Der lange Schatten eines Kusses: Die Frauen-EM findet ohne die berühmteste Fussballerin der Welt statt


Vor gut einer Woche zogen die spanischen Fussballerinnen dank dem 2:1 gegen England in die Finalrunde der Nations League ein. Sie kontrollierten den Match in Barcelona von Beginn an, lagen aber in Rückstand, ehe die eingewechselte Clàudia Pina mit zwei individuellen Geniestreichen die Wende herbeiführte.
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Doch es drängte sich der Eindruck auf, dass diesem Team der Weltmeisterinnen und Weltfussballerinnen, der hochbegabten Mittelfeldspielerinnen, Halbspitzen und Flügel eine Vollstreckerin von ähnlich herausragendem Niveau fehlt. Eine wie Jenni Hermoso.
Die Nationaltrainerin informiert Hermoso nicht über ihren VerzichtDie Angreiferin ist nicht nur unfreiwillig die berühmteste Fussballerin der Welt, seit sie während der Siegerehrung an der WM 2023 vom damaligen Verbandschef Luis Rubiales auf den Mund geküsst wurde, im folgenden #MeToo-Fall des Fussballs zur Ikone des Feminismus sowie zur Hassfigur der Machos avancierte und die Ereignisse jener Tage schliesslich als Zeugin der Anklage in einem Gerichtsverfahren aufgearbeitet sah. Hermoso, 35, ist mit 57 Treffern auch Spaniens Rekordtorschützin.
Und trotzdem wird sie an der EM in der Schweiz fehlen. Als die Nationaltrainerin Montse Tomé am Dienstag ihr Kader für das Turnier im Juli bekanntgab, verzichtete sie erneut auf die bei Tigres in Mexiko beschäftigte Offensivspielerin. Tomé versuchte, ihren Entscheid sportlich zu begründen: Sie sehe Hermoso eher im offensiven Mittelfeld, verfüge dort aber etwa mit den Weltfussballerinnen Alexia Putellas (2021, 2022) oder Aitana Bonmatí (2023, 2024) über herausragende Alternativen.
Später erklärte sie in einem Radiointerview bei «Cadena Ser», sie selbst habe Hermoso nicht über ihren Verzicht informiert: «Zum Glück habe ich Personen über mir, die mir diese Arbeit abnehmen.» Und was sagte sie dazu, dass Hermoso diesen fehlenden direkten Kontakt schon einmal beklagt hatte? Die Spielerin sei halt wütend über ihre Nichtberücksichtigung, so Tomé: «Das muss sie managen.»
Vor allem dieser Satz veranlasste Hermoso zu einer furiosen Gegenreaktion: «Managen? Das sollten mal andere lernen, denen das eine Nummer zu gross ist», schrieb sie auf X und riet der angesprochenen Nationaltrainerin: «Sie soll sich darauf konzentrieren, Spanien zum EM-Titel zu führen – auch wenn sie (die Spielerinnen, Anm. d. Red.) das allein auch hinbekämen, und zwar bestimmt viel besser.»
Für einen echten Neuanfang stand Montse Tomé nieIn die Schweiz fährt Tomé damit noch beschädigter, als sie es sowieso schon war. Als ehemalige Assistentin des WM-Trainers und Rubiales-Intimus Jorge Vilda stand sie nie für einen echten Neuanfang – auch so lassen sich die Spannungen mit Hermoso erklären, die schon an den Olympischen Spielen 2024 virulent waren, als Spanien mit Platz vier enttäuschte. Während des Rubiales-Prozesses musste dann auch Tomé aussagen und den Verdacht widerlegen, ihre Nichtnominationen von Hermoso seien der Weigerung der Spielerin nach jenem WM-Final 2023 geschuldet, Rubiales durch beschwichtigende Aussagen zu entlasten.
Der Schatten von 2023 und der turbulenten Jahre mit diversen Boykotten der Spielerinnen begleitet die Selección also weiter. In der Schweiz fehlen wird auch die von Tomé ebenfalls ausgebootete Torhüterin Misa Rodríguez (Real Madrid), eine enge Freundin Hermosos. Sowie Mapi León. Die Weltklasseverteidigerin des FC Barcelona sieht bis heute keinen hinreichend deutlichen Bruch mit dem «Rubialismus», als dass sie sich der Landesauswahl wieder zur Verfügung stellen würde.
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