dass die Berliner Zeitung dem gerecht wird, was wir uns mit der Übernahme vorgenommen hatten: eine unabhängige, kritische Stimme zu sein, die den Status quo hinterfragt, die der Politik auf die Finger schaut, die diskursfreudig und unvoreingenommen den Lesern einen Raum der konstruktiven Auseinandersetzung bietet.
Viele wollten uns scheitern sehen, und nur wenige haben uns zugetraut, was wir am Ende miteinander geschafft haben: Die Berliner Zeitung ist zu ihrem 80. Geburtstag bestens aufgestellt. Sie verdient mit ihren Produkten das notwendige Geld, um unabhängig agieren zu können, denn unsere Idee von kritischem Journalismus hat eine wachsende Fan-Base. Das Wichtigste jedoch: Wir haben viel Freude an unserer Arbeit, was sich in den Produkten sowie deren Qualität widerspiegelt.Zudem wachsen wir! Am 20. Mai 2025 wurde Die Weltbühne neu aufgelegt, ein weiteres Blatt, in dem wir den kritischen, klugen Stimmen unseres Landes Raum bieten, ihre Gedanken zu aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen zu publizieren und einen friedlichen Diskurs zu stimulieren.
Für all das Erreichte möchten wir uns bei unserem Team, den vielen treuen Wegbegleitern, unseren Lesern und Partnern herzlich bedanken!
Hybris und die doppelten Standards MächtigerNeben dem Stolz auf die Ergebnisse unserer Arbeit macht sich nach fünf Jahren trotzdem Ernüchterung breit. Glaubten wir im Jahr 2019 noch, dass kritischer Journalismus und Meinungsfreiheit wichtige Attribute einer freien Gesellschaft seien, mussten wir lernen, dass Kritik zu üben und seine Meinung zu äußern mitunter hohen Tribut fordert.Die Frage, wie frei unsere Gesellschaft eigentlich ist, hat uns in den vergangenen Jahren stark beschäftigt, denn wir wissen aus unserer eigenen Lebenserfahrung, dass die Freiheit ein hohes Gut ist, das es unablässig zu verteidigen gilt.In vielen Gesprächen hörten wir dasselbe Argument: Natürlich leben wir in einer freien Gesellschaft, man wird für seine Meinung nicht eingesperrt.Das ist wohl wahr und ein Wert an sich. Und gleichzeitig sehen wir, dass das Einsperren immer wieder durch ein Aussperren ersetzt wird. Einmal als Schwurbler, Putin-Versteher, Corona-Leugner, Demokratiefeind, Verschwörungsgläubiger oder Pazifist denunziert, läuft man schnell Gefahr, gesellschaftlich geächtet zu werden.In den vergangenen Jahren dachten wir mitunter: Wir hätten es nicht tun sollen, die Übernahme des Berliner Verlages war ein Fehler. Ein anderes Investment hätte mit weniger Zeit, mit weniger Geld und weniger Leidenschaft mehr Nutzen für uns, unsere Familie und unsere Kollegen ermöglicht. Denn gänzlich unerwartet haben wir als Besitzer einer Zeitung etwas lernen müssen, von dem wir hofften, es mit der DDR hinter uns gelassen zu haben.
Wir haben erfahren, dass Hybris, doppelte Standards und, gravierender noch, die große Zahl der mittels Subventionen indirekt zu Kollaborateuren Gemachten eine Atmosphäre schaffen, die eine Spaltung der Gesellschaft fördert, wirtschaftliches Handeln erschwert, Erfolg verdächtig erscheinen lässt und damit Optionen für die Zukunft limitiert. Eine Atmosphäre, die Kreativität, Individualität und sozialen Aufstieg – das große, weltweit so attraktive Versprechen der freien Welt – mehr und mehr einschränken.

Die Rolle der Presse in einer liberalen Demokratie, die Meinungs-, Reise- und Kapitalfreiheit als ihre Grundwerte definiert, muss daher in der Kontrolle von, nicht in der Kollaboration mit der Macht bestehen. Diese Aufgabe darf nicht aus dem Blick geraten.Die Berliner Zeitung hat diese Verantwortung für ihre eigene, aber auch für die kritische Begleitung der gesellschaftlichen Veränderungen nach intensiver interner Diskussion angenommen. Das war ein mehrjähriger und häufig genug schmerzhafter Prozess. Den Mitarbeitern und der Führungsmannschaft kann man für diesen Mut nicht dankbar genug sein.Wir werden uns weiterhin allen kontroversen Themen widmen und die Transformation Deutschlands im Kontext sich verschärfender politischer und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen begleiten: kritisch kommentierend, umsichtig einordnend, multiperspektivisch erklärend. Wir stehen für die nachfolgenden Generationen in der Pflicht, ein funktionierendes Bildungssystem, eine leistungsfähige, aber auch leistungsgerechte Sozialstruktur, faire Anreizsysteme für Leistungsträger, stabile öffentliche Sicherheit und ein friedliches Verhältnis zu allen Nachbarländern in Europa – das von Lissabon bis nach Jekaterinburg und auch bis Jerusalem reicht – zu gewährleisten.Wir werden nicht nachlassen, auch unbequeme Themen offen anzusprechen und Debatten anzuzetteln. Auch wenn der Preis dafür hoch ist und wir mit dem heutigen Wissen über die Resistenz etablierter Strukturen gegenüber Veränderungen vielleicht eine andere Entscheidung getroffen hätten. Aber auch nur vielleicht. Jetzt ist es, wie es ist, und wir sind da. Auch sind wir weiterhin neugierig und begleiten, was kommt – unabhängig, antiautoritär, gewaltfrei.Für die Mutigen.
Silke und Holger Friedrich sind Verleger der Berliner Zeitung.
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