KOMMENTAR - Das Schweizer Eishockeyteam verpasst WM-Gold erneut – es hat trotzdem vieles richtig gemacht


Die Schweiz gewinnt WM-Silber, zum zweiten Mal in Folge nach Prag vor einem Jahr. Es ist der eine Satz, den zumindest im direkten Umfeld der Mannschaft niemand mehr hören oder lesen wollte. Im Vorfeld der Weltmeisterschaft in Herning und Stockholm hatten in einer TV-Dokumentation mehrere Spieler gesagt, sie hätten diesmal länger gebraucht, um die Enttäuschung über die Finalniederlage gegen Tschechien zu verdauen. Der Coach Patrick Fischer sagte: «Die Farbe dieser Medaille haben wir mittlerweile gesehen. Es ist Zeit, den nächsten Schritt zu machen.»
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Nun tragen Patrick Fischer und sein Team trotzdem wieder Silber um den Hals. Wie vor einem Jahr und auch schon 2013 und 2018. Sie verloren den Final gegen die Amerikaner in der Verlängerung 0:1. Für die war es der ersten Weltmeistertitel seit 1960 und der Goldmedaille von Squaw Valley. Das dürfte die Enttäuschung auf Schweizer Seite noch grösser machen.
Die Schweizer stürmten in einer Art und Weise durch die zwei Turnierwochen, wie sie das selbst wohl nicht zu träumen gewagt hätten. Nach der Startniederlage in der Verlängerung gegen Tschechien reihten sie acht Siege aneinander. Im Viertel- und Halbfinal demütigten sie Österreich und Dänemark mit insgesamt 13:0-Toren. Doch die USA waren danach das Ende aller Hoffnung und Ambitionen. Das junge amerikanische Team hielt im Tempospiel entgegen und zeigte sich in den entscheidenden Momenten eine Spur kaltblütiger.
WM-Silber, das klingt eigentlich auch nicht schlecht. Als die Schweizer vor 13 Jahren im selben Stadion mit Sean Simpson als Headcoach und Patrick Fischer als dessen Assistent an der Bande die erste WM-Medaille nach 60 Jahren Wartezeit errungen hatten, war das eine mittlere Sensation gewesen. Der Coach hatte die Arena damals mit einem triumphierenden Lachen im Gesicht verlassen und den wartenden Journalisten zugerufen: «This is a statement.»
Salvatore Di Nolfi / Keystone
Niemand hatte damals die Schweizer ernsthaft auf der Rechnung gehabt. Andres Ambühl, der wie Nino Niederreiter bereits damals Teil der Mannschaft gewesen war, sagte am Freitag zur NZZ: «Wir sind ohne Kredit ins Turnier gestartet. Man sprach vom Abstieg, und am Ende standen wir mit Silber um den Hals da.»
Mittlerweile haben die Schweizer 2018, 2024 und am Sonntagabend drei weitere Silbermedaillen gewonnen. Doch die goldene Krönung fehlt weiterhin. Mit ein paar Wochen Distanz wird auch dieses Silber etwas intensiver glänzen. Und doch stellt sich die Frage: Was fehlt den Schweizern denn noch, um den Bann endlich zu brechen und WM-Gold zu gewinnen?
Die Zeit beginnt Patrick Fischer und seinen Spielern langsam zwischen den Fingern zu zerrinnen. Die aussergewöhnliche Spielergeneration, welche die Erfolge in den vergangenen Jahren möglich gemacht hat, wird älter. Andres Ambühl beendete die Karriere mit dem Final-Match. Nach 20 Weltmeisterschaft, 151 WM-Spielen und 352 Partien im Nationaldress zieht der 41-jährige Davoser die Schlittschuhe nun endgültig aus. Leistungsträger wie Nino Niederreiter oder Roman Josi, der diesmal wegen einer Hirnerschütterung fehlte, werden ebenfalls nicht jünger. In einem Jahr findet die WM in der Schweiz statt. Es ist das Datum, das sich all diese Spieler dick in ihrer Agenda markiert haben.
Doch diesmal in Stockholm schien Gold bereit zu liegen. Vieles in diesem Turnier lief für die Schweizer. Titelanwärter wie Kanada, Tschechien oder Finnland strauchelten bereits im Viertelfinal, Schweden blamierte sich im Halbfinal gegen den späteren Schweizer Finalgegner USA. Trotzdem blieb den Schweizern und ihrem euphorischen Anhang erneut nur Silber. Bei nüchterner Betrachtung muss man aber festhalten: WM-Silber gilt für die Schweiz weiterhin als Erfolg.
Der grösste Teil an diesem Erfolg gehört dem Coach; Patrick Fischer ist der Architekt an der Bande. Seit der 49-jährige Zuger im Dezember 2015 Trainer des Nationalteams wurde, ist er nicht müde geworden, von grossen Zielen zu sprechen. Er wurde dafür kritisiert, manchmal auch offen belächelt. Schon vor zwei Jahren schien seine Ablösung nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Nach der Viertelfinal-Niederlage am WM-Turnier von Riga gegen Deutschland drängten vor allem Exponenten aus der Liga auf einen Wechsel an der Bande.
Fischer hat sich stets exponiert. Er war schon als Spieler keiner, der sich versteckt hat. Bereits seine Nomination war von Misstönen und einer gehörigen Position Skepsis begleitet worden. Sein erster Job als Headcoach endete beim HC Lugano im dritten Jahr mit seiner Entlassung. Kurz darauf übernahm er die Nationalmannschaft. Als Assistenten wurden ihm mit Felix Hollenstein und Reto von Arx zwei Schweizer Eishockeylegenden zur Seite gestellt. Das Trio implizierte «Swissness» als Schlagwort ihres Programm. Auf einmal zierte nicht mehr nur das Schweizerkreuz die Kleidung der Spieler, sondern auch eine Hellebarde. An der WM 2016 in Minsk, der ersten mit dem Coach Fischer, verpassten die Schweizer ihr traditionelles Minimalziel, die Viertelfinalqualifikation.
Das Ereignis wiederholte sich zwei Jahre später in Moskau nach Niederlagen gegen Kasachstan und Norwegen. Die Kritik an den Schweizern schoss in den Himmel. Eine «zu offensive Spielweise» wurde moniert; von Pausenplatz-Hockey war in den Medien die Rede. Man sehnte sich nach dem wohlstrukturierten Stil unter dem Langzeit-Coach Ralph Krueger.
Doch Patrick Fischer ist keiner, der an sich selbst zweifelt. Schon als junger Spieler sprach er im vertrauten Umfeld davon, es sei sein Ziel, dereinst Weltmeister zu werden. Weltmeister werden? Im Eishockey? Als Schweizer? Das waren ungewohnte, aber auch erfrischend offene Töne.
Vor einem Jahr an der WM in Prag und Ostrava spielte Fischer um seinen Job. Hätte er den Viertelfinal gegen Deutschland verloren, wäre er mit grösster Wahrscheinlichkeit entlassen worden. Fischer und sein Team gewannen 3:1. Bei der Gratulation im Kabinengang sagte ihm der damalige Verbandspräsident Stefan Schärer: «Irgendwann hat jeder einmal Glück.»
Schärer ist seit einem halben Jahr weg, Fischer hingegen steht der neuerlichen Finalniederlage zum Trotz nicht zur Diskussion. Er wird das Team im kommenden Frühjahr in die Heim-WM und auch ans Olympiaturnier nach Mailand führen. Bis dann läuft sein Vertrag. Ob er dann gewillt sein wird, weiterhin bei der Schweiz an der Bande zu stehen, wird sich danach weisen. Ihm gehört ohnehin das Verdienst, ein völlig neues Denken in der Nationalmannschaft implementiert zu haben. Das ist weit mehr, als die meisten seiner Vorgänger von sich behaupten durften.
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