Eishockey-WM: Der Schweizer Halbfinalgegner Dänemark hat mit der Sensation gegen Kanada sein Land elektrisiert


Die Sprache des Sports ist gespickt mit Superlativen. Ausdrücke wie sensationell, geschichtsträchtig oder historisch sind schnell zur Hand, wenn irgendetwas geschieht, das nicht den Erwartungen entspricht. Oft verzerren die Adjektive die Tragweite des Ereignisses, das sie umschreiben.
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Doch im Zusammenhang mit Dänemarks 2:1-Sieg im WM-Viertelfinal vom Donnerstag gegen Kanada sind die Superlative angebracht. Das Ereignis wird im internationalen Eishockey einen Stellenwert erhalten wie «Miracle on Ice», das Wunder der Olympischen Spiele 1980 in Lake Placid, als ein US-College-Team die übermächtige Sowjetunion schlug und Gold errang. Der Sieg der Amerikaner über die Sowjetrussen ist auch deshalb legendär, weil das politische Kräftemessen zwischen Ost und West ins Duell hineinspielte, zwei Ideologien trafen aufeinander. Rein sportlich aber ist der Vergleich zwischen dem dänischen Coup und jenem Wunder vertretbar.
Aufstand der AussenseiterDie Kanadier spielten an dieser WM mit einer NHL-Auswahl um die beiden Superstars Sidney Crosby (Pittsburgh) und Nathan MacKinnon (Colorado). Dem 37-jährigen Crosby, Mitglied jenes 30-köpfigen Spielerkreises, der Stanley-Cup, WM-Titel und Olympiagold gewonnen hat, stand beim verlorenen Match die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Sein Statement in der Mixed-Zone der WM-Arena hatte ähnlich wenig Substanz wie das kanadische Spiel zuvor.
Der Ausgang der Partie hat Dänemark elektrisiert und in helle Aufregung versetzt. Für den Eishockey-Zwerg, der üblicherweise leicht neidisch in Richtung seines nördlichen Nachbarn Schweden blickt, ist der Erfolg gegen Kanada tatsächlich geschichtsträchtig. Erstmals steht ein dänisches Team im Halbfinal einer Eishockey-WM und wird in diesem am Samstagabend auf die Schweiz treffen (ab 18 Uhr 20). In der Vorrunde hatten die Schweizer diesen Vergleich relativ problemlos 5:2 gewonnen.
Mittlerweile aber ist mit Nikolaj Ehlers von den Winnipeg Jets ein Spieler dazugestossen, der das dänische Team hat wachsen lassen. Der 29-jährige Sohn des Coachs Heinz Ehlers ist in der Schweiz aufgewachsen und hat vor seinem Wechsel nach Übersee praktisch alle Stufen im Nachwuchs des EHC Biel durchlaufen. Er sagte nach dem Match gegen Kanada: «Im Eishockey hast du immer eine Chance, auch wenn die Aussichten scheinbar hoffnungslos sind.»
Ehlers setzte mit seinem Ausgleich 137 Sekunden vor dem Ende des Matchs das Signal zur Wende. Nach dem Siegtreffer wenig später, den Nick Olesen 49 Sekunden vor der Schlusssirene erzielte, brachen in der verschlafenen Kleinstadt Herning alle Dämme. Wildfremde Menschen lagen sich in den Armen und feierten die Sensation. Ältere Sportinteressierte fühlten sich in die Zeit zurückversetzt, als Dänemark 1992 mit einem 2:0-Sieg gegen das übermächtige Deutschland Fussball-Europameister geworden war.
«Danish Dynamite» war damals das Etikett, das dem Team und seinem mitreissenden Stil um die Brüder Michael und Brian Laudrup umgehängt wurde und ganz Europa begeisterte. Dänemark war nur deshalb an jener EM dabei, weil Jugoslawien wegen des Balkankriegs vom Turnier ausgeschlossen wurde.
Auch diesmal haben die Dänen ihre Sternstunde zumindest teilweise einem internationalen Konflikt zu verdanken. Russland und Weissrussland, zwei Teams, die in der Eishockey-Hierarchie deutlich über Dänemark stehen, sind wegen des Kriegs in der Ukraine seit mehreren Jahren vom internationalen Sport ausgeschlossen. Das hat den Weg in die entscheidende Turnierphase für Mannschaften wie die Dänen, aber auch für die Schweizer einfacher gemacht.
In den letzten Jahren gewannen neben der Schweiz (WM 2013, 2018, 2024) auch Länder wie Lettland (WM 2023) oder Deutschland (Olympia 2018) Medaillen. Die Slowakei wurde 2002 Weltmeister, damals noch in Konkurrenz zur Eishockey-Weltmacht Russland.
Teamsenior Ambühl ist zum Center der Top-Linie aufgestiegenDer WM-Titel ist das erklärte Ziel der Schweizer. Der Nationalcoach Patrick Fischer spricht seit seiner Jobübernahme vor rund zehn Jahren unentwegt davon. «Gross denken», das ist das Credo des Zugers, mit dem er zumindest in der Anfangsphase angeeckt ist. Fischer wurde für seine positive, vorwärts gerichtete Art zu kommunizieren, aber auch spielen zu lassen, öfters belächelt oder sogar verspottet. Man sprach von «Pausenplatz-Eishockey» und meinte damit einen unkoordinierten Stil, in dem wie früher auf dem Schulhof alle der Scheibe oder dem Ball hinterherjagten.
Heute ist genau dieser positive Ansatz, der Glaube an die eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten, die grosse Stärke der Schweizer. Sie spulten den Viertelfinal gegen Österreich wie jedes andere Spiel ab, ohne falsche Angst. Die Qualität der Spieler ist in den letzten Jahren massiv gestiegen. Im jetzigen Kader stehen fünf NHL-Spieler, die in Übersee in ihren Teams viel mehr als nur Lückenbüsser sind. Sowie Profis wie Sven Andrighetto, Denis Malgin (beide ZSC) oder Damien Riat (Lausanne), die in ihren Schweizer Klubs Schlüsselspieler sind und längst auch auf NHL-Niveau agieren.
Überdies steht in den Reihen der Schweizer mit dem 41-jährigen Teamsenior Andres Ambühl ein Spieler, der sich offensichtlich dem Alterungsprozess entzogen hat. An seiner 20. WM tritt er energiegeladen wie eh und je auf. Unterdessen ist Ambühl zum Center der Top-Linie aufgestiegen.
Was wie ein Märchen aus der Feder des Dänen Hans Christian Andersen klingt, könnte aber auch zum Defizit werden. Bei allem Respekt vor Ambühl: Die Klasse des verletzten Nico Hischier hat er nicht. Doch wie das Beispiel Dänemark zeigt: An dieser Eishockey-WM ist nichts unmöglich.
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