Murat Yakin baut schon seit dem Herbst an der neuen Nationalmannschaft – kommt er in den USA weiter?


Ein paar Tage schon weilen die Schweizer Fussballer in den USA, und wenn sie darüber gesprochen haben, was sie hier eigentlich wollen, am Ende einer langen Saison, dann haben sie ungefähr geantwortet: eine ganze Menge.
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Jetzt gelte es «schon ernst», sagte Murat Yakin, der Nationaltrainer.
«Wir müssen liefern», sagte Granit Xhaka, der Captain.
Diese Reise sei keine «passeggiata», kein Spaziergang, stellte Pierluigi Tami klar, der Nationalmannschaftsdirektor.
Wer so über eine Reise spricht, weist ihr Bedeutung zu. Die Schweizer geben sich Mühe, den US-Trip ernsthaft anzugehen. Und bald gilt es für sie ja auch wirklich ernst.
Im Spätsommer, wenn es an einem Montag im September das nächste Mal zusammenkommen wird, bleiben dem Schweizer Team nur noch ein paar wenige Trainingseinheiten, und schon geht es los, WM-Qualifikation, zwei Heimspiele zuerst, Kosovo und Slowenien, im Oktober Reisen nach Schweden und Slowenien.
Es wartet eine WM-Qualifikation im SchnelldurchlaufDie Aufgabe ist diffizil. Das gut besetzte Schweden wartet, die unbequemen Slowenen, schliesslich die Kosovaren, die das Schweizer Team in drei Duellen noch nie besiegt hat. Nur der Beste des Quartetts qualifiziert sich direkt. Dem Gruppenzweiten bietet sich über den hindernisreichen Play-off-Weg eine zweite Chance.
Sechs Spiele in etwas mehr als zwei Monaten: Es wird eine WM-Qualifikation im Schnelldurchlauf, was auch bedeutet, dass schnell alles vorbei sein kann. Der Traum von der WM 2026, die für prägende Fussballer wie Xhaka oder Ricardo Rodriguez die letzte WM sein dürfte. Auch die Zeit von Murat Yakin als Nationaltrainer, weil sein Vertrag nur bei erfolgreicher Qualifikation automatisch weiterläuft.
Das alles verleiht den anstehenden Tagen in Amerika und den Spielen gegen Mexiko (Samstag, 22 Uhr, Schweizer Zeit) und die USA (Mittwoch, 2 Uhr) Gewicht, weil sie Zeit bieten, an Dingen zu arbeiten, einen Plan zu entwerfen und ihn zu testen.
Am neuen Nationalteam baut der Trainer Yakin nun schon seit fast einem Jahr. Aus der EM in Deutschland war er als strahlender Gewinner hervorgegangen, Viertelfinal, nach zuweilen brillanten Auftritten, insbesondere im Achtelfinal, beim 2:0-Sieg gegen Italien.
Seither haben die Schweizer Fussballer nur noch eines von acht Spielen gewonnen, beim 3:0 gegen Luxemburg in St. Gallen im März. Aus der Nations League sind sie im vergangenen Herbst abgestiegen, und weder Trainer noch Spieler glänzten bei der Ursachenforschung. Mal war der Schiedsrichter schuld, mal der ungenügende Rasen, nur selten sie selbst, ihre fehlende Widerstandskraft, ihre Ineffizienz oder ihre mangelnde Kreativität.
Auf der Reise in die USA deutete Yakin an, dass es im Herbst seinen Fussballern auch an Motivation gefehlt habe. Über seinen eigenen Anteil an der Misere hat er kaum einmal öffentlich sinniert. Yakin zehrt immer noch vom Kredit, den er an der EM erworben hat. Dort hat er gezeigt, dass er ein hervorragender Turniertrainer sein kann.
EM-Viertelfinal, aber auch: nur 7 Siege in 25 SpielenDoch zum grossen Bild gehört mehr als nur die EM. Auch die EM-Qualifikation 2023, in der die Schweizer arg ins Straucheln gerieten und Yakin am Rand einer Entlassung stand. In den letzten zwei Jahren hat das Team nur 7 von 25 Spielen gewonnen, gegen Andorra (zweimal), Irland, Estland, Luxemburg – und an der EM gegen Ungarn und Italien.
Nach der EM traten mit Yann Sommer, Xherdan Shaqiri und Fabian Schär drei langjährige Säulen des Teams zurück. Die Aufgabe, die Equipe neu zusammenzubauen, ihr frische Ideen und frisches Blut zuzuführen, eine neue Hierarchie zu geben, hat Yakin bisher nicht bewältigt.
Aber vielleicht ändert sich das jetzt, vielleicht inspiriert die näher rückende WM-Qualifikation Yakin. Anzeichen dafür gibt es. Im Vorfeld der Spiele gegen Mexiko und die USA sprach der 50-Jährige detailliert über seine Planspiele. Darüber, dass er im Mittelfeld Platz schaffen will für Ardon Jashari, den jungen Mittelfeldspieler, der in Belgien so glänzte. Und eigentlich wollte er auch ein Experiment wagen, über das er seit längerem nachdenkt: Denis Zakaria, der letzte Saison als Captain im Mittelfeld von Monaco glänzte, sollte in den USA in der Abwehr-Dreierkette getestet werden. Doch am Freitag wurde bekannt, dass Zakaria wegen muskulärer Beschwerden abreist.
Yakins Überlegungen mit Jashari und Zakaria illustrieren, wie es um das Schweizer Kader steht. Im Mittelfeld gibt es Optionen zuhauf. Yakin hat Captain Xhaka und Remo Freuler, sein bevorzugtes Duo. Er hat Jashari und vor seiner Verletzung auch Zakaria, die im Klub so brillierten, dass er sie irgendwie in seiner Formation unterbringen wollte. Und er hat eine ganze Reihe weiterer zentraler Mittelfeldspieler, die er wahrscheinlich am liebsten verwandeln würde. Zum Beispiel in Offensivkräfte.
Von denen stehen nur gerade drei im Aufgebot – Breel Embolo, Dan Ndoye und Zeki Amdouni –, weil Ruben Vargas ebenso verletzt fehlt wie der junge Alvyn Sanches. Und sich sonst gerade niemand aufdrängt, der diesem Team Kreativität und Torgefahr zuführen könnte.
Xhakas besorgtes VotumKein Wunder, klingt die Debatte um eine mögliche Rückkehr von Xherdan Shaqiri einfach nicht ab. Dabei geht gerne vergessen, wo Shaqiri seine Tore und Assists produziert hat, in der Schweizer Super League, für einen FC Basel, in dem alles so auf ihn ausgerichtet ist, wie das im Nationalteam in einer WM-Qualifikation nie möglich wäre.
Für Yakin ist die Angelegenheit dennoch unangenehm. Die beiden kommunizieren nur noch via Medien miteinander. Das offenbart, wie sehr das Tischtuch zwischen Yakin und dem langjährigen Publikumsliebling zerschnitten ist. Es hatte etwas Seltsames, wie es letzten Sommer mit Shaqiri in der Landesauswahl zu Ende ging, auch mit Yann Sommer und Fabian Schär, dem Verteidiger, und irgendwie wabert das alles immer noch über dem Nationalteam.
Aber alle drei sind weg, und die neue Nationalmannschaft muss Konturen gewinnen. Es war vielsagend, was der Captain Xhaka in dieser Woche in Salt Lake City über den Umbruch im Team sagte. Er sprach über Dinge wie Hunger, Herz, Haltung, auch: Leadership. Betonte, dass die Mannschaft «sehr grosse» Persönlichkeiten verloren habe. Und irgendwann sagte er, die derzeitige Phase sei die grösste Challenge, seit er im Nationalteam sei, «auf jeden Fall».
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