Fußball | Armutsatlas Bundesliga: 1. FC Union Berlin spielerisch am Ende
Leopold Querfeld hat einige gute Eigenschaften. Eine davon ist, das Positive zu sehen. »Wir haben bei uns in der Verteidigung auch die Qualität, Tore zu schießen«, sagte der 21-jährige Abwehrspieler des 1. FC Union nach dem 2:1 im Zweitrundenspiel des DFB-Pokals am Mittwochabend gegen Arminia Bielefeld. Einen großen Schub für die Bundesligapartie an diesem Sonnabend gegen den SC Freiburg bringt dieser Sieg aber eher nicht. Denn wie so oft ist auch hier das interessant, was nicht gesagt wird.
Langes Leiden, keine KritikEine große Stärke Querfelds ist das Kopfballspiel. Gegen die Arminia hatte er mit einem wuchtigen Kopfball die Führung erzielt. Seinem Abwehrkollegen Danilho Doekhi gelang der Siegtreffer. Erfreuliches über das Ergebnis und den Einzug ins Achtelfinale hinaus gab es aus Berliner Sicht nicht. Der Erstligist war dem Zweitliga-Aufsteiger aus Bielefeld spielerisch unterlegen, erzeugte nur durch Standardsituationen und ein paar hohe Bälle Torgefahr und brauchte bis in die Verlängerung, um dann schon dezimierte Gäste in die Knie zu zwingen.
Darüber reden wollte Unions Trainer danach nicht wirklich. Noch bevor Steffen Baumgart zum Spiel befragt werden konnte, wehrte er jede mögliche Kritik ab: »Für jeden, der sich täglich mit Fußball beschäftigt, war klar, dass es nichts anderes als ein Kampfspiel wird.« Vielleicht verspürte ja Arminias Coach Michél Kniat deshalb eine so »große Enttäuschung«, weil es seinem Team bei allem Kampf auch gelungen war, sich mit gutem Fußball Chancen auf den Sieg zu erspielen.
Spielerische ArmutWeil nach dem Spiel immer auch vor dem Spiel ist, kommen an diesem Sonnabend die Freiburger nach Köpenick. In der Bundesliga sieht es im ersten Saisonviertel mit Platz zehn jedoch nur auf den schnellen Blick wirklich gut aus. Viele andere Zahlen sprechen für eine grundsätzlich spielerische Armut beim 1. FC Union, das Team steht in etlichen Statistiken am Ende des Rankings. Die Berliner haben ligaweit mit Abstand die wenigsten Ballkontakte. Von den wenigen Pässen, die sie deshalb spielen, kommen prozentual auch noch die wenigsten beim Mitspieler an.
Eine Mannschaft muss nicht viel Ballbesitz haben, um guten und erfolgreichen Fußball zu zeigen. Genügend Tormöglichkeiten sollte sie sich unabhängig von Philosophie, System oder Taktik erspielen. Dass der 1. FC Union in der Bundesliga die drittwenigsten Chancen hat, liegt nicht zwingend an den Spielern. Ganz im Gegenteil: Durch die vor allem zu Saisonbeginn hohe Effizienz im Torabschluss halten sich die Köpenicker tabellarisch noch im Mittelfeld. Der Angriff mit Ilyas Ansah und Kevin Burke schoss seine insgesamt sieben Tore bis zum vierten Spieltag, Burke seine drei alle in einem Spiel.
Viel Arbeit, wenig SchnellesLeopold Querfeld hat mit seiner Übersicht, gutem Stellungsspiel und kompromissloser Zweikampfführung großen Anteil daran, dass die traditionell gute Defensive wieder viel zum ordentlichen Zwischenergebnis aus drei Siegen, einem Remis und vier Niederlagen beiträgt. Immerhin sechs Bundesligisten haben mehr Gegentreffer als die Berliner kassiert. In diesem Zusammenhang lobt der Abwehrchef ausdrücklich auch die Stürmer: »Sie arbeiten sehr viel.«
Allerdings gewinnt die Abwehr bekanntermaßen keine Spiele. Und wer keine Tore schießt auch nicht. Allein auf Standards und die anfangs überragende Effizienz vor dem Tor darf man sich nicht verlassen, das zeigt schon der folgende Saisonverlauf. Alarmierend ist in diesem Zusammenhang eine weitere Statistik: Der 1. FC Union hat die zweitwenigsten Sprints aller Bundesligisten – obwohl das Team im Angriffsspiel vom schnellen Umschalten lebt und genau dafür auch den Sprinter Oliver Burke nach Berlin geholt hat. Aber das Team hat allem Anschein nach nicht den Plan, um die Stürmer in diese Situationen bringen zu können.
Angebot ohne NachfrageDie Schwäche scheint also systembedingt, offensiv leistete Union gegen Zweitligist Bielefeld jedenfalls einen taktischen Offenbarungseid. Aus dem Spiel heraus wurde es erst gefährlich, nachdem Aljoscha Kemlein eingewechselt worden war. Der 21-Jährige nahm im Mittelfeld auch mal den Kopf hoch, spielte den Ball nicht einfach nur nach links oder rechts weiter, sondern suchte die gefahrbringende Tiefe. Solche Situationen sind viel zu selten von den Berlinern zu sehen. Dabei zeigt beispielsweise Stürmer Andrej Ilic oft Laufwege hinter die gegnerische Abwehrkette an, bekommt aber nicht den Ball.
Während die Defensive meist gut funktioniert, weil jeder weiß, was zu tun ist, bleibt das Angriffsspiel oft enttäuschend eindimensional und für die Gegner ausrechenbar. Das ist ein Grund dafür, warum sich Leistungen und Ergebnisse so abwechseln. Zwei Siege in Serie gab es nur zum Saisonauftakt: Nachdem in der ersten Pokalrunde bei Viertligist Gütersloh gewonnen werden konnte, folgte zum Bundesligastart ein 2:1 gegen Stuttgart. Die Möglichkeit, das zu wiederholen, bietet nach dem Pokalsieg gegen Bielfeld nun das Ligaspiel an diesem Sonnabend in der Alten Försterei gegen den SC Freiburg.
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