"Spiel unseres Lebens": Vier Arminia-Fans werden auf Fanfest belagert

Arminia Bielefeld kann als erster Drittligist den DFB-Pokal gewinnen. Vor dem Spiel gegen VfB Stuttgart träumen die Fans bereits - und feiern mit ihrem eigenen Pokal.
Da steht es, das Objekt der Begierde. 5,7 Kilo schwer, knapp 52 Zentimeter hoch – das Feingold funkelt im Glitzer der Kameralichter. 60 Jahre alt ist die Trophäe, doch sie strahlt wie am ersten Tag.
12 Turmalinen, 12 Bergkristalle, 18 Nephriten sowie ein in Jade gestanztes grünes Verbands-Emblem zieren die Trophäe, die majestätisch vom Sockel der Siegermannschaften getragen wird. Den materiellen Wert taxieren Kunstexperten auf 35.000 Euro. Der ideele Wert? Unbezahlbar.
Um sie herum, tief in den Katakomben des Berliner Olympiastadions, stehen die Männer, die um den Pokal kämpfen werden – in feinster, unbeabsichtigter Symmetrie (im Liveticker von FOCUS online).
Bielefeld-Trainer Michel Kniat im weißen Pullover von links, sein Kapitän Mael Corboz in dunkelblauer Vereinsjacke neben VfB-Spielführer Atakan Karazor im weißen Aufwärmshirt und schließlich Stuttgarts Cheftrainer Sebastian Hoeneß im schwarzen Pullover.

Nur zwei von ihnen werden am Samstagabend den DFB-Pokal feierlich zum Trinkgefäß umfunktionieren. Fassungsvermögen? 8 Liter Bier.
Auf dem Alexanderplatz, rund 13 Kilometer östlich, wird eine solche Trophäe bereits ausschweifend bejubelt und in die Höhe gereckt. Hier feiern bereits die Anhänger von Arminia Bielefeld auf dem offiziellen Fanfest.
Aus der Entfernung ist der Cup dem Original zum Verwechseln ähnlich, auch aus der Nähe ist er eindrucksvoll. Der goldene Pokal ist aber eine selbstgemachte Replika. Aus dem 3D-Drucker.
Uwe, Manni, Dirk und Jörg - vier stattliche Männer, die so aussehen, als hätte man sie aus dem Hermannsdenkmal geschnitzt - tragen das Schmuckstück auf den Platz und werden nach nur wenigen Schritten zu den gefragtesten Männern von Berlin. Gerade erst aus der Tram gestolpert, mit dem Köfferchen noch in der einen Hand, sind sie auf der Suche nach ihrem Hotel. Doch Musik und der Duft von Bier lockte sie für einen kleinen Umweg auf das gerade startende Fanfest.
Hier will gleich jeder Armine die Gelegenheit nutzen und schon mal mit dem Pokal, um dem es am Folgetag gehen soll, posieren. Fotografen haben die Szenerie schnell für sich entdeckt. Etwas überrumpelt, aber mit Freude in den Augen, gibt das Quartett die Replika rum. Ein wachsames Auge.
„Ich hatte die Idee“, sagt Uwe stolz, ein Freund habe den Pokal dann maßstabgetreu mit dem 3D-Drucker erstellt. Die Verzierungen mussten die Männer dann aber selbst ankleben. Materieller Wert? „Umsonst“, sagt Uwe, Jörg schätzt 50 Euro. Der ideele Wert lässt sich aber auch hier kaum messen und wird wohl Foto für Foto wertvoller.

Das Quartett gehört zum gehobenen Alter, viel gesehen von der Welt, viel gesehen von der Arminia. Seit 30 Jahren Dauerkarte. „Manchmal eine scheiß Zeit“, sagt Manni mit ernstem Blick. Auch Uwe ergänzt, dass es als Bielefeld-Fan „manchmal zum Verzweifeln“ sei.
Und tatsächlich: Kaum eine Fanszene leidet so sehr unter den Launen des Clubs. Bielefeld ist Chaos pur, die Arminia pendelt zwischen den Extremen.
Über Jahrzehnte eine Fahrstuhlmannschaft zwischen Liga 1 und Liga 2, begannen die 2010er Jahre sogar mit zwei Abstiegen in Liga 3. Dann wurde es noch wilder.
2020: Aufstieg in die Bundesliga.
2021: Knapper Klassenerhalt.
2024: Fast-Abstieg in die Regionalliga.
2025? Aufstieg in Liga 2 und DFB-Pokalfinale.
Gerade die letzten drei Jahre waren eine harte Leidenszeit für den eh schon gescholtenen Arminen. Während einige Dauerkartenbesitzer vor der Saison ihre Karte abtraten, musste der Verein um ihre Treue fast schon betteln. Für die Männer kam das überhaupt nicht infrage. „Wir halten in guten wie in schlechten Zeiten zum Verein!“
Von der Euphorie getragen, blieb Bielefeld in der dritten Liga elf Spiele in Folge ungeschlagen, sprang noch von Platz vier auf Platz eins und feierte am vergangenen Wochenende die Drittliga-Meisterschaft. Aufstieg! Nun Berlin, ein Fiebertraum.
Nicht für das Quartett. „Wir haben die Hotels drei Wochen vor dem Halbfinale gebucht“, sagt Manni. Klar, mit Stornierungsoption. Aber dennoch.
Wie das Spiel ausgeht, ist „scheiß egal“, sagt Jörg. „Die Jungs haben nichts mehr zu verlieren. Und wir“, beginnt er, „wir feiern so oder so.“ Ein Bekannter, Peter, stößt zur Gruppe. Braungebrannt. Er hat extra seinen Spanien-Urlaub abgebrochen, um in Berlin dabei zu sein. Es ist nicht das Spiel des Jahres, sagt Manni, "es ist das Spiel unseres Lebens". Das größte Spiel der Vereinsgeschichte.
„Das wird ein knappes 1:4“, meint Dirk und macht eine kurze Pause. Unter tosendem Gejubel brüllt er dann: „Für Bielefeld!“ Becher stoßen aneinander, Biertropfen fliegen umher, etwas wird verschüttet, der Rest läuft Rachen oder Mundwinkel herab.
Nicht auszumalen, was am Samstagabend passiert, sollte die Arminia als erster Drittligist der Pokalhistorie tatsächlich gewinnen. Aber eines ist sicher: Auch in die Replika passen 8 Liter Bier.
FOCUS