French Open: Der Sieg von Alcaraz gegen Sinner ist der Beginn einer Rivalität für die Tennis-Geschichte


Gonzalo Fuentes / Reuters
Der Tennis-Sport lebt von grossen Rivalitäten: Björn Borg gegen John McEnroe, Martina Navratilova gegen Chris Evert, Steffi Graf gegen Monica Seles, Pete Sampras gegen Andre Agassi: Diese Duelle schrieben Geschichte und prägten das Tennis wie später jene zwischen Roger Federer und Rafael Nadal.
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Der Final des French Open endete am Sonntagabend mit einem Duell zwischen zwei Spielern, die den Sport über die nächsten Jahre dominieren dürften: Carlos Alcaraz gewann den Final gegen Jannik Sinner nach fünfeinhalb Stunden und fünf Sätzen und verteidigte damit seinen Paris-Titel aus dem Vorjahr erfolgreich.
Federer und Nadal haben in Paris vier Finals bestritten; von 2006 bis 2008 und 2011. Sie alle hatten eines gemeinsam: Am Ende jubelte der Spanier über den Sieg. Nadal hat in Paris nicht weniger als 14 seiner 22 Major-Titel gewonnen, den letzten vor drei Jahren. Dazu standen sich die beiden auch am Australian Open und in Wimbledon in mehreren Finals gegenüber. Einzig das US Open hat nie einen Gipfel zwischen den beiden erlebt.
Zwei Spieler auf AugenhöheSinner, 23 Jahre alt, und Alcaraz, 22, sind nicht mehr neu auf der Tennis-Tour. Und doch: Was die beiden in Paris zeigten, hat Grenzen verschoben und wird Geschichte schreiben. Der Match endete nach fünf Sätzen in einem sogenannten Match-Tie-Break auf zehn Punkte. Dort behielt der Spanier die besseren Nerven und verwertete bereits seinen ersten Matchball. Er liess sich danach erschöpft und emotional entkräftet auf den Rücken fallen. Hat nun die nächste spanische Ära an der Seine begonnen?
Denkbar ist es. Alcaraz und Sinner werden die kommenden Jahre im Männer-Tennis prägen. Sie sind für ihr Alter bereits extrem gereift. Der Spanier erinnert dabei nicht nur wegen der iberischen Wurzeln an Nadal, seinen berühmten Landsmann aus Mallorca. Sinner ist eine Art Wiedergänger von Roger Federer, auch wenn ihm möglicherweise die Eleganz im Spiel fehlt, die den Baselbieter so sehr ausgezeichnet hat. Doch wie Federer ist Sinner auch der formvollendete Gentleman. Mit seinem Auftreten und mit seiner Zurückhaltung sehen in ihm viele einen ähnlichen Sympathieträger, wie es ehedem auch Federer gewesen ist.
Alcaraz oder Sinner? Das ist die Frage, die sich in den kommenden Jahren stellen wird. Welcher der beiden sich durchsetzen und der Erfolgreichere sein wird, ist offen. Die letzten Resultate sprachen für den Spanier. Er hat die letzten fünf Duelle mit Sinner allesamt gewonnen, darunter ist auch der Halbfinalsieg vor einem Jahr in Roland-Garros, ebenfalls nach fünf Sätzen. Im Head-to-Head führt Alcaraz mit 8:4 Siegen. Gegen keinen anderen Spieler hat Sinner öfter verloren.
Einer der besten Finals in der jüngeren VergangenheitSinner hat sich in den letzten Jahren auch auf Sand enorm gesteigert. Er schien auf dem Weg zu seinem ersten Titel in Roland-Garros. Sinner führte mit 2:0 Sätzen und kam nach 3:43 Stunden bei Aufschlag Alcaraz zu drei Matchbällen in Folge. Doch dann zeigte er ungewohnt Nerven. Seine Mutter schlug in einem Anfall einer Vorahnung in der Spieler-Box die Hände vor dem Gesicht zusammen. Sinner verpasste Chance um Chance. Kurz darauf gelang Alcaraz ein Rebreak, und kehrte in den Match zurück.
Der Final zwischen den beiden Jungstars wird als einer der besten in der jüngeren Vergangenheit in die Gesichte eingehen. Zur Zeit von Federer und Nadal waren zumindest die Endspiele auf dem Pariser Sand jeweils ziemlich einseitige Angelegenheiten. Federer kam mit den extremen Topspin-Bällen des Mallorquiners nie wirklich zurecht. Den Final 2008 verlor er 1:6, 3:6, 0:6. Es war eine der heftigsten Niederlagen, die der Schweizer in seiner Karriere erlitten hat.
Hier unterscheidet sich die neue Rivalität von jener zwischen Nadal und Federer. Die beiden neuen Kontrahenten stehen sich auf Augenhöhe gegenüber. Andre Agassi, die amerikanische Tennis-Legende, die hier 1999 selbst einmal gewonnen hat und später den Pokal übergab, schüttelte auf der Tribüne ob der Qualität der Ballwechsel mehr als einmal ungläubig den Kopf.
Sinner hat die vergangenen drei Monate auf der Tennis-Tour wegen einer Dopingsperre verpasst. Nachdem er im Frühjahr 2024 zweimal positiv auf die verbotene Substanz Clostebol getestet worden war, konnte er schlüssig darlegen, dass die Substanz durch die Hände eines Masseurs in seinen Blutkreislauf gelangt war.
Die International Tennis Integrity Authority sprach ihn zuerst frei, die Wada legte gegen dieses Urteil Einspruch ein, der vom Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne zumindest teilweise gutgeheissen wurde. Sinner einigte sich mit den Behörden auf eine dreimonatige Sperre, die ihn rechtzeitig zum French Open auf die Tour zurückkehren liess.
Im Gleichschritt mit Rafael NadalAm Sonntag sprach grundsätzlich lange alles für Sinner. Doch Alcaraz hat jene Kämpferqualität, welche auch sein Vorbild Rafael Nadal ausgezeichnet hat. Alcaraz’ Körper zieren verschiedene Tattoos. Unter anderem hat er auf den linken Unterarm drei C tätowieren lassen. Vor einem Jahr hat er nach seinem ersten Sieg in Roland-Garros gesagt, sie stünden für die spanische Redewendung «cabeza (Kopf), corazón (Herz) y cojones (und Eier)». «Mein Grossvater hat mir immer gesagt, ich solle mich auf diese drei C konzentrieren.»
Nun zeigte er, dass das mehr als nur ein Spruch auf seinem Unterarm ist. Wie er sich in den Match gegen Sinner zurückgekämpft hat, verdient den höchsten Respekt. Die drei abgewehrten Matchbälle liessen den Match völlig kippen. Alcaraz spielte auf einmal wie verwandelt. Er war schneller auf den Bällen und machte auf einmal weniger Fehler. Auf den Tag genau im selben Alter wie Rafael Nadal hat er seinen fünften Major-Titel gewonnen.
Mit 24 Jahren hatte Nadal 2010 am US Open den Karriere-Grand-Slam, den Sieg an allen vier grossen Turnieren, komplettiert. Mit 22 Jahren fehlt Alcaraz zum Erreichen dieser Marke nur noch das Australian Open. Dort hat zuletzt Jannik Sinner zweimal gewonnen.
Für eine neue Rivalität nach jener zwischen Federer und Nadal scheint also gesorgt zu sein. Bei der Siegerehrung sagte Jannik Sinner: «Gratulation, Carlos. Du hast es verdient. Dein Auftritt war einfach erstaunlich. Es fällt mir bedeutend leichter, zu spielen als zu sprechen. Ich habe mein Bestes versucht, doch es hat nicht gereicht.» Die Geschichte der beiden ist allerdings noch lange nicht zu Ende geschrieben.
Stephanie Lecocq / Reuters
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