Ronaldos Tränen veredeln die Nations League – Portugals ewiger Captain führt sein Team mit 40 Jahren zum Titel gegen Spanien


Kai Pfaffenbach / Reuters
Cristiano Ronaldo stand nicht mehr auf dem Platz, als der Final der Nations League im Elfmeterschiessen entschieden wurde. Portugals Captain war kurz vor Ende der regulären Spielzeit beim Stand von 2:2 gegen Spanien mit einer Muskelblessur ausgeschieden. Aller Ehren wert mit seinen 40 Jahren, doch nun konnte er nichts mehr machen – und es kaum mit ansehen. Ronaldo stützte den Kopf in die Hände oder lehnte ihn an die Schulter des Teamkollegen Diogo Dalot, die Augen bereits feucht.
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Kurz später flossen bei ihm Tränen der Freude. Der spanische Captain Álvaro Morata scheiterte als vierter Schütze seines Teams am Torhüter Diogo Costa, alle Portugiesen trafen, der Titel war ihrer. Ronaldo betrat den Rasen, kniete sich auf den Boden, die Tränen kullerten jetzt noch mehr, bald bildeten seine Mitspieler eine Jubeltraube um ihn. Ronaldo als ihr Talisman und spiritueller Leader: Als hätte sie der Gedanke beseelt, dieses Finalturnier auch für ihn zu gewinnen, so wie es bei den Argentiniern an der WM 2022 mit Lionel Messi war.
«Für die Seleção würde ich mir auch ein Bein brechen»Portugal siegte für Ronaldo, der seit einem italienischen Pokal 2021 mit Juventus Turin auf den 35. Titel seiner imposanten Karriere wartete. Und Ronaldo siegte für Portugal, mit seinen Treffern zum 2:1-Erfolg im Halbfinal gegen Deutschland und zum 2:2-Ausgleich im Final: seinem 138. Länderspieltor im 221. Match. «Für die Seleção würde ich mir auch ein Bein brechen», sagte er später: «Nichts geht über Titel mit Portugal. Die Tränen und das Gefühl von erfüllter Pflicht: Das ist prächtig. Es ist unser Land, wir sind ein kleines Volk, aber eines mit grossen Ambitionen.»
É NOSSA!!!!!! 🏆 pic.twitter.com/YPqYflKKiE
— Cristiano Ronaldo (@Cristiano) June 9, 2025
Natürlich, die Bedeutung der Nations League ist in keiner Weise mit einer WM vergleichbar. Doch der hochintensive Final und die rauschende Siegesparty der Portugiesen in der Münchner Arena verdeutlichten, dass das Format jedenfalls für die Spitzennationen längst mehr als eine lästige Nebensächlichkeit darstellt. Es ist etwas passiert mit diesem Wettbewerb, der die langweiligen Testspiele ersetzen sollte und bereits in der ersten Ausgabe 2019 von Portugal gewonnen wurde: Seit die Spanier 2023 triumphierten und im Jahr danach die EM folgen liessen, gilt die Nations League als Katalysator für Selbstbewusstsein und Siegermentalität.
Der deutsche Nationaltrainer Julian Nagelsmann hatte diesen Effekt vor Turnierbeginn immer wieder beschworen, doch nun ist es Portugal, das ihn aus Deutschland mit an die WM 2026 nimmt. Mit Ausnahme des Weltranglistenersten Argentinien wird es beim Weltturnier kaum schwerere Rivalen geben können als bei diesem Final Four der europäischen Elite. Das hochbegabte Kader Portugals weiss nun, dass es jeden Gegner schlagen kann, und es schleppt nach dem enttäuschenden Viertelfinal-Aus an der EM 2024 nicht mehr den Rucksack unbestätigter Erwartungen mit sich herum.
«Diese Generation verdiente einen Titel», sagte Ronaldo und meinte damit die vielen Spieler, die 2019 noch nicht dabei waren. Zu ihnen zählt der fantastische Linksverteidiger Nuno Mendes, der zum besten Mann des Spiels wie des gesamten Finalturniers ernannt wurde.
2025 UEFA Nations League Player of the Finals: Nuno Mendes 🇵🇹👏#NationsLeague pic.twitter.com/25Jcklzvwq
— UEFA EURO (@UEFAEURO) June 9, 2025
Der 22-Jährige schoss das Tor zum 1:1, gab die Vorlage zu Ronaldos 2:2, hatte Spaniens wundersamen Rechtsaussen Lamine Yamal so halbwegs gut im Griff wie kein Positionskollege in dieser Saison, zeigte auch darüber hinaus entscheidende Rettungstaten in der Abwehr und brillierte im Spielaufbau. Zur Belohnung konnte der Profi von Champions-League-Sieger Paris Saint-Germain wie seine Klubkollegen Vitinha, João Neves und Gonçalo Ramos am zweiten Wochenende nacheinander einen Titel im Münchner Stadion feiern.
Der beste Torschütze der A-Liga der Nations League (mit insgesamt acht Treffern) wird am Ende dieses Monats hingegen offiziell vereinslos sein: eben Cristiano Ronaldo. Sein Vertrag bei Al-Nassr in Saudiarabien läuft aus. Ein kurzfristiges Engagement anderswo an der bald beginnenden Klub-WM wird es nicht geben, so sehr es sich Fifa-Präsident Gianni Infantino auch wünschen mochte: Das stellte Ronaldo bereits am Samstag klar. Nach dem Finalsieg deutete er einen möglichen Verbleib bei Al-Nassr an.
Ein Triumph, der dem Nationaltrainer Martínez Ruhe verschafftSeinen Wert hat der Methusalem in der abgelaufenen Woche jedenfalls unterstrichen. Jenseits der Tore demonstrierte Ronaldo auch mit Spielverständnis und Aktionsradius, dass er nach vier Lebensjahrzehnten immer noch einen Platz in einer Mannschaft wie Portugal beanspruchen kann. Nach der gruseligen EM vom Vorjahr war das wohl sein eigentlicher Triumph: Damals schien sein obsessiv anmutender Präsenzwille die Seleção eher zu belasten, in fast 500 Spielminuten gelang ihm kein Treffer.
Ronaldos persönliche Revanche in der Nations League wurde so auch zu einer seines treuen Fans Roberto Martínez. Portugals spanischer Nationaltrainer verteidigte Ronaldo stets gegen jede Kritik. Der eingangs des Turniers umstrittene Coach traf zwar auch im Final gegen Spanien so diskutable Entscheide wie jene, den kleinen Mittelfeldspieler Neves als Rechtsverteidiger gegen den Tempodribbler Nico Williams aufzubieten. Dennoch gelang es Martínez, die Siegesserie des grossen Nachbarlands zu brechen.
Und so musste er nach dem Spiel nicht Fragen nach seiner persönlichen Zukunft beantworten, sondern solche, ob Portugal jetzt als WM-Favorit gelten könne. «Wie schön der Fussball ist, in 24 Stunden kann sich alles ändern», sagte Martínez.
Nur eines ändert sich offenbar nie: der ewige Cristiano Ronaldo.
nzz.ch