Ärger mit Mateo von Culcha Candela: Wie eine Band um ihren Song kämpft

Ein oranges Klavier steht in einem Bahnhof in Berlin. Ein junger Mann setzt sich daran, spielt eine eingängige Melodie. Ein anderer stößt hinzu und singt den Refrain der gemeinsamen Ballade: „Verkatert am Klavier sing’ ich Lieder von dir.“
Es ist nur einer von vielen Clips dieser Art, die sich auf dem Tiktok-Profil der Berliner Band Lost finden. An allen möglichen Ecken der Hauptstadt findet das Trio Klaviere und beginnt, darauf zu spielen – mal in einem Luxushotel, mal neben einer Baustelle, mal singt die Gruppe gar mit einem Keyboard in einem Fahrstuhl. Ihre Fans hinterlassen freudige Kommentare unter den Videos: Wann denn der Song endlich „rauskomme“, will eine junge Frau wissen. Doch genau das ist das Problem.
Zwar veröffentlicht die Band seit Monaten Clips des Stücks auf Social-Media, auch bei Konzerten des Trios erfreut sich der Song großer Beliebtheit. Veröffentlicht wurde die Ballade in ihrer Ursprungsform aber bis heute nicht. Grund dafür ist ein Streit der Band mit ihrem Labelchef. Konkret: dem Rapper Mateo Jasik von Culcha Candela.
„Wir haben ‚Verkatert am Klavier‘ Mitte 2024 geschrieben“, erzählt Junio, eines der drei Bandmitglieder, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Wir haben in den Song viel Liebe und fast ein Jahr Arbeit reingesteckt.“ Den Fans habe man das Stück auf der letzten Tour im November live vorgespielt. Die Resonanz sei „einzigartig” gewesen.
„Alle lieben den Song”, sagt der Sänger und Rapper. Immer wieder hätten ihn und seine Bandmitglieder seither Nachrichten erreicht, wann die Ballade denn endlich erscheine. „Wir hatten das Gefühl, etwas Besonderes geschaffen zu haben.“
Ende 2024 habe man das Stück schließlich ausproduziert und an das Plattenlabel gegeben, bei dem die Band unter Vertrag steht. Dabei handelt es sich um MNF (Meine neuen Freunde), das von Jasik und dessen Mutter betrieben wird. Doch damit fingen die Probleme an.
Der Vorwurf der Band: Jasik habe die fertigen Gesangsspuren des Songs an einen externen Produzenten geschickt – und das gegen den ausdrücklichen Willen des Trios. Das Ergebnis: Die nachdenkliche Pop-Ballade wurde zu einem schnellen Dance-Track umgebaut, der beinahe einem Ballerman-Hit gleicht. Eine Produktion, mit der die Band alles andere zufrieden ist – während die Ursprungsversion bis heute nicht veröffentlicht wurde.
Anfang des Jahres habe die Band dann die Verträge mit Jasiks Label gekündigt – zu groß seien die Differenzen gewesen. Die Veröffentlichung ihres verhunzten Stückes habe die Band jedoch selbst über eine Anwaltskanzlei nicht mehr verhindern können. Immerhin habe sie erwirken können, dass das Stück als Remix gekennzeichnet wird. Am 16. Mai erschien das Stück als „Afterhour Mix“ auf den Streamingplattformen.
MNF habe die Band in der Kommunikation über Anwälte sogar dazu aufgefordert, das Stück auf Tiktok zu promoten, sagt die Band. Das sei für das Trio jedoch „überhaupt nicht infrage“ gekommen. Die Tiktok-Promotion übernahm daraufhin Mateo Jasik selbst: In mehreren Videos auf der Plattform tanzt der Culcha-Candela-Rapper begeistert zu einem Song, der nicht mal seinen eigenen Interpreten gefällt.
Der Fall der Berliner Band Lost dürfte in der Musikbranche kein ganz ungewöhnlicher sein – öffentlich gesprochen wird darüber aber selten. Nur gelegentlich machen Künstlerinnen und Künstler ihrem Ärger Luft und erzählen, wie ihr Label oder Management Dinge entschieden habe, mit denen sie nicht einverstanden waren.
Ein bekannter Fall ist die Kontroverse um Madonnas Stück „American Pie“ aus dem Jahr 2000. Ein „Plattenfirmenmanager“ habe sie damals zur Veröffentlichung des Stücks auf dem Album „Music” gedrängt, erzählte die heute 66-Jährige einmal in einem Interview – ein Umstand, den sie heute bereue. Später entschied Madonna, das Stück nicht auf ihrem Greatest-Hits-Album „GHV2″ zu veröffentlichen.
Inziwschen kommt noch eine weitere Schwierigkeit hinzu: „Es ist heute sehr wichtig, dass man auf Tiktok viral geht“, sagt Junio. Die US-Sängerin Halsey etwa hatte sich 2022 beschwert, ihr Label dränge sie regelrecht zu „viralen Tiktok-Momenten“, damit ihre Musik überhaupt veröffentlicht werden kann. Und in manchen Fällen sorgt der Trend offenbar auch dafür, dass Songs speziell für die Plattform angepasst werden. Im Zweifel bekommt dann eine Pop-Ballade plötzlich einen Ballermann-Beat.
Im Falle von „Verkatert am Klavier” sah die Band Lost nach eigenen Angaben nur noch eine Möglichkeit: Sie machte ihren Frust über die sozialen Medien publik. Unter dem Hashtag #freeverkatert startete sie sogar eine Petition für die Veröffentlichung des Ursprungssongs – hunderte Fans unterzeichneten. Später veröffentlichte die Band auch ein ausführliches Statement-Video auf ihrem Tiktok-Kanal, das inzwischen 500.000 Aufrufe hat.
Wie Mateo Jasik den Fall sieht, ist etwas undurchsichtig. Eine RND-Anfrage an sein Management blieb unbeantwortet. Jedoch hatte sich der Culcha-Candela-Rapper in den vergangenen Wochen mehrfach über die sozialen Medien zum Fall geäußert. Mitte Mai hielt er eine Veröffentlichung des Original-Songs in Tiktok-Kommentaren zunächst offen: Die Band-Version erscheine „eventuell irgendwann“, heißt es in einem Kommentar auf Nachfragen von Fans. In einem Video nutzte er die aufgekommene Kontroverse sogar zur Tiktok-Promotion: „Wenn Ihr viele Videos auf den Sound macht, kommt vielleicht auch die andere Version. Wenn nicht, dann…🤷🏼♂️🫣“, heißt es unter einem Video.
Später postete der Rapper und Labelchef ein langes Statement, das inzwischen wieder gelöscht wurde. Darin deutet er an, dass unliebsame Labelentscheidungen Bands häufig helfen. „Zu 6 von 10 ihrer Topsongs (wegen denen ihr sie kennt) musste ich [die Band Lost] überreden“, schreibt Jasik. Auch habe ihm das Trio viel zu verdanken, nicht zuletzt finanziell. „De facto gäbe es die Band und die Songs ohne mich nicht.“ Und er kritisiert auch das Vorgehen der Band: Diese habe versucht, sich aus bestehenden Verträgen „rauszuschummeln“. „Egal, was die erzählen, mit diesem diesem Versuch der Verleumdung durch ein Petition [sic]: alles Bullshit.“. Und: „Die Wahrheit wird siegen!“
Nach dem Videostatement der Band Lost folgte später noch ein weiterer Kommentar Jasiks: „Wie jetzt auch die kleinsten Schmeißfliegen versuchen, einen Krümel vom Skandalkuchen zu bekommen. Manche Leute können nicht rechnen und lesen und sind echt lost ...“, schrieb Jasik.
Ende Juni deutete der Rapper dann in einem Posting an, der Streit mit der Band sei möglicherweise ein „genialer Promo-Schachzug“ gewesen. „Ein kleines Theater auf großer Bühne?? Wer weiß...“
Die Band selbst widerspricht vehement: Sowohl der Ärger um ihren Song als auch die Trennung von Jasiks Label seien real. „Wir wussten uns einfach nicht mehr anders zu helfen, außer mit dem Thema an die Öffentlichkeit zu gehen“, sagt Junio.
Die gute Nachricht: Jasiks Label MNF hat nun angekündigt, die Originalversion von „Verkatert am Klavier“ doch noch zu veröffentlichen. Der Band wurde als Veröffentlichungsdatum der 25. Juli mitgeteilt. Ob es wirklich dazu kommt? Das Trio bleibt vorerst skeptisch: Bereits einmal wurde eine geplante Veröffentlichung Ende Juni nicht eingehalten.
Für Jasik kommt der öffentlich gewordene Streit zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Anfang des Jahres hatte seine Band Culcha Candela schon einmal für Schlagzeilen gesorgt, nachdem überaus ruppig formulierte Privatnachrichten an einen Fan öffentlich geworden waren. Eine junge Frau hatte die Band per Instagram gefragt, ob sie auf ihrem 18. Geburtstag auftreten würde. Die Band antwortete: „Mit 18 solltest du schon etwas schlauer sein, Mausi ...“ – und ob sie wisse, was es koste, wenn sich die Band in Bewegung setze.
Damit war das Drama aber noch nicht zu Ende: Ein halbes Jahr später saß Jasik im Juni im „Unter uns gesagt“-Podcast von Janne Rust und wurde auf den Fall angesprochen. Im Interview deutete der Rapper an, die Nachrichten an den Fan könnten vom Management oder einem Socialmedia-Praktikanten verfasst worden sein. Auch suggeriert er – ganz ähnlich wie beim Statement zu Lost – es könne sich um eine geplante Aktion gehandelt haben.
Genau diese Aussagen sorgten wiederum innerhalb der Band Culcha Candela für Ärger: Bandmitglied Don Cali postete öffentlich einen Kommentar auf Tiktok und distanzierte sich im Namen der Band. Jasik wiederum reagierte darauf mit einer Entschuldigung auf Instagram. Darin gibt er zu: „Ich war‘s! (...) Ich war derjenige, der völlig unangemessen und absolut unfreundlich einer jungen Frau auf ihre DM geantwortet hat (...).“
Die Band Lost will mit Jasiks Label jedenfalls vorerst nichts mehr zu tun haben. „Gute Manager vertrauen ihren Künstlern, wenn es um die Kunst geht. Wir hatten nie das Gefühl, dass uns dieses Vertrauen entgegengebracht wurde”, sagt Junio. Für ihre Zukunft will die Band nun Konsequenzen ziehen. Statt einer Zusammenarbeit mit großen Plattenfirmen und unberechenbaren Labelchefs, soll es erst mal in Eigenregie weitergehen.
„Wir haben festgestellt, dass es besser funktioniert, persönliche Songs zu schreiben und diese aufrichtig zu promoten, als Trends hinunterzurennen”, sagt Junio. „Grade heutzutage sind Fans durch Social Media näher am Geschehen als je zuvor. Wir haben das Gefühl, die Leute merken ganz genau, was echt und was gestellt ist.“
Die Band habe in den vergangenen Jahren im Musikbusiness viel gelernt und sei auch für die Zeit bei MNF dankbar. Aber: „Das ganze Theater hat auch bei uns seine Spuren hinterlassen.“ Der Schritt zur Independent-Band sei daher folgerichtig. „Am meisten freuen wir uns darauf, endlich nur noch die Musik zu machen, auf die wir wirklich Bock haben.“
rnd